Nachhaltiges Paradies: Restelos auf dem richtigen Weg

FREITAG, 1. OKTOBER 2021, RESTAURANT PARADIES

#Essen, #Gastronomie, #Nachhaltigkeit, #Paradies, #Restelos

Bluepingu macht mal wieder die Stadt besser. Seit Frühjahr 2020 sucht der Nachhaltigkeitsverein Gastronom*innen, die ihr Gastronom*in-Sein ressourcenschonender gestalten wollen. Zum Beispiel durch die Vermeidung von Abfällen, und die Verwertung von artgerecht gehaltenen Tieren. „Restelos“ heißt das Projekt, im Zuge dessen sich Restaurants und Cafés mit Unterstützung der Bluepingus in vorbildhafte Vorzeigebetriebe verwandeln können. Das Konzept basiert auf den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Das Restaurant Paradies, örtlich angesiedelt zwischen Johannisfriedhof und Nordklinikum Nürnberg, ist seit Mai 2020 dabei. Wir haben mit Jonas und Elna darüber gesprochen, was die Motivation dahinter war – und was sich seitdem alles verändert hat.  

 

Wie würdet ihr euer Konzept als Restaurant beschreiben?
J: Unser Motto ist ehrlich, herzlich, hausgemacht. Danach richten wir uns. Wir kochen die Knochen selber aus, setzen Gemüsebrühe selber an, machen die Nudeln und Gnocchi selber. Wir verwenden keine Convenience-Produkte. Und haben einen ehrlichen, herzlichen Service, gehen auf einer persönlichen Ebene mit Gästen um.
Euer Zero-Waste-Projekt „Restelos“ läuft in Zusammenarbeit mit der Nachhaltigkeitsverein Bluepingu. Wie kam das zustande?
E: Ich habe ihre Ausschreibung auf Facebook gesehen. Wir waren zu dem Zeitpunkt gedanklich eh schon auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit. Wir wussten aber überhaupt nicht, wo wir anfangen sollten. Ich habe Bluepingu also eine Mail geschrieben, sie kamen zum Essen vorbei und meinten: Wir haben euch doch auch schon geschrieben. Es war in dem Sinn also Fügung.
J: Wir haben festgestellt, dass wir schon viel weiter sind, als das Restelos-Programm verlangt. Essensreste auf dem Teller zu vermeiden – das haben wir davor schon gemacht. Wir wiegen alle Portionen vorher ab, verwenden, wenn wir Wild machen, das komplette Tier, kochen auch da die Knochen aus. Wenn wir ganze Fische bekommen, filetieren wir sie selber und kochen einen Sud draus. Es wird so gut wie alles verwendet.
Warum war euch das Thema ohnehin schon wichtig?
E: Ich bin privat schon auf dem Weg dahin gewesen, einfach, weil mir das wichtig ist, dass die Erde auch in 100 Jahren noch existieren kann.
J: Ganz ehrlich: finanzielle Gründe. Die ursprüngliche Motivation, möglichst wenig wegzuschmeißen, war, weil das alles von meinem Gewinn abgeht. Daraufhin haben wir angefangen, Sachen zu hinterfragen: Kann man das nicht anders machen, kann man nicht anders einkaufen, anders vorbereiten, anders lagern? Wir haben z.B. ein Vakuumiergerät besorgt. Wenn wir Nudeln oder Gnocchi machen, machen wir nicht nur ein Kilo, sondern eine große Aktion und vakuumieren das dann. Also: Clever sein. Wenn das dann mit Nachhaltigkeit einhergeht, gerne, logisch.
Das heißt, es ist eigentlich kein Mehrkostenaufwand …?
E: Der erste Schritt dahin nicht. Jetzt arbeiten wir fast eineinhalb Jahre so, und je tiefer man in die Materie steigt, desto mehr merkt man, dass dann doch vieles doch am Geld liegt.
J: Der größte finanzielle Mehraufwand ist der Wareneinkauf – Fleisch. Bioprodukte, regional – da man das auch nicht wirklich komplett umschlagen kann auf den Gast.
Habt ihr das Gefühl, dass die Leute das in gewisser Weise mitmachen?
J: Ja und nein. Wir haben freitags jetzt immer ein Marktgericht auf der Karte. Da bieten wir an, was wir vormittags auf dem Koberger Markt shoppen. Das kostet natürlich auch immer Geld, aber das haben wir in den letzten Wochen immer ausverkauft. Die Bereitschaft ist schon da. Aber: Wenn ich beim Verkaufsschlager Schnitzel auf Bio gehen würde, wäre ich bei einem Verkaufspreis von 20 Euro – sieben Euro mehr!
