Nachhaltigkeit in der Region: Mehr Power durch Vernetzung

DIENSTAG, 27. APRIL 2021, NüRNBERG

#Forschung, #Interview, #Kommunikation, #Nachhaltigkeit, #Prof. Dr. Dernbach, #Studium, #TH Nürnberg

Über 56 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Städten, und es werden mehr. Nachhaltigkeit wird immer wichtiger, die Herausforderungen dabei immer größer, besonders im Verkehr und in der Energieversorgung. 2015 haben die Vereinten Nationen die „Agenda 2030“ verabschiedet, in deren Mittelpunkt 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung stehen, wie Klimaschutz oder bezahlbare und saubere Energie. Damit diese aber auch bei den Bürger*innen ankommen, müssen sie kommuniziert werden. Jedoch: In der Stadt Nürnberg und der Metropolregion gibt es keine gemeinsame Kommunikationsplattform der Akteure aus Politik, Wirtschaft, Medien und der Zivilgesellschaft. Und genau daran forscht Prof. Dr. Beatrice Dernbach mit ihren Student*innen vom Studiengang Technikjournalismus / Technik-PR an der Technischen Hochschule, gefördert von der Staedtler-Stiftung. curt wird dieses Forschungsprojekt begleiten, das bis Ende September 2021 laufen wird. Daraus entstehen soll eine digitale Plattform zum Austausch über nachhaltige Themen.

Frau Dernbach, Sie und Ihre Student*innen planen, eine Kommunikationsplattform für die Nachhaltigkeitsaktionen der Region zu schaffen. Gibt es bei uns besonders viel Nachhaltiges und daher besonders viel Kommunikationsbedarf?
PROF DERNBACH: Im vergangenen Winter hat eine Studierendengruppe eine Übersicht der politischen, ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Akteure im Feld der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit erstellt. Wir sehen, dass es in der Metropolregion viele Initiativen und Aktivitäten gibt, dass die aber kaum zusammenarbeiten. Stadt und die Region Nürnberg sind sicherlich Vorreiter und Vorbild, vor allem mit Blick auf die weltweit größte Bio-Messe Biofach und andere Events, die Vernetzung der Unternehmen im Netzwerk Nachhaltiges Wirtschaften der Industrie- und Handelskammer für Mittelfranken, dem Umweltreferat oder dem Verein Bluepingu. Aber: Die vielen Akteure und Aktionen sollten sich stärker vernetzen, kooperieren und kommunizieren. Dafür wollen wir diese Plattform aufbauen. Die wiederum könnte Beispiel für andere Regionen sein, die vermutlich vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Die Akteure, die Ihr integrieren wollt, sind sehr unterschiedlich. Wie breit muss man sich das vorstellen?
Das Spektrum ist groß und regional unterschiedlich. In Erlangen beispielsweise gibt es einen Nachhaltigkeitsrat, der – ähnlich wie Nürnberg – einen Nachhaltigkeitsbericht entlang der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen veröffentlicht hat. In diesem Rat – Nürnberg ist dafür noch in der Planung – sitzen Vertreter*innen der unterschiedlichsten Vereine, Verbände, Initiativen, Einrichtungen, Organisationen und Institutionen. Unser Ziel ist es, ein möglichst breites Spektrum dieser Akteure einzubinden und sie für eine gemeinsame Kommunikationsplattform für alle Bürger*innen und Interessierten zu gewinnen. Eine möglichst große Zahl an Mitwirkenden ermöglicht einen breiten und intensiven Austausch über viele Nachhaltigkeitsthemen. Dafür sollen gut recherchierte, journalistisch aufbereitete Informationen bereitgestellt werden.

Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit bedeutet sozioökonomische und auch ökologische Ressourcen zu schonen und nachhaltig zu fördern. Dementsprechend sind die Bereiche sehr breit gefächert. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur Umweltschutz. Die Vereinten Nationen haben mit der Agenda 2030 einen Plan mit 17 Nachhaltigkeitszielen aufgestellt. Das sind einerseits die globalen Ziele, die wir in Sachen Klimaschutz erreichen, aber auch die Maßnahmen, die in den Städten und Gemeinden von uns allen umgesetzt werden müssen. Die Palette reicht vom Einsatz erneuerbarer Energien, Recycling, nachhaltige Landwirtschaft, Ernährung, Mobilität, Bildung und Gleichberechtigung und nachhaltiges Wirtschaften. Die große kommunikative Aufgabe ist, die Dringlichkeit und Notwendigkeit des Handelns jedes Einzelnen zu verdeutlichen, ohne dass daraus eine pure Verzichts- und Verbotsliste wird.

