Nürnberg ist nicht frei von Rassismus: Martina Mittenhuber im Interview

MITTWOCH, 17. MäRZ 2021, NüRNBERG

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2020 fielen die Nürnberger Wochen gegen Rassismus aus. Dieses Jahr finden sie statt, im Rahmen der Möglichkeiten. Martina Mittenhuber ist die Leiterin des Menschenrechtsbürois der Stadt Nürnberg. Wir haben uns mit ihr darüber unterhalten, wie wir mit Alltagsrassismus umgehen können, wie ein digitales Festuval funktioniert und wodurch zivilgesellschaftliches Engagement einen neuen Schub erhält.

Frau Mittenhuber, das Menschenrechtsbüro plant seit 2017 für die Stadt Nürnberg die „Nürnberger Wochen gegen Rassismus“, die jeweils Mitte März stattfinden. In welchem Kontext stehen diese Wochen, warum finden sie im März statt?
Im Jahr 1966 riefen die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag zur Überwindung von rassistischer Diskriminierung“ ins Leben. Er soll an die 69 Opfer des am 21. März 1960 im südafrikanischen Sharpeville blutig niedergeschlagenen Protests gegen das Apartheitssystem erinnern. Seit 1994 nimmt auch Deutschland an den inzwischen auf zwei Wochen ausgeweiteten „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ teil. Es gab in Nürnberg schon seit vielen Jahren Veranstaltungen rund um den 21. März, allerdings nicht gelabelt als „Nürnberger Wochen gegen Rassismus“ und nicht eingebettet in die bundesweiten Aktivitäten, die ja auch immer ein eigenes Motto haben. Seit 2017 ruft das Menschenrechtsbüro öffentliche Institutionen und die Zivilgesellschaft auf, sich an den Aktionswochen zu beteiligen. Wir bündeln dann alle
Formate in einem Programmheft und bewerben sie über alle uns zur Verfügung stehenden Medien.

Die Wochen fielen ja letztes Jahr quasi Corona zum Opfer. Ein Jahr später sind die Umstände ähnlich, geplant sind mittlerweile über 30 Veranstaltungen. Warum und wie funktionieren die „Nürnberger Wochen gegen Rassismus“ dieses Mal?
Die Veranstalter*innen haben sich dieses Jahr überwiegend für digitale Formate entschieden, die unabhängig vom Infektionsgeschehen sicher stattfinden können. Einige Veranstaltungen, wie beispielsweise die Führungen des Nürnberger Menschenrechtszentrums in der Straße der Menschenrechte, oder der „D-Time“ Diversity Walk in der Innenstadt, haben als Freiluftveranstaltungen ebenfalls bessere Chancen, unter Einhaltung der allgemeinen Abstands- und Hygienevorschriften sicher durchgeführt werden zu können. Hier spielt zur Abwechslung mal eher das Wetter eine entscheidende Rolle. Und wir haben viele Aktionen und Ausstellungen im Programm, die dezentral, digital oder eben im Freien während der gesamten zwei Wochen stattfinden. Perfekt also, um sich ganz flexibel ein eigenes Programm für die beiden Wochen gestalten zu können. So wird es zum Beispiel am Nachbarschaftshaus Gostenhof eine „Wissen-to-go-30-Meter-Outdoor-Ausstellung“ zum Thema Rassismus geben – sie kann jederzeit im Rahmen eines Spaziergangs besucht werden.

Sind diese digitalen Events ein leichterer Einstieg oder eher eine Hürde?
Ich sehe Vor- und Nachteile: Der Einstieg kann digital niedrigschwelliger sein als bei Präsenzveranstaltungen, die Anonymität des Netzes baut möglicherweise Hemmschwellen ab und die Flexibilität der Teilnahme lässt sich bestimmt besser in die eigene Tagesplanung integrieren. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, dass es viele Menschen gibt, die noch analog unterwegs sind, aber auch Menschen, die über keine entsprechende digitale Hardware verfügen. Für diese gibt es damit hohe Hürden für die Teilnahme.

Wie wären die Wochen ausgefallen, wenn man „ganz normal“ planen und durchführen könnte? Was wären die Highlights gewesen – und können wir uns 2022 darauf freuen?
Natürlich wären normalerweise Begegnungen im Vordergrund gestanden, der persönliche Austausch bei Präsenzveranstaltungen gehört ja zu den zentralen Momenten, gerade bei einem so sensiblen Thema wie Rassismus. Auch die großen Kundgebungen und Demonstrationen rund um den 21. März haben immer ein großes Gemeinschaftserlebnis erzeugt. Wir hätten uns gewünscht, die Verleihung des MOSAIK- Jugendpreises als Präsenzveranstaltung in Nürnberg durchführen zu können. Er hat ja für uns große Bedeutung, da er im Gedenken an die bayerischen Opfer der Terrorgruppe „NSU“ ausgelobt worden ist.

Mehr denn je muss man gegen Rassismus ankämpfen. Wie zeigt sich Rassismus/Alltagsrassismus speziell in Nürnberg?
Rassismus ist ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft, davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Auch in Nürnberg sind wir nicht frei davon. Das zeigen die Beschwerden, die an unsere Antidiskriminierungsstelle adressiert werden. Vorurteile und Stereotype gegen bestimmte soziale, häufig konstruierte Gruppen können zu abwertenden Einstellungen und diese wiederum zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Menschen erleben das nach wie vor bei der Arbeits- und Wohnungssuche, wenn schon ein nicht Deutsch klingender Name oder das Tragen des Kopftuchs zur Absage führen. Als besonders verletzend empfinden Betroffene die immer wiederkehrenden abfälligen Bemerkungen, mit denen sie häufig im Alltag konfrontiert sind, an der Supermarktkasse, im Bus etc. Das schlimme Merkmal von Rassismus ist, dass er Menschen aus gesellschaftlichen Zusammenhängen ausschließt, für fremd und nicht zugehörig erklärt.

Sie planen einen Talk zu diesem Thema. Wie groß ist der „Aufklärungsbedarf“?
Für den 25. März planen wir in Kooperation mit den Nürnberger Nachrichten einen Talk zu diesem Thema. Zusammen mit Franziska Holzschuh möchte ich mit Betroffenen, aber auch mit Aktivist*innen ganz konkret zur Situation in unserer Stadt diskutieren. Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Was erwarten sie von der Politik hier vor Ort, aber auch von den Medien? Wie kann es uns gelingen, „antirassistische Kompetenz“ in der Gesellschaft aufzubauen? Wir erleben auch hier die Diskrepanz zwischen jenen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft und sozialem Status noch nie negative Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben und jenen, für die er zur alltäglichen Erfahrung gehört. Eines muss klar sein: Rassismus vergiftet das Zusammenleben und verhindert ein solidarisches Miteinander.

Wie zeigt sich in Nürnberg der Kampf gegen Rassismus? Gibt es hier (neue) Ansätze, Communities, Initiativen, Aktionen?
Ich denke, wir können hier in Nürnberg schon einiges vorweisen: Bereits seit zehn Jahren steht Betroffenen mit unserer Antidiskriminierungsstelle eine Anlaufstelle zur Verfügung, die berät, begleitet und empowered. Diese wiederum kooperiert eng mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dazu gibt es in Nürnberg eine reiche Infrastruktur, allein am Runden Tisch Menschenrechte versammeln sich regelmäßig mehr als zwanzig Organisationen, die allesamt auch das Thema Rassismus im Blick haben. Einen neuen Schub hat die Auseinandersetzung mit Rassismus auch bei uns durch die Black Lives Matter-Bewegung in den USA bekommen. Mit der Black Community Foundation hat sich auch hier eine von jungen Aktivist*innen getragene Grassroots-Bewegung mit neuen Aktionsformen gebildet.

Auch die Gewinner des zweiten Platzes beim MOSAIK-Jugendpreis 2021 sind junge Menschen, Studierende aus Nürnberg und Erlangen, die eine selbsterklärende APP geschaffen haben, um jüdische Geschichte erlebbar zu machen. