So geil war der 1. Stadtkanalkongress

SAMSTAG, 22. OKTOBER 2022, NüRNBERG

#Architektur, #Kongress, #Stadtentwicklung, #Stadtkanal, #Vortrag, #Wissenschaft

Es gibt laufend und viele Kongresse auf Erden, die einen sind naja, andere sind solala, wiederum andere gähn. Aber es gibt auch solche: yeah, nice, voll gut und geil. Der beste Kongress jedoch lief am vergangenen Samstag, 22. Oktober vom Stapel: der 1. Nürnberg-Fürther Stadtkanalkongress in der Villa Leon.  
Jetzt wird sich wahrscheinlich der Eine oder die Andere fragen: Warum zum Kartoffelbrei war der 1. Nürnberg-Fürther Stadtkanalkongress so mega?

Es ist nicht schwierig, die Frage zu beantworten: weil die Vorträge so saugut waren, einer nach dem anderen. Da war kein kleinster Spalt frei, aus dem die Langeweile hätte heraus kriechen können, da gab es keine Wiederholung, kein dummes Gebabbel, kein unverständliches Theoretisieren, kein Jammern oder Klagen – da gab es nichts anderes als geballte Fachkompetenz von einer Spitzenredner*in zur nächsten.

Nach einer wunderbaren Grußbotschaft des politbande-Stadtrats Ernesto Buholzer Sepúlveda ging es los mit Tom Konopka vom Bund Naturschutz in Bayern. Er berichtete wie es kein anderer könnte davon, wie in den 1960er-Jahrend der alte Ludwig-Donau-Main-Kanal in eine Schnellstraße verwandelt wurde. Dieser Verkehrsweg bewegt bis heute die Gemüter, da immer mehr Autos auf diesem sogenannten „Frankenschnellweg“ mitten durch die Stadt fahren und Nürnberg sogar plant, die Autobahn mit noch einem Dutzend mehr Fahrspuren, einem Monster-Tunnel und einer vierspurigen Rennstrecke in die Innenstadt auszubauen. Was logischer Weise was zur Folge haben würde? Richtig: noch viel, viel, viel mehr Autos, die sich in die Wohnviertel und die Altstadt wälzen werden, ohne Hoffnung je irgendwo einen Platz zum Parken finden zu können. Ganz schön schlau. Nicht.

Anschließend berichtete der Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein von seiner Idee, aus der A73 wieder einen Kanal zwischen Nürnberg und Fürth zu errichten, wodurch sich die Lebensqualität für zehntausende Menschen in den anliegenden Vierteln Eberhardshof, Gostenhof, Schweinau, Sankt Leonhard, Gibitzenhof usw. gewaltig verbessern würde. Eine grüne Frischluftschneiße mit tausenden Kleingärten, Fahrradschnellweg, Bäumen, Freibädern, Freilichtbühne und Sozialwohnungen wäre mit weit weniger Geld, als der Autobahnausbau kosten würde, möglich. Von der Verbesserung des Stadtklimas ganz zu schweigen.
Zum Thema Verkehrswende sprach nach der Pause Prof. Dr.-Ing. Harald Kipke von der Technischen Hochschule Georg-Simon-Ohm in Nürnberg. Er zeigte knallhart und gemäß allgemein gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass eine Verkehrswende in Nürnberg nicht nur notwendig sondern auch relativ einfach möglich wäre. Wenn man halt endlich dem Glauben abschwörte, dass mehr Straßen zu einem besseren Verkehrsfluss führen würden. Denn das Gegenteil ist der Fall. Die Folgen von immer mehr Autos, die von immer besseren Straßen angelockt werden, sind heute schon eine Plage für die Allgemeinheit.

Ein hochinteressantes Projekt stellten Dennis Klose und Elvira Hendricks aus Hannover vor. Die Genossenschaft ecoVillage baut ein eigenes Öko-Dorf mit Wohnungen für 1000 Menschen. Und zwar eigenhändig, ohne Großkonzerne, Immobilien-Haie oder Investmentmakler. Ziele sind hundertprozentige Klimaneutralität, Wohnraum für alle Geldbeutel und Schaffung einer gleichberechtigten diversen und offenen Gemeinschaft. Ein großer und großartiger Plan, der inzwischen schon bis zum Bau des ersten Hauses fortgeschritten ist. Für den Nürnberg-Fürther Stadtkanal ein Beweis, dass es sehr wohl möglich ist, dass Menschen ihre städtische Umgebung gemeinsam selbst gestalten, ohne große Konzerne oder staatliche Kontrolle. Einfach an den Graswurzeln beginnend.

