"Das Ziel muss Null sein": Was fordert die Zero Covid Initiative?

FREITAG, 15. JANUAR 2021, NüRNBERG

#Corona, #Covid, #Initiative, #Pandemie, #Unterschriften, #Virus, #Zero Covid

Seit wenigen Tagen kursiert eine Homepage, ein offener Brief, ein Schlagwort über Social Media. Es könnte ein neuer, radikaler Ansatz der Virsubekämpfung sein, ganzheitlich gedacht und dabei ziemlich kapitalismuskritisch. Zero Covid. Oder auch: Wir machen dicht. Was steckt hinter der Idee vom vollständigen Lockdown?

Die Situation, in der wir uns im Januar 2021 befinden, ist paradox. Jeder stöhnt auf seine Weise über die fortdauernden, immer wieder verlängerten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie: Der Einzelhändler, der nichts verkaufen darf, die Musikerin, die nicht auftreten darf, die Privatperson, die niemand treffen darf. Gleichzeitig bekommen nicht wenige beim Blick auf die Balken in der Tagesschau das Gefühl einer gewissen Vergeblichkeit: Warum das alles, wenn’s doch nix bringt. Klar, auch eine Stagnation der Fallzahlen ist momentan ein kleiner Erfolg und die Szenarien einer Situation, in der die Schulen momentan geöffnet wären, kann man sich ausmalen. Richtig ist aber auch, dass Tausende noch immer in Büros hocken (müssen), bevor sie sich in die Heimquarantäne zurückziehen, dass sie sich auf dem Weg ins Büro in die Tram quetschen. Und dass die Lockdownmüdigkeit die Suche nach den Schlupflöchern umso reizvoller macht. 

So weit, so schwierig. Dass Maßnahmen notwendig sind, sollte jedem klar sein. Die nächsten Lockerungen aber kommen bestimmt auch und damit naht das Risiko eines Jojo-Effekts, von Lockdown zu Lockdown. Zero Covid nun ist eine Initiative, die eine andere Strategie vorschlägt und anhand von fünf Punkten die Umsetzung einer echten, radikalen Pause fordert. Europaweit – und nicht nur den privaten, sondern auch den wirtschaftlichen Sektor betreffend. Das Ziel der Pandemiebekämpfung dürfe nicht länger in Kontrolle und niedrigen Infektionszahlen bestehen: “Das Ziel muss Null sein.”

Dahinter steht auch der Gedanke, dass das Leben der Menschen ja ohnehin schon eingeschränkt sei – nur eben, potentiell, länger als bei einem konsequenten Shutdown. Klar ist auch, dass eine solche Strategie nur dann wirksam umgesetzt werden kann, wenn sie flächendeckend, also europaweit stattfindet. Die deutsche Zero Covid Initiative schließt sich mit ihrem Aufruf dem internationalen Vorbild unter dem Schlagwort Contain Covid an, der bereits im Dezember von Wissenschaftler*innen in die Welt gesetzt wurde. Konkret würde Zero Covid bedeuten, dass eben nicht “nur” der Handel schließt, sondern auch auf Baustellen, in Fabriken und Büros Ruhe einkehrt. Ein Shutdown dieser Art beträfe alle Bereich der Wirtschaft, die “gesellschaftlich nicht dringend erforderlich sind”. Dies einige Wochen, mindestens aber so lange, bis das Ziel null Ansteckungen erreicht wäre. 

“Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen”, formuliert die Initiative. Wir alle sind freilich kapitalismustechnisch ausreichend trainiert, um reflexartig zu fragen: Wer soll das bezahlen? Die Auswirkungen einer solcher Stilllegung sind natürlich am Ende der Knackpunkt. Denn Zero Covid fordert nicht nur die Aussetzung der Arbeitspflicht, sondern darüber hinaus ein umfassendes Rettungspaket für alle, die zuhause bleiben müssen und dabei besonders für jene, die besonders hart betroffen sind, siehe: Menschen mit niedrigem Einkommen, wohnungslose Menschen, Menschen in beengten Wohnverhältnissen, etc.

Das Prinzip der Finanzierung heißt Umverteilung. Schließlich, so die Initiative verkürzt, sind wir immer noch in Europa. “Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben. Mit diesem Reichtum sind die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos finanzierbar.” Zero Covid ließe sich demnach mit einer Solidaritätsabgabe auf höchste Einkommen, hohen Vermögen, Finanztransaktionen und Unternehmensgewinne finanzieren. Schaut man sich beispielsweise an, wie es den Milliardär*innen mit der Krise geht (Spoiler: prächtig) oder wie einzelne Unternehmen die Situation auch für Profite nutzen können, erscheint dieser Ansatz gleich weniger weit hergeholt. 

Und wenn man schonmal dabei ist, Solidarität einzufordern: Konsequenterweise will Zero Covid auch Änderungen im Gesundheitssystem, also bessere Entlohnung der Beschäftigten, die Rücknahme von Privatisierungen im Gesundheitsbereich und eine Behandlung von Impfstoffen als globales Gemeingut, die nicht zur privaten Profiterzielung genutzt werden, sondern der gesamten Menschheit gehören. 

Ziemlich viel Holz, das der bisherigen Coronapolitik teilweise grundlegend widerspräche. Ein solche rasche und dabei auch noch europaweite Hinwendung zu einer radikalen Zero-Covid erscheint nicht gerade wahrscheinlich. Vorbilder für diesen Weg gibt es aber bereits, Australien wird gerne genannt, das das Virus zurückdrängen konnte. Zugegeben, ein Inselstaat. Die europäische Herausforderung wäre noch einmal eine andere. Aber auch Thailand oder Vietnam können als beispielhaft gelten wie Matthias F. Schneider, Physikprofessor an der TU Dortmund, Stephen Duckett, gesundheitspolitischer Berater der australischen Regierung und  Yaneer Bar-Yam, Präsident des New England Complex Systems Institut, in diesem hoffnungsvollen Gastbeitrag für T-Online ausführen. Darin heißt es auch: “Es ist verständlich, wenn Geschäftsleute den Ruin befürchten und den Termin herbeisehnen, endlich wieder Geld in die Kasse zu bekommen. Es nutzt aber nichts, wenn sich durch frühe Öffnung zunächst einige Geschäfte mehr retten, dies aber einen weiteren Lockdown verursacht, bei dem dann umso mehr aufgeben müssen.”

Logisch, das Thema bleibt so komplex wie umstritten und Initiativen, die den Anschein erwecken, die einzig denkbare Lösung aller Probleme gefunden zu haben, sind kritisch zu untersuchen. Das dauert. Gleichzeitig fehlt die Zeit. Die Zero-Covid-Bewegung scheint zumindest einen Hebel gefunden zu haben, um auf konstruktive und wissenschaftsfreundliche Weise neue Ideen zur Pandemiebekämpfung zu entwickeln und damit dem dauernden Störfeuer der Coronaleugner endlich mehr als stoisches Achselzucken entgegensetzen zu können. Unter den Erstunterzeichner*innen finden sie bekannte Namen wie Luisa Neubauer, Margarete Stokowski oder Raul Krauthausen. Aus Nürnberg zählen der Musikverein, namentlich Eve Massacre, Sara Lohr von Akne Kid Joe, die Medizinische Flüchtlingshilfe und die antifaschistische Initiative Das Schweigen durchbrechen dazu. 

Viel Kunst und gesellschaftliches Engagement, freilich auch Ärzte. Ausgemachte Virologen oder Epidemiologen sucht man dort derzeit noch vergeblich. Dennoch scheint der Ansatz stichhaltig und die Auseinandersetzung mit den Ideen von Zero Covid unbedingt lohnenswert.

Den gesamten Text und die Möglichkeit zum Unterschreiben findet ihr hier:
zero-covid.org 




Twitter Facebook Google

#Corona, #Covid, #Initiative, #Pandemie, #Unterschriften, #Virus, #Zero Covid

Vielleicht auch interessant...

ROTHENBURGER STRAßE. Während die Stadtspitze nach wie vor am Konzept Ausbau des Frankenschnellwegs festhält, wächst der Widerstand in der Bevölkerung. Die einen wollen das ganze Ding durch einen Kanal ersetzt haben, die anderen einfachen nur, dass der Stadtrat nochmal drüber redet. Mittels Bürgerantrag möchte ein breites Bündnis die Politik gar dazu verpflichten, die Alternativen zum Ausbau zu thematisieren. Eine solche wäre das Wohngebiet Frankenschnellweg, für das am Montag schonmal der Grundstein gelegt wird.  >>
NÜ/FÜ/ER. Es begann in Fürth. Im April, als das ganze Lockdown-Ding noch neu und frisch für uns war, hörte man auf einmal, in der Kleeblattstadt geschehe Unglaubliches: Konzerte. Vor Publikum. Die Initiative Kultur vor dem Fenster, ins Leben gerufen von Katja Lachmann und Marc Vogel, brachte und bringt seither Menschen in Fenstern und auf Balkonen mit ihren Lieblingskünstler*innen zusammen. Es dauerte nicht lange, bis sich auch Nürnberg dem Kultur-Fensterln anschloss.   >>
KüNSTLERHAUS IM KUKUQ. So langsam wird das mit dem Spaziergang: Nicht nur das Konfuzius-Institut (bzw. der Kunstraum desselben in der Pirckheimerstraße) stellt momentan Gewinner*innen eines Fotowettbewerbs aus, sondern ab sofort auch das Künstlerhaus. Hinzu kommt das Bernsteinzimmer mit seinem Bernstein-Kabinett (bis 06. Dezember mit den Wunderkammern von Susanne Stiegeler). Googles Vorschlag für unseren Nürnberger Kunstspaziergang siehe unten, dabei sind allerdings die neuen Litfaßsäulen nicht mit eingerechnet, die den ein oder anderen zusätzlichen Schlenker bedeuten würden. Ärzte empfehlen aber eh 10.000 Schritte am Tag, wenn man dabei auch noch Kunst bestaunen kann, trainiert man Herz und, äh, Hirn.   >>
Kultur  13.11.2020
INTERNET . ANKÜNDIGUNG: NUEJAZZ-DIGITAL-EDITION.
Pressetext: Auf Grund der neuen Corona-Maßnahmen muss das NueJazz 2020-Festival in der geplanten Form abgesagt werden. Mit der live produzierten NueJazz Digital Edition präsentieren die Veranstalter mehr als ein musikalisches Trostpflaster. Festivalleiter Frank Wuppinger: „Es tut uns in der Seele weh, aber wir blicken trotzdem nach vorne. Mit der Digital Edition bieten wir Jazz-Fans eine attraktive Alternative.“

Nürnberg, am 31. Oktober 2020 – Es war angerichtet. Mehr als das. Die Bands waren gebucht und voller Vorfreude, die Helfer instruiert und motiviert, das Hygiene-Konzept akribisch ausgetüftelt und: sämtliche Karten waren im Vorverkauf vergriffen. Doch drei Tage, bevor das Preisträger-Konzert des Bruno Rother-Wettbewerbs am 3. November das achte NueJazz-Festival eingeläutet hätte, kam die Hiobsbotschaft: das Event muss auf Grund des besorgniserregenden Pandemie-Verlaufs in seiner geplanten (und ohnehin schon abgespeckten Form abgesagt werden. „Es tut uns in der Seele weh“, sagt Festivalleiter Frank Wuppinger, „aber es hilft nicht. Die Maßnahmen sind auf Grund der aktuellen Entwicklung aber auch nachvollziehbar.“
Digitales Jazz-Erlebnis, vom BR-Klassik unterstützt: die NueJazz Digital Edition

Dass man bei den Veranstaltern des noch jungen Jazz-Events nicht gewillt ist, in Selbstmitleid zu versinken, zeigt die eilig konzipierte Festival-Alternative: die NueJazz Digital Edition. Gemeinsam mit dem BR/Studio Franken soll ein attraktives Jazz-Format produziert werden. Dabei geben am 13. November vier bis fünf junge Jazz-Acts in der Nürnberger Kulturwerkstatt „Auf AEG“ 30- bis 45-minütige Konzerte. Im Anschluss auf die vom BR/Studio Franken aufgezeichneten Shows bittet Beate Sampson, Jazz-Expertin bei BR-Klassik, zum Musiker-Talk. Noch offen ist, wann die Sendung ausgestrahlt wird. Fest steht aber schon jetzt: Wer wissen möchte, wie die junge deutsche Jazz-Szene tickt, sollte sich die NueJazz Digital Edition nicht entgehen lassen. Und: Das schnell auf die Beine gestellte Format beweist erneut die Innovations-Freudigkeit der Nürnberger Festival-Macher – eine Mentalität, die sich stets auch im NueJazz-Programm spiegelt. Weitere Infos finden sich auf der NueJazz-Facebook-Seite.

Den Käufern der Tickets wird der Eintritt selbstverständlich zurückerstattet.  >>
20240317_Tafelhalle
20240201_Staatstheater
20240201_Mummpitz_160
20240201_Kaweco
20240201_NMN_Weaver
20240201_Referat_Umwelt_Konferenz
20230703_lighttone
20240201_Retterspitz
20240324_AfF
20240201_VAG_D-Ticket
20240201_Theater_Erlangen