Warum gibt es diese gebündelte Kommunikation noch nicht?
Unserer Beobachtung nach hat dies mehrere Gründe: Es gibt viele unterschiedliche Akteure aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen,
zum Beispiel aus der Friedens- und Klimabewegung, Frauen-, Umweltschutz-, Verbraucher- und sonstigen Initiativen, die in der Regel über viel ehrenamtliche Power aber gleichzeitig über wenige materielle Ressourcen verfügen. Hinzu kommt, dass der Begriff Nachhaltigkeit für viele noch immer komplex ist oder reduziert wird auf umweltpolitische Themen. Ein weiterer Grund könnte in der nach wie vor unterentwickelten digitalen Infrastruktur in Deutschland liegen. Zwar gibt es auf verschiedenen Ebenen Nachhaltigkeitsnetzwerke, aber die müssen kontinuierlich erweitert und belebt werden, unter anderem über eine gemeinsame technische Plattform – die auch zuverlässig und barrierelos funktioniert. Und Vernetzung setzt immer hohe Anforderungen an Koordination und Kommunikation. Das wiederum erfordert Personal, Zeit, Know-how und auch Geld.

Wird die Plattform ein partizipatives System, werden bereits existierende Konzepte und Elemente integriert? Oder wird alles neu entwickelt und aufgesetzt?
Den Stein der Weisen neu erfinden werden wir sicher nicht! In unserer Analyse existierender Netzwerke, die im Bereich Nachhaltigkeit, Informationsbereitstellung und Networking unterwegs sind, haben wir bereits anregende Ideen entdeckt, die wir in unser Konzept aufnehmen werden. Gerade weil wir schon viele Akteure in der Metropolregion gefunden haben, werden wir versuchen, hier anzusetzen und zu verknüpfen. Warum sollten wir Tools völlig neu entwickeln, die auf einer Plattform schon gut umgesetzt sind? Wir wollen eine Art Docking-Station aufbauen – oder um eine deutsche Metapher zu verwenden: einen Hafen – an dem viele große und kleine Schiffe anlegen können.

Wie entwickeln Sie das Projekt und wie wird geforscht?
Wir sind im Wintersemester mit einer Gruppe von zwölf Technikprofjournalismus-Studierenden ins Projekt gestartet, mit einer Analyse der Internetauftritte von politischen, ökonomischen und sozialen Akteuren, die wir als aktiv in Sachen Nachhaltigkeit identifiziert haben. Dabei wurde die digitale Kommunikation nach den SDGFeldern in den unterschiedlichen Kanälen sowie die Art der Kommunikation untersucht: Handelt es sich um eine One-Way- Information der Nachhaltigkeit, eine Kommunikation mit Dialogmöglichkeit oder eine sehr aktivierende, appellative Form? Wir haben einige interessante Ergebnisse gesammelt, die wir gerade in einem kleineren Team vertiefen. Bis Ende September 2021 werden wir ein Konzept für eine Nachhaltigkeitskommunikations- und Vernetzungsplattform verfasst haben.

Ihre Student*innen gehören zu einer sehr informierten und umweltbewussten Generation. Wie dringend sehen sie den Aufklärungsbedarf bei den Bürger*innen und wie kann eine digitale Plattform hier helfen?
PROF. DERNBACH : Die Antwort überlasse ich gerne meinen Mitarbeiter*innen ...
AYLIN: Es fehlt eine Anlaufstelle, um Bürger*innen umfassend informieren zu können. Bisher ist die Information nicht gebündelt auf einer Plattform zu finden. Es gibt bereits viele Nachhaltigkeitsakteure in der Region, aber sie haben oft zu geringe Reichweite. Die kann man mit einer verknüpfenden Plattform erhöhen.
ElLVIRE : Auch wenn es sich hier um kein neues Thema handelt, ist Aufklärung nötig, da die meisten vermutlich mit Nachhaltigkeit nur umweltspezifische Dinge verbinden. Eine Plattform kann verdeutlichen, dass Nachhaltigkeit nicht nur mit der Umwelt zu tun hat, und transparent aufzeigen, dass bereits viel zum Thema Nachhaltigkeit von unterschiedlichen Akteuren umgesetzt und nicht nur davon gesprochen wird.
CHRISTIAN: Aufklärungsbedarf gibt es immer, egal, ob durch nachkommende Generationen oder ältere mit neuem Wissensdurst. Es muss möglich sein, jede Interessengruppe in der Bevölkerung auf die Thematik aufmerksam zu machen und seriöse und belastbare Informationen zu bieten. Gerade in Zeiten, in denen Onlinemedien vermehrt von falschen Informationen und fehlgeleiteten Meinungen durchtränkt werden, ist es wichtig, Möglichkeiten der Aufklärung anzubieten. Generationenübergreifend ist eine maximale Reichweite nur mit einer digitalen Plattform realisierbar.

