Kindertheater-Festival panoptikum: Wird super, trotz allem!

6. FEBRUAR 2024 - 11. FEBRUAR 2024, NüRNBERG

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Zum 13. Mal seit dem Jahr 2000 findet in Nürnberg das Europäisch-Bayerische Kindertheaterfestival panoptikum statt. Die Zahl 13 ist für Andrea Erl, der künstlerischen Leiterin, kein Grund, abergläubisch zu sein. „In diesem Fall nicht“, schränkt sie ein.
Zwischen 6. und 11. Februar sind 69 Aufführungen und Veranstaltungen angesetzt. 6.500 Tickets stehen zur Verfügung. 100 Delegierte aus ganz Europa haben sich angekündigt. 21 Compagnien aus acht Ländern werden unterstreichen, dass gutes Kindertheater auch immer Erwachsenenunterhaltung ist. Die Zeiten dafür sind allerdings nicht besser geworden: durch diverse Krisen ramponierte öffentliche Budgets, in Kombination mit explodierenden Kosten für Technik und Personal, sowie Europas Rechtspopulisten, die auch in dieser Szene hörbar Existenzangst verbreiten.
Andreas Radlmaier traf Andrea Erl.

ANDREAS RADLMAIER: Wie ist aktuell die Situation für das Kindertheater im Allgemeinen und das Festival panoptikum im Besonderen?
ANDREA ERL: Zwei große Linien. Zum einen sind wir heilfroh, dass Corona vorbei ist. Es ist das erste reguläre Festival nach dem Wahnsinn 2022. Wir konnten wieder auf Festivals reisen, auswählen, unsere Netzwerke aktivieren. Wir sind wieder international, wir sind wieder da! Finanziell stehen wir in der Gesamtsituation am Rande. Es wird alles teurer, wir bekommen aber keine Erhöhungen der Zuschüsse. Da drehen wir an den kleinsten Stellschrauben. Am Ende wird’s darauf hinauslaufen, dass das Theater Mummpitz als Hauptorganisator mehr Mittel zuschießen muss. Das heißt, wir sind zwiegespalten: Wir freuen uns sehr, haben aber auch Not.

Hast du Sorge, dass die Kinderkultur vor lauter Krisengetrommel verschärft unter die Räder kommt?
Ja, denn wir können mit den Eintrittseinnahmen nicht kostendeckend arbeiten. Wir haben eine Verpflichtung, weiterhin faire Preise anzubieten. Gleichzeitig hören wir, dass Familien kein Geld mehr haben, die Schulen mit gesellschaftlichen Aufgaben überlastet sind, wir also auch hier helfend zur Seite stehen müssen. Ich finde, dass die Gesellschaft, die Stadt mehr Gesicht zeigen, mehr Geld in die Hand nehmen muss.

Werden Dir die explodierenden Kosten überall gespiegelt, egal aus welchem Land?
Ja. Es sind auf der einen Seite die Kosten. Dann ist es in anderen Ländern auch die politische Situation. Holland, Schweden – da gibt’s andere Regierungen. Da wird Kultur anders gefördert, weniger und mit weniger Zutrauen und Vertrauen, einfach durch rechtsgerichtete Regierungen. Da geht’s meines Wissens aktuell nicht um Einflussnahme auf Stoffe und Besetzung, eher um die immer unzuverlässigere Förderung, kürzere Förderperioden, die die Theater-Compagnien zermürben und teilweise auch auseinanderbrechen lassen.

Hatte das Konsequenzen für die diesjährige Auslese? Sind da Lücken entstanden?
Nein, weil Truppen alles tun, um auf Festivals auftreten zu können. Erst recht bei panoptikum. Wir könnten 30 Gruppen einladen. Das passt aber nicht zu unserem Konzept, und nicht zu unserer Kapazität.

Gibt’s inhaltlich neue Trends?
Wir suchen ja nicht spezielle Themen, eher spezielle Formen in den Ländern, die wir dieses Mal in Tschechien und Litauen auch gefunden haben. Auffällig ist aber schon, wie viele in ihren Geschichten erzählen, was man mit kleinen Dingen bewirken kann. Dass es nicht die ganz große Weltgeschichte ist, sondern eher: Wie können kleine Menschen durch ihr Verhalten die Welt mitbestimmen. Auch in akrobatischen Stücken wie „Fast aus dem Nichts“ der französischen Compagnie Manie. Da geht’s um drei Generationen, die auf der Bühne Akrobatik machen. Und erst allmählich verstehst du: Alle drei Generationen sind wichtig. Jeder kann etwas sehr Eigenes, etwas sehr Spezielles. Groß und toll wird’s aber, wenn sie miteinander spielen und damit zusammenkommen.

Das ist eine französische Produktion. Frankreich ist stark vertreten. Warum?
Die Franzosen haben nach meinem Eindruck sehr früh angefangen, verschiedene Kunstsparten zusammenzudenken. Also weniger: Hier ist Schauspiel, dort die Figur, hier ist Akrobatik, dort ist Tanz. Sondern die Ausdrucksformen in hoher Professionalität zu verweben. Die Gruppen müssen sich auch auf dem Markt behaupten. Der ist weniger geprägt von festen Häusern, sondern von Gastspielen und einer großen Organisation, die sich um die Compagnien kümmert.

