Superblock: Wer profitiert von gesperrten Straßen in Goho?
#Gostenhof, #Interview, #Nürnberg, #Superblock
Nürnberg, so schön sie auch ist, erfüllt nicht gerade alle Kriterien einer grünen, skandinavisch angehauchten Fahrradfahrermetropole mit sauberer Luft und sicheren Schulwegen. Aber: Auch dank Initiativen wie Nürnberg autofrei tut sich etwas. Mehr Fußgängerzonen, mehr Fahrradstraßen, ... jedes Jahr ein, zwei kleine Schritte. Und dieses Jahr ein großer? Im August wurden in Gostenhof Sperrpoller gesetzt, Straßen bemalt, wo vorher Autos fuhren, Tischtennisplatten und Blumenkübel aufgestellt ... Denis-, Volprecht- und Austraße sind nun teilweise Superblock – und damit für den Autoverkehr gesperrt. Ein schönes Projekt, zumindest auf den Bildern. Vor Ort gibt es natürlich auch Gegendwind und Zoff. Wir sprachen mit Elisa Schleider von Nürnberg autofrei über die ersten Wochen.
CURT: Wir sitzen im Superblock. Endlich da, aber wie fing das an?
ELISA SCHLEIDER: Die ganze Initiative startete schon vor Jahren. Da stecken neben Nürnberg autofrei Initiativen wie beispielsweise der Verkehrsclub Deutschland (VCD) mit drin, die den Superblock als Ziel ausgegeben haben, zuerst unabhängig von Gostenhof. Dass wir den nun hier haben, war eigentlich eher eine politische Entscheidung. Der Stadtrat und das Verkehrsplanungsamt haben am Ende gesagt: Hier könnten wir das machen. Seitdem ist auch der Bürgerverein Gostenhof fest miteingebunden. Wir haben dann im November mit regelmäßigen offenen Stammtischtreffen angefangen, die wir auch immer offen kommuniziert haben. Und im Zuge dessen sind verschiedene AKs entstanden, um auch mal konkreter an Aspekten arbeiten zu können.
Wie viele Leute gehören so zu diesem Stammtischkreis?
Regelmäßige Teilnehmer:innen der Stammtische würde ich sagen vielleicht zehn, fünfzehn. Aber es sind unglaubliche viele Menschen assoziiert dabei, die dann z.B. sagen, ich hab keine Lust auf Treffen, aber sagt mir doch punktuell Bescheid, weil ich handwerke gerne.
So wurde zum Beispiel das Boot in der Austraße gebaut und so sicher gemacht, dass man es auch in den öffentlichen Raum stellen darf. Unsere Signalgruppe hat 130 Mitglieder, insofern sind wir schon getragen durch viele Menschen.
Du wohnst selbst nahe dran, wie hast du diesen Superblock-Sommer erlebt?
Meine Kinder sind 9 und 11 Jahre alt und wenn man anfängt, die Welt aus der Perspektive von Kindern zu betrachten, fällt einem erst auf, wie viele Hürden und Gefahren es eigentlich gibt. Obwohl wir uns hier in Gostenhof in einem Bereich befinden, wo die ersten Spielstraßen Deutschlands gebaut wurden, würde man seine Kinder nicht unbedingt allein auf die Straße schicken. Die Autos fahren hier sehr schnell durch, es wird wild geparkt, die Kreuzungen sind immer zu. Deswegen war ich von Anfang an eine große Befürworterin dieses Projekts. In meiner subjektiven Wahrnehmung überwiegen bislang in der Realität, also außerhalb von Kommentarspalten, die positiven Aspekte. Ich bin selbst Gießpatin für diesen Bereich, d.h. ich wurde eingewiesen, wie man den Hydranten öffnet und da kommt man immer wieder mit Menschen ins Gespräch. Viele sagen: Danke, das ist total cool. Und gerade die Kinder freuen sich, weil sie hier spielen können und keine Angst mehr haben müssen. Aber alleine, dass man überhaupt mit Menschen ins Gespräch kommt, ist etwas Neues und total Schönes. Dazu gehören schon auch diejenigen, die einen beschimpfen, aber gefühlt ist das die Minderheit.
Wenn jemand zu dir kommt, der sich ärgert: Kommt ihr ins Gespräch oder sind das verhärtete Fronten?
Ich würde leider sagen: verhärtete Fronten. In den ganzen Monaten, in denen wir diese Stammtische gemacht haben, kamen immer wieder Leute, die das nicht gut fanden und sich dieser Gruppe an Befürwortern gestellt haben. Ich hatte da schon das Gefühl, dass die danach gesagt haben: Ich habe das jetzt besser verstanden und mir wurden auch Ängste genommen und Fragen beantwortet. Weil teilweise wurden wir einfach mit Mythen konfrontiert, wie: Ganz Gostenhof soll für Autos gesperrt werden. Das ist ja überhaupt nicht der Fall. Um vielleicht mal auf die Parkplätze zu sprechen zu kommen: Im Gesamtgebiet Superblock fallen 58 Parkplätze weg – von insgesamt über 2.000.
Was sagt ihr den Menschen, die sagen: Ich bin aber aufs Auto angewiesen, ich muss zu blöden Uhrzeiten einen Parkplatz finden, ich bin alt oder Schichtarbeiter und jetzt fahre ich halt noch mehr und produziere noch mehr Abgase dadurch, dass es weniger Parkplätze gibt?
Einerseits ist es ja so: 58 Parkplätze fallen weg, es sollen aber auch 95 Anwohnerparkplätze neu ausgewiesen werden. Momentan sind viele Parkplätze einfach noch kostenfrei, die man theoretisch monatelang besetzen kann, auch wenn man hier gar nicht wohnt. Andererseits, klar, wir sind alle damit groß geworden, dass man in Deutschland so ein gefühltes Recht auf Parkplatz hat, eigentlich auch umsonst. Man fährt irgendwohin und denkt: Einen Parkplatz wird man schon finden. Das ist irgendwie eine verrückte Anspruchshaltung, wenn man mal überlegt, was das die Allgemeinheit eigentlich kostet. Es ist immer schwierig, Dinge wieder wegzunehmen, auf die man ein vermeintliches Anrecht hat, das verstehe ich. Aber eigentlich ist es eine Frage von Flächengerechtigkeit. Gostenhof ist eines der sogenannten sozial angespannten Quartiere, hier besitzen nur 30 Prozent der Haushalte überhaupt ein Auto. Das heißt, die Menge derjenigen, die jetzt profitiert, ist einfach viel größer. Der Superblock eignet sich jetzt als Feindbild, aber vielleicht sollten wir uns lieber mal anschauen, wie viele Autos einfach nie bewegt werden, wie viele Anhänger irgendwo rumstehen, welche Autos von Kneipenbesuchern kommen, die keine Lust haben, die U-Bahn zu nehmen. Ich finde es wichtig, dass niemand eingeschränkt wird, sondern im Gegenteil, dass die Gruppen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, in solche Planungen mit einbezogen werden. Viele andere könnten überlegen: Gibt es Alternativen dazu, als Individuum permanent eine Fläche zuzustellen? Ist das gerecht?
Unabhängig vom Auto wird euch vorgeworfen, wieder zur Aufwertung des Stadtteils beizutragen, der ja schon ein Problem mit Gentrifizierung hat. Könnt ihr die Kritik nachvollziehen?
Die Diskussion gibt es ja schon länger und auch im Vorfeld wurden Flyer verteilt, die behaupteten, durch den Superblock würden die Mieten steigen. Es stimmt, dass die Mieten in Gostenhof steigen,
einfach so, die ganze Zeit schon, und das finden wir genauso schrecklich wie alle anderen auch. Ich finde auch, man sollte das im Blick behalten. Damit wir nicht nur mit einer gefühlten Wahrheit arbeiten, stehen wir auch in Kontakt zum Deutschen Mieterbund. Wir wollen auf keinen Fall so eine Entwicklung begünstigen. Ich denke aber auch nicht, dass wir nur Flächen für junge Familien und Hipster schaffen, sondern für alle Menschen hier vor Ort. Ich sehe hier ganz viele Jugendliche und junge Erwachsene, wo ich mich frage: Wo wart ihr vorher? Ich liebe genau das an Gostenhof, das Marktplatz-Ding, das zufällige Treffen und genau deswegen wohne ich auch hier. Am Boot in der Austraße treffen sich Kinder und tanzen, ältere Damen haben bereits „ihr“ festes Kaffee/Tee-Eck, die Tischtennisplatten sind oftmals alle gleichzeitig belegt Es gibt so viele Momente, die vorher einfach nicht stattgefunden hätten.
Auch das finden vielleicht nicht alle Leute schön, wenn junge Leute abends oder nachts auf der Straße sind, und man selbst vielleicht Schicht arbeitet …
Ich verstehe das total und glaube auch, dass hier total viele Leute Schicht arbeiten. Mein Mann steht selbst total früh auf. Andererseits liege ich auch oft nachts im Bett und auf der Straße vor dem Fenster lässt jemand eine halbe Stunde den Motor laufen. Und wenn man hier durch die engen Straßen fährt, ist das wahnsinnig laut. Es ist uns aber ein Anliegen, dass das keine Partyzonen werden und dass man miteinander im Gespräch bleibt. Die Grundlage dafür ist geschaffen. Ich wohne seit 15 Jahren hier und wie viele Menschen ich nochmal durch dieses Projekt kennengelernt habe, die zwar auch hier leben, aber vielleicht keine Kinder haben oder einen anderen Bekanntenkreis … Das ist so cool und es kann uns insgesamt nur nützen, wenn mehr Menschen einander kennen.
Glaubst du, man hätte das ganze Projekt doch noch besser kommunizieren können?
Ein bisschen schon. Insgesamt leben wir natürlich in einer Zeit, in der es diesen Common Ground nicht mehr gibt, wo man alle erreicht. Es gibt hunderttausend Kanäle und es ist total schwer da vorzudringen. Es gab ganz viel Social Media, es gab Flyer und Plakate überall im Viertel, da stand der Hinweis auf unsere Mitmachtreffen und auf die Homepage drauf … Bevor der Superblock kam, hatten wir verschiedene Interviews gegeben. Die Stadt hat auf ihren Kanälen und in der Zeitung informiert. Aber am Ende bleibt es ein großes ehrenamtliches Projekt. Mehr geht immer und man muss in dieser Welle mitschwimmen, obwohl das eigentlich nicht so schön ist. Deshalb finde ich das eine extrem schwierige Frage.
Nach dem Testjahr wird entschieden, ob und wie es weitergeht?
Ja. Zum einen wird in manchen Straßen gemessen, wie sich der Verkehr entwickelt, damit wir einen Vorher-Nachher-Effekt haben: Ist es wirklich so, dass der Verkehr sich nur verlagert? Geht der Superblock zu Lasten derer, die nicht direkt dran wohnen? Ich denke, am Anfang von solchen Verkehrsprojekten entsteht immer erstmal Chaos. Wir haben selbst unsere eigene Wohnung gar nicht mehr gefunden. Aber die Menschen gewöhnen sich daran, suchen andere Wege und nehmen dann vielleicht doch mal das Fahrrad, wo sie früher das Auto genommen hätten. Man nennt das in der Verkehrswissenschaft auch „traffic evaporation“ oder „disappearing traffic“ – quasi das Gegenteil von induziertem Verkehr durch den Bau neuer Straßen oder Verkehrspuren. Daneben gibt es noch eine ganze Liste anderer Faktoren, die ausschlaggebend sein werden, um das zu evaluieren. In Barcelona fing das schon ´93 an mit einem Superblock, jetzt ist die Planung so, dass es 503 werden sollen. Und eigentlich soll Gostenhof auch die Blaupause für andere Stadtteile werden. Vielleicht kommt man hier am Ende auch nicht bei vier, sondern zwei oder drei Fußgängerzonen raus, je nachdem, wo es am besten funktioniert.
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Superblock
Neue Treffpunkte in der Denis-, Volprecht und Austraße.
www.changing-nuernberg.de/superblock-goho
Elisa Schleider (Jg. 1982) lebt mit ihrer Familie seit 2010 in Gostenhof und engagiert sich aktiv in der Koordination und Umsetzung Superblocks Gostenhof. Die promovierte Naturwissenschaftlerin arbeitet als Scientific Education Managerin bei Novartis. Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in Goho kennt sie seit ihrer Kindheit: Ihre Großeltern waren Hausmeister im Plärrer-Hochhaus.
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