Siegfried Straßners Leem aus Leem: Geistreiches Gwerch
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Fränkische Lyrik - ? Ist das nicht rückwärtsgewandt, volkstümlich und gestrig? Die Antwort lautet: Nein. Fränkische Lyrik gibt's auch in frisch, progressiv und heutig. Ein Beweis möchte der Gedichtband „Leem aus Leem" des Nürnberger Autors und Literaturkurators Siegfried Straßner sein. Das Buch enthält 77 Mundart-Gedichte in, wie der Autor selbst erklärt, „feinstem Bastard-Fränkisch". Rezension von Theo Fuchs.
Und so ist es tatsächlich: die Aussprache dominiert, die kurzen Poesien laut – sich selbst oder anderen – vorzulesen ist daher schwer empfehlenswert, der Gedanke an ein noch zu produzierendes Hörbuch nicht komplett abwegig. Aber auch mit südmittelfränkisch-indigenen Begriffen wird nicht gegeizt: „derbleggd", „schdrullern", „pfopfern", „gsengde Sau" etc. Jedes Gedicht hat mit Leem zu tun. Also je nach Zusammenhang „Leben" oder „Lehm" (vgl Schöpfungsgeschichte).
Das obligatorische „Wischkästla" darf da nicht fehlen, in diesem weitgreifenden Rundumschlag gegen die geballte Blödheit der Gegenwart. E-Scooter, Instagram, Food-Blogger, PS-Boliden, Schwurbler, Hater – nichts wird ausgelassen. Das hört sich dann beispielsweise in knappester Form so an: „Event-Locations hiegrotzt / wous am scheensdn wor."
Straßners Fränkisch trägt mühelos verschiedenste Untertöne: es sprechen die Dummen, die Nostalgischen, die Aufgeklärten, die Empörten, die Weltweisen. Der springende Punkt ist jedoch ein anderer: der Autor unterwandert frech die Erwartungen, die man an eine sogenannte Mundart-Poesie mit sich herumträgt. Anti-konservativ und zeitkritisch sind seine Betrachtungen nämlich, gegen autoritäre Kleingeister zielend und viel näher dran am Poetry Slam als an nostalgischen-regressivem Alte-Weiße-Männer-Genörgel. Wie in den kompakten Zeilen, die sich über die Angst vor dem sogenannten „Gender-Wahn" lustig machen: wo kämen wir denn hin, fragt Straßner mit astreiner Ironie, am Ende gäb's auch noch den „Jesus als Madla aufm Christkindlesmarkt".
Diese sprachlichen Miniaturen sind spannend im besten Sinne, weil man selten weiß, welche Kurve der nächste Halbsatz nimmt. In der Bilanz sind die ausgeführten Gedanken einige Jahrzehnte jünger als man von einem erwarten würde, der in drei Monaten in Rente geht. Formal sehr knapp, oft reichen zwei Sätze, wenn nicht nur einer. Nach plus/minus zehn Zeilen steht die Botschaft sauber hingezimmert. "Des Gwerch am End schaffmer selba".
Melancholisch, witzig, verspielt, kunstvoll. Unser Favorit: Das dystopisches Endzeitgedicht zum absolut liebenswerten Thema „Holler-Sträußla nausbaggn".
Siegfried Straßner hat jetzt schon zahlreiche Fans, obwohl fränkische Lyrik ja absolute Nische. Falls aber (wer weiß?) demnächst Bestseller: dann haben Sie's im CURT zuerst gelesen!
PS: CURT hat sich die Poeme vom Wortkünstler Siegfried Straßner höchstselbst im Zeitungscafé Hermann Kesten vorlesen lassen. Daher kann die Schreibung der Zitate durchaus von der gedruckten Variante abwarten, aber Fränkische Rechtschreibung ist eh ein Fass, das wir nicht dingsen!
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Siegfried Straßner: Leem aus Leem
ars vivendi, 108 Seiten, 18 Euro
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