250 Jahre curt: Grußwort des Kulturpreisträgers

1. AUGUST 2021 - 30. SEPTEMBER 2021, NüRNBERG

#250, #Andreas Thamm, #curt, #curt for ever, #Grußwort, #Jubiläum, #Kulturpreis der Stadt Nürnberg, #Stadtmagazin

Es hätte vom Timing her ja kaum besser laufen können. Wenige Tage vor Redaktionsschluss dieser edlen Jubiläumsabgabe reißt mich ein Phone Call aus dem fast schon hypnotischen Arbeitsflow. „Hallo, Herr Thamm, hier ist Lehner, Ihre Kulturbürgermeisterin!“ – „Frau Professor Lehner, wie schön, Sie wollen uns bestimmt zur 250. Ausgabe von curt gratulieren!“ – „Ja, also auch, na klar. Natürlich, stimmt ja, das ist ja jetzt.“ – „Ich muss jetzt dann auch direkt weitermachen, damit das Heft ganz supi wird.“ – „Ja, wieso ich eigentlich anrufe ... Sie sind Kulturpreisträger!“ – „... der Herzen, oder?“ – „Nein, nein, tatsächlich. Kulturpreisträger der Stadt Nürnberg. Herzlichen Glückwunsch!“

So, oder so ähnlich könnte es gewesen sein. Der eigentliche Preis, sagt der Chef, bestünde nun gar nicht primär in dem Geld, das mit dem Preis verbunden ist, Geld, sagt er, werde ohnehin überbewertet und verderbe den Charakter, wovor er mich, seinen Schutzbefohlenen, pflichtbewusst bewahren wolle. Er schiebt nervös zwinkernd einen Zettel mit seiner IBAN rüber. Der eigentliche Preis jedenfalls bestünde, in enger Absprache mit dem Amt für Kultur und Freizeit, in der einmaligen Möglichkeit, mich so prominent an dieser Stelle präsentieren zu dürfen. „Das curt-Vorwort, noch dazu zur Jubiläumsausgabe“, sagt er mit tränenerstickter Stimme. „Eine Ehre. Große Kraft, große Verantwortung. Ist mir nicht leichtgefallen“, sagt er, „aber jetzt schenk ich dir das. Zum Kulturpreis.“ – „Ich hab das beim letzten Mal schon gemacht“, sage ich, „und davor auch, glaub ich.“ – „Trotzdem“, sagt der Chef, lächelt ganz selig und legt mir väterlich eine Hand, nein, eine haarige Pfote auf die Schulter. „Mach das mal, bitte.“
Schweißgebadet fahre ich aus meinen wirren Träumen hoch. Wo bin ich, wo sind mein ergonomisches Nackenkissen und mein Kuschelhamster? Schadhaftes Gelächter dringt an mein Ohr, es riecht nach Alkohol, Hundefutter und Pizzabrötchen. Ich bin gar nicht daheim. Ich bin noch immer im Büro. Die Kolleg*innen feiern und trichtern Sekt von der Dachterrasse, während der Chef seinen vollständig entblößten Astralleib in ein selbstgeknüpftes Klettergeschirr schnürt und sich „Aus der Bahn!“-trällernd abseilt. Mit flinken Fingerchen befestigt er ein monumentales Transparent: „curt ist Kulturpreisträger!“, steht da. Das war also gar kein Traum. Das ist die Realität.

Mannometer, denke ich. So ist das wohl jetzt. Noch nicht mal zweieinhalb Jahre in dieser Stadt, erst den prestigeträchtigsten Redakteursposten ergeiert, und jetzt das. Deshalb nur ganz kurz, aber notwendig an dieser Stelle: Der Dank gilt der Stadt Nürnberg, dem curt Magazin, Heimstatt aller Kultur!, und den Menschen, die das bezahlen, was da in meine leergefressenen Taschen fließt. Das seid ihr alle, die Menschen da draußen. Ohne euch wäre die Kultur eine traurige Veranstaltung. Und ohne euch gäbe es wohl auch dieses Heft #250 nicht.

#232, als ich dazugestoßen bin. Ein Jahr lang war noch alles halbwegs normal, dann ging die Kacke aber mal so richtig los, und dass wir es bis auf diese Seite der Pandemie und bis zur #250 schaffen, das war in dieser Zeitspanne nie so klar, dass man sein Pausenbrot drauf verwettet hätte. curt hat sich verändert, ist seltener geworden, aber dafür mehr online, ist noch mehr Feuilleton und weniger Kalender und manchmal machen wir sogar sowas wie Kulturjournalismus, denn der wird hier dringender gebraucht denn je. Und gleichzeitig bleiben die wichtigen Sachen so, wie sie waren, lange, bevor ich hier anlandete. curt macht, was er macht, aus Überzeugung, übt sich jeden Tag in gnadenloser Selbstüberschätzung, liebt die Stadt, die Menschen, die Künstler*innen, will alles, reißt Wände ein, ist ein niemals gut organisierter Haufen, der schrumpft und wieder wächst und mitmischt.

250 Ausgaben dieses Magazins wiegen so viel wie ein ausgewachsenes und dann wegen Zahnfleischentzündung wieder abgemagertes Hochlandpony und sie sind aufeinandergestapelt so groß wie Theo Fuchs, der auf den Schultern vom Egersdörfer steht, und die beiden haben einen sehr langen Mantel an. Für jede Ausgabe pflanzen wir einen Wald, den wir mit unserem Schweiß düngen und schnell wieder abernten, um daraus das feinste Papier zwischen Matterhorn und Baltic Sea zu schöpfen. Mit jeder Ausgabe geht der sehnlichste Wunsch eines kleinen Kindes in Erfüllung, das uns in nicht allzu ferner Zukunft vor Pest und Cholera und Klimawandel bewahren wird. Große Kraft, große Verantwortung. Es stimmt schon, was er sagt.

Das 250. Ausgabe versammelt einmal mehr alles, was ihr zum glücklichen Leben braucht. Das Gute, das Schöne, das Unverpassbare. Wir schauen Open-Air-Kino mit euch, wir schlendern durch Kunstparcours mit euch, wir fressen uns durch die Stadt mit euch, wir stehen mit Gulaschsuppenatem neben euch, ob ihr wollt oder nicht, bei Nürnberg Pop und beim Figuren.Theater.Festival und in den Kulturläden der Fairtrade Town Nürnberg. Und dafür wollen wir wie immer: fast nichts. Nur das Eine: dass ihr auch mit uns seid und mit uns feiert. In den kommenden Wochen wird curt die 250 (und ein bisschen auch den Kulturpreis) schamlos vor sich her tragen und zur Feier von allem die ganze Metropolregion beschenken: Bands werden, äh, bekommen Bier und goldene Untersetzer fluten die Kneipenszene. Die Dachterrasse wird ein kulturelles Ausgehparadies und überall lauscht man den Lesungen unserer Autor*innen aus unserer Anthologier Schreibkrise. Es wird kein Entkommen geben, es wird keine*r entkommen wollen.

Durchatmen. Und nochmal kurz im Ernst: Das ist ein cooler Laden hier, für den ich, ob Preis oder nicht, sehr dankbar bin. Das ist gar nicht selbstverständlich, in einem Job so viel Spaß auch zu haben. Ich schreibe diese Zeilen aus freien Stücken und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Oder was davon übrig blieb.

Ich seh euch auf der andern Seite!

Euer Kulturdödel #1 aka Andreas Thamm (vom Chef Thamminator genannt)




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