Ermöglicht dieses Projekt euch beteiligten Student*innen, tatsächlich etwas zu verändern und gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen? Wird das Thema bei euch dadurch noch bewusster und vielleicht sogar mehr gelebt?
AYLIN: Ja, weil ich mich durch die Gruppe bestärkt fühle, etwas zu verändern und voranbringen zu können. Das Thema Nachhaltigkeit muss für alle Altersgruppen sichtbarer werden.
ELVIRE : Es ist für mich verblüffend, wie viel tatsächlich bereits gemacht wird. Dies motiviert mich. Durch die Untersuchung der Stadt und dem Landkreis Bayreuth wird mir erst bewusst, wie viele verschiedene Akteure es gibt und wie diese versuchen, Nachhaltigkeit zu leben. Ich persönlich nehme das Thema jetzt natürlich bewusster wahr, werde mich aber nicht mehr nachhaltiger verhalten als vorher, da ich bereits alles Mögliche tue, um nachhaltig zu sein. Ich versuche schon länger einen nachhaltigen Lebensstil zu führen, dies hat aber mit meiner persönlichen Philosophie und Einstellung zum Konsum zu tun.
CHRISTIAN: Bei mir ist es eher umgekehrt. Durch die bereits vorhandene Motivation, etwas zu verändern und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, habe ich mich dafür entschieden, das Projekt zu unterstützen. Wie die anderen Teilnehmer*innen lebe ich bereits mit einer sehr ökologischen Einstellung und möchte diese mit meinen Mitmenschen teilen.

Frau Dernbach, curt wird dieses Projekt auf dem Entwicklungsweg begleiten – und darüber hinaus. Wie sieht bei einem derartigen studentischen Nachhaltigkeitskommunikationsprojekt die ideale Zusammenarbeit mit einem Kulturmagazin aus? ;)
Da wir Fachjournalistinnen ausbilden, bestehen verschiedene Möglichkeiten, angefangen beim gegenseitigen Verlinken auf unseren Seiten bis hin zu gemeinsamen Beiträgen. Wir veröffentlichen seit Jahren auf unserer Plattform „Querschrift“ Texte rund um das Thema Nachhaltigkeit. Auch die Beschäftigung von TJ-Studierenden bei curt als freie Mitarbeiter*innen oder Praktikant*innen ist sicher attraktiv.

Ganz sicher! Wir sind ein nachhaltiges Kommunikationskarrieresprungbrett mit ganz eigener Agenda. Wird unsere Welt durch euer Projekt ein bisschen besser?
Silvio : Hoffentlich! Ich wünsche mir ein stärkeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit in jeder Bevölkerungsschicht, unabhängig vom Alter und Milieu. Best-Practice-Beispiele sowie Experten sollten einfacher als bisher zu im Internet zu finden sein. Für Menschen mit kreativen Lösungen für unsere Umwelt soll es möglich sein, schnell weitere Kontakte für die Umsetzung vermittelt zu bekommen. Darüber hinaus wünsche ich mir eine stärkere Kooperation und Vernetzung bereits existierender Nachhaltigkeitsakteure.

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Nachhaltigkeitskommunikation in der Metropolregion Nürnberg
ein Forschungsprojekt der Technische Hochschule Nürnberg von Prof. Dr. Beatrice Dernbach. Student*innen: Aylin Bozkurt, Tatjana Ladwig, Elvire Frank, Christian Kalis, Vanessa Neuß, Silvio Rößler. Aus dem Projekt soll ein studentisches Start-up aufgebaut werden, sowie die Beratung anderer Städte und Metropolregionen mit Hilfe der gesammelten Erfahrungen.

querschrift.de/category/nachhaltigkeit




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