Zugeschaltet aus der schönen Niederländischen Stadt Utrecht meldete sich nach der Mittagspause Eelco Eerenberg, seines Zeichens Beigeordneter und Projektmanager, bei uns mit Hilfe von dem Internet. Er befindet sich in der beneidenswerten Lage, über die Transformation einer innerstädtischen Autobahn zurück in einen Kanal berichten zu können. Daher wollten ihm auch gar nicht mehr die schönen Bilder ausgehen, die das neue Utrecht – mit neuem alten Kanal, ohne Autos – zeigten. Holland, du machst es richtig!

Danach betrat Anne Klein-Hitpaß die Bühne. Sie leitet seit Juli 2021 den Forschungsbereich „Mobilität“ am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Sie erzählte von großartigen Beispielen aus aller Welt, wo Straßen autofrei gemacht oder sogar zurückgebaut wurden. Aus ihrer Sicht ist es immer so, dass es bei Projekten, die das Automobil aus den Städten zurückdrängen sollten, zwei Mal großes Geschrei gibt: das erste Mal, wenn eine neue Aufteilung des öffentlichen Raums beschlossen wird. Da wird gejammert und geklagt, dass angeblich die Welt unterginge und ohne Autos die Zivilisation zusammenbräche. Das zweite Mal dann jubeln alle und loben die tolle Verbesserung der Lebensqualität, die sie nie wieder vermissen wollen. Um diesen Schritt zu tun, braucht es nur etwas Mut und guten Willen der politischen Entscheidungsträger*innen.

Der Top Act war aus Großräschen angereist: Prof. Dr. Rolf Kuhn, ehemaliger Direktor des Bauhauses Dessau und Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land. Ihm ist etwas richtig Großes und Schönes gelungen. Unter seiner Leitung wurde das ehemalige Braunkohle-Tagebau-Revier in der Lausitz nach Stilllegung in eine Seenlandschaft voller verzauberter Orte, Industriedenkmäler und Naturoasen transformiert. Mit viel Grün am Wasser, so wie auch die Kanallandschaft zwischen Nürnberg und Fürth einmal sein wird.

Da sich drei amtierende Stadträt*innen aus Nürnberg – Mike Bock, Christine Kayser, Ernesto Buholzer – und einer aus Fürth (Christoph Wallnöfer) im Saal befanden, durfte natürlich eine ordentliche Talk-Runde zum Abschluss nicht fehlen. Es ging heiß her, doch Kathi Mock aus Erlangen, als Poetry-Slam-Weltmeisterin bekannt im ganzen Land, moderierte die Runde so, dass souverän nur Hilfsausdruck. Man sagte sich auf der Bühne Dinge, die endlich auch einmal gesagt werden mussten, und stellte fest, dass es ja niemandem weh tun würde, wenn man jetzt einfach mal auch seitens der Stadt darüber nachdenken würde, ob es nicht etwas Sinnvolleres gäbe als diese Autobahn quer durch Nürnberg.

Vielleicht war das ja schon der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen den Nachbarstädten einerseits und dem neuen Kanal andererseits, der sie in naher Zukunft auf die allerliebreizendste Weise verbinden wird? CURT jedenfalls lädt hier schon mal alle ein: zum Grillen im großen CURT-Garten am Nürnberg-Fürther-Stadtkanal. Wirklich alle? Ja, wirklich alle.

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Der Stadtkanal

Heute führt die Autobahn A73 quer durch das Gebiet der Städte Nürnberg und Fürth. Dieser sogenannte “Frankenschnellweg” wurde in den 1960er Jahren auf der Trasse des alten Ludwig-Donau-Main-Kanals errichtet. Die aktuelle Diskussion dreht sich darum, wie die alltäglichen Staus auf dieser Autobahn, die Nürnberg in eine nördliche und südliche Hälfte zerschneidet, verwaltet werden könnten. Die Pläne für eine Untertunnelung hierfür würden sehr große Mengen Geld verschlingen, aber am Grundproblem eines permanenten Verkehrskollaps’ nichts ändern können.

Der Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein vertritt den Standpunkt, dass eine innerstädtische Autobahn nicht mehr zeitgemäß für das 21. Jahrhundert ist. Wir plädieren für eine verkehrspolitische Wende und setzen uns dafür ein, dass die vom unbeschränkten Kraftfahrzeugverkehr in Beschlag genommenen Flächen in eine innerstädtische Wasserlandschaft rückverwandelt werden.

Ein Wasserweg bietet gleichermaßen Vorteile für das Stadtklima, nachhaltigen Verkehr und Nutzung der knappen Flächen im dichtbesiedelten städtischen Raum. Darüber hinaus eröffnen sich neue Perspektiven für Tourismus, Freizeit und nicht zuletzt die wirtschaftliche Entwicklung (Gaststätten, Handel, Handwerk und Dienstleistungen).

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Noch viel mehr Infos auf der Website des Vereins:
https://nfsk.de
 




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