E: Ich denke, viele Leute wollen Bio, aber es sind noch nicht alle bereit, den Preis dann zu zahlen. Wir haben uns von verschiedenen Höfen mit artgerechter Tierhaltung die Preise schicken lassen – da sind wir fast ins Essen gefallen. Aber wir sind dran, wie man das vielleicht lösen kann. Wir haben eine Kooperation mit der TH, auch um herauszufinden, wie man das mit der Preiskalkulation vielleicht hinkriegen kann, oder welche Möglichkeiten da für uns bestehen, Biofleisch einzukaufen, ohne es für 30 Euro verkaufen zu müssen.
Wie kann man sich eure Zusammenarbeit mit Bluepingu vorstellen?
E: Das erste Treffen war ein Auf-den-Stand-bringen: Wo stehen wir? Vieles war uns auch gar nicht bewusst. Wir haben z.B. schon immer auf Saisonalität geachtet. Bluepingu hat festgestellt, dass wir eigentlich schon relativ weit sind und noch tiefer in die Materie einsteigen können. Wir haben ein Nachhaltigkeitskonzept mit Businessplan konzipiert.
J: In monatlichen Treffen haben wir innerhalb eines Dreivierteljahrs dieses Konzept erstellt. Orientiert ist das an den SDGs, die von Greentable e.V. auf die Gastro angepasst wurden.
Wo steht ihr momentan in diesem Prozess?
E: Vieles von diesem Plan haben wir tatsächlich schon abgearbeitet. Anschaffung neuer Spülmaschine, Mehrwegpfand zum Einpacken. Wir schauen, dass es noch regionaler und saisonaler wird. Wir haben viel mehr vegetarische und vegane Sachen auf der Karte. Jetzt kommen wir zum Feinschliff, jetzt geht es ums Geld. Wir wollen z.B. den Stromanbieter wechseln. Das ist uns aber momentan nicht möglich, weil wir nicht kreditwürdig sind. Wir hoffen, dass wir das dann mit den Bilanzen von 2021 wieder sein werden. Wir wollen schauen, dass wir für die Bons nachhaltiges Papier nehmen, sind aber auch am Überlegen, den Kassenanbieter zu wechseln und alles ein bisschen digitaler zu gestalten.   
Was war die größte Schwierigkeit?
J: Wieder der Wareneinkauf. Wir bekommen das Fleisch jetzt aus dem Taubertal von der Firma Walter, das kostet auch ein bisschen mehr … und das muss man irgendwie auffangen. Ansonsten: Die Kommunikation an den Gast. Das ist eine Sache, die mich große Überwindung kostet: Zu kommunizieren, wie toll wir sind, was wir alles machen und worauf wir verzichten … Ich bin ein sehr schlechter Selbstvermarkter.
E: Ich habe einen Nachhaltigkeitsblog eingeführt. Jeden Donnerstag erscheint da ein Post. Wir versuchen da so transparent wie möglich zu sein: Da stehen wir, da wollen wir hin, das ist aber noch nicht umsetzbar. Für mich ist es schwierig, die Wichtigkeit des Themas ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln.
Stören sich die Leute an angepassten Preisen oder einem Pfandsystem zum Mitnehmen?
J: Das Pfandsystem ist super angelaufen. Sind auch coole Boxen (lacht). Da arbeiten wir mit Rebowl zusammen.Die Gäste merken es, wenn die Preise steigen, aber ein großer Störfaktor ist es bis jetzt nicht.
E: Viele wissen es auch gar nicht, was wir alles machen. Und verstehen dann nicht, warum etwas teurer wird, weil sie den Blog nicht lesen. Die Stammgäste stören sich nicht dran, die sind eher froh, dass wir uns ein bisschen umgestellt haben.
Kommuniziert ihr denn auch innerhalb der Gastroszene in Richtung anderer Restaurants, um auch ein Vorbild zu sein?
J: Stand jetzt gibt es da noch keine Kooperation. Beim letzten Meeting wurde aber angedacht, sich in Arbeitsgruppen zusammenzusetzen. Man könnte zum Beispiel im Verbund bestellen oder sich einfach über Ideen und Erfahrungen austauschen.
E: Bluepingu hat in Fürth jetzt einen neuen Gastronomiebetrieb gewonnen. Da darf ich jetzt auch öfter mitkommen und denjenigen dann ein bisschen unter die Arme greifen: Das haben wir gelernt, das könnt ihr besser machen als wir …
Wie ist es zum Beispiel mit Getränken, habt ihr da Lieferanten oder Marken gewechselt?
J: Wir sind zum Lieferamt gewechselt. Einfach wegen der kurzen Wege. Wir können spontaner einkaufen, sind ein bisschen variabler. Wir haben das Angebot mit hausgemachten Schorlen und Longdrinks und Likören erweitert …
E: Die Säfte, die wir beziehen, sind auch regional. Und wir haben neu Pfandflaschenwein vom Lieferamt.
J: Wir hatten vorher Weine, europaweit, mit Bio-Siegel. Da habe ich mir irgendwann gedacht, ob ich jetzt einen französischen Bio-Wein habe oder einen deutschen, der kein Bock auf Bio auf den finanziellen Aufwand hat und ihm die Möglichkeit genommen wird, vielleicht auch mal was zu spritzen, wenn die Pflanze angegriffen wird … Also ein Winzer, den ich seit Jahren kenne und den ich mit reinem Gewissen anbieten kann. Für das Glas kostet jetzt 4,80 statt 6 Euro.
Schwieriges Thema: Verpackungsmüll beim Lebensmittteleinkauf.
J: Je größer du kaufst, desto weniger Verpackungsmüll hast du. Wir kaufen Salz nicht mehr in Kilopackungen, sondern im 25-Kilo-Sack, Zucker genauso. Butter wird nicht mehr im Stein gekauft, sondern im Block. Je größer das Gebinde, desto geringer der Abfall.
E: Ketchup kaufen wir jetzt einen großen Eimer und füllen das in die Squeeze-Flasche und wenn jemand explizit Ketchup will, bekommt er ein Glasschälchen. Unsere Kräuter bauen wir selber an. Solange die Kräutersaison ist, verwenden wir unsere eigenen, wie die Minze für unsere Schorlen.
Was sind die nächsten wichtigsten Schritte?
J: Das Kassensystem vielleicht wechseln, Bonrollen reduzieren, Stromanbieter wechseln.
E: Zu einer Ökobank wollten wir noch. Wir haben überlegt, die Karten auf ökologischem Papier zu machen. Das sind kleine Schritte.
J: Greentable ist, denke ich, das mittelfristige Ding. Dort die Aufgaben zu erfüllen, was Einkauf und Lagerung angeht.
E: Und die machen auch ein Siegel. Man muss 7 von 12 Kriterien erfüllen und dann könnte man sich das Siegel für einen „nachhaltigen Gastronomiebetrieb“ geben lassen. Uns fehlt jetzt noch der Stromanbieter, bis Ende des Jahres wollen wir dieses Siegel haben.
Würdet ihr euch aus irgendeiner Richtung, z.B. aus der Politik, noch mehr Unterstützung bei einem solchen Prozess wünschen?
J: Ja. Ich kann aber nicht sagen, wie. Man kann das über finanzielle Zuschüsse lösen. Man kann es darüber lösen, dass Gesetze beschlossen werden, die bestimmte Tierhaltungsformen verbieten. Gesetze, die Plastik in bestimmten Verkaufschargen verbieten … Die können ruhig auch mal die Augen aufmachen. Man ist, wenn man umstellen möchte, schon sehr auf sich allein gestellt. Wir sehen es auch vom Café Kirsch, ein inklusives Café mit Bio-Produkten. Was die für einen Aufwand hatten, weil sie alles getrennt lagern mussten, mit Einkaufsnachweis und so weiter. Da könnte viel vereinfacht werden. Es könnte barrierefreier sein.
E: Das beste Beispiel ist eigentlich die Bon-Pflicht: Wir haben jeden Bon aufgehoben. 90 Prozent der Leute wollen keinen Bon – und das Finanzamt kann auf unsere Kasse zugreifen, die sehen sowieso alles!
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RESTAURANT PARADIES UND DAS PROJEKT „RESTELOS“
Poppenreuther Str. 21, Nürnberg.

JONAS TROLL, 33, schmeißt das Paradies seit 2014. Seit 2017 alleine als Geschäftsführer. 33 Jahre alt. Er hat hier seine Ausbildung gemacht. Und hat vier Leute im Team.
ELNA TIETBÖHL ist seit 2015 hier. Sie hat sich zur Servicechefin hochgearbeitet, ist zuständig für Orga und alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat.




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#Essen, #Gastronomie, #Nachhaltigkeit, #Paradies, #Restelos

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