Sprechen die Franzosen auch von erschwerten Bedingungen?
Kann ich nicht sagen. Ich weiß es von den Benelux-Ländern, von Italien. Da war es aber immer schon schwierig innerhalb des eigenen Landes. Zurück zu den Themen: Wir bieten den Kindern die Themen an, die gerade in der Welt sind. Wir setzen einen kleinen Schwerpunkt auf Trauer. Wie gehen Kinder mit schwierigen Situationen um. Ich habe zum Beispiel die interaktive Installation „Ein Bettchen von Trost“ der Holländerin Hanneke Paauwe gesehen. Die fand ich berührend, wie man da für alle Altersgruppen eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Verlust und Trost fand. Dazu bieten wir auch ein Rahmenprogramm an. Gesprächsrunden. Oder das Hörstück „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist am unglücklichsten im Land“. Da haben wir Kinder nach Unglücksorten befragt. Das war total spannend und berührend, weil die Kinder zunächst keine Unglücksorte nennen wollten.

Spielt das Isoliertsein in Corona-Zeiten eine Rolle?
Vielleicht der nachträgliche Blick darauf, was gemeinsam im Kleinen gehen kann. Dass der Mikrokosmos funktionieren muss. Der ist ja unterbrochen worden. Die kleinsten sozialen Geschichten fanden nicht mehr statt. Jetzt wieder darauf Wert zu legen und welche Blüten die Aktivitäten bringen können, das ist schon sichtbar.

Bei alledem ist Euch die Bandbreite von Schauspiel über Tanz bis Figurentheater und Akrobatik wichtig.
Ja. panoptikum bedeutet ja die Ansammlung von Sehenswürdigkeiten. Der gemeinsame Nenner sind Kinder von drei bis 13 Jahren als Zielgruppe. Und darin die größtmögliche Bandbreite.

Ist die Haltung „Kindertheater ist Märchenstunde“ inzwischen ein Relikt vergangener Jahrzehnte?
Kommt auf die Kreise darauf an. Es gibt immer noch Leute, die bei Kindertheater „bunt, laut, Märchenstunde“ erwarten. Beim Festival jetzt weniger.

Und im Alltag?
Bei älteren Theatermachern, durchaus (lacht).

Das heißt, panoptikum ist in jedem Fall ein Sonderfall, was Bündelung von Qualität, was Attraktivität und Spielformen angeht.
Kann man schon sagen. Das Festival hat sich auch einfach dahin entwickelt. Das sollte ja 2000 ein einmaliges Ereignis sein. Inzwischen, glaube ich, gibt es auch vor Menschen, die darauf warten, was aktuell im Angebot ist. Unser Ziel ist immer: das ist für Kinder. Aber wir laden nichts ein, was nicht auch Erwachsenen gefällt.

Nun also die dreizehnte Ausgabe. Bist du abergläubisch?
In dem Fall nicht.

Wird es eine 14. Ausgabe geben?
Wir sind schon am Reisen.

Mit Andrea Erl als künstlerischer Leiterin?
Ja, ich würde das gerne noch weitermachen.

Was haben diese Entdeckungsreisen mit dir als Regisseurin gemacht?
Das ist unterschiedlich. Man muss ja auch sagen, wie viel schlechtes Kindertheater es in der Welt gibt. Es ist also nicht immer ein Vergnügen. Dann freut man sich umso mehr über Gutes. Und als Regisseurin ist das natürlich ein Geschenk, zu sehen, wie andere Kolleginnen und Kollegen rangehen. In der Wahl der eigenen Mittel wird man dadurch natürlich offener.

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Das Festival panoptikum
findet alle zwei Jahre statt. Aus der Idee zum Stadtgeburtstag im Jahr 2000 entwickelte sich eine international beachtete Biennale. Bei der dreizehnten Ausgabe sind elf bayerische und zehn europäische Produktionen von Dänemark bis Italien in sämtlichen Ausdrucksformen zu erleben. Schauspiel und Tanz ebenso wie Akrobatik und Objekttheater.
Etwa 6.500 Tickets gehen in den Verkauf, knapp 70 Veranstaltungen sind geplant. 100 Delegierte aus ganz Europa werden erwartet. Das Rahmenprogramm bietet Installationen, Gesprächsrunden, Diskussionnen, Eislaufen und Projekte mit Studierenden.
Zu den Besonderheiten des Festivals gehören die Kooperationen mit anderen Häusern. So sind heuer auch die Tafelhalle, die Kulturwerkstatt auf AEG, das Theater Pfütze, das Theater Salz&Pfeffer, das Theater Rootslöffel, das Theater Mummpitz, die ehemalige Sparkassen-Filiale Maxi-Kunst sowie ein fahrender Bus als Partner dabei.

Vom 06.02. bis 11.02. in unterschiedlichsten Häusern in Nürnberg.
Präsentiert natürlich von: curt.

Andrea Maria Erl
ist seit 1994 die künstlerische Leiterin des Nürnberger Kindertheaters Mummpitz im Kachelbau. Sie leitet das Festival panoptikum seit der ersten Ausgabe im Jahre 2000. Inszenierungen von ihr – von „Ox und Esel“ über „Schneewittchen“ und den „Dreigroschenopa“ bis „Jazz für Räuber“ – waren in Wiesbaden, Berlin, München, Augsburg, Erlangen, Nürnberg und anderen Städten zu sehen. Sie brachte 2009 das bundesweit einmalige Kinder-Kulturabo „Nürnberger Kulturrucksack“ auf den Weg und wählte aktuell als Teil der Jury das Programm für die 39. Bayerischen Theatertage aus, die ab Ende Mai in Ingolstadt stattfinden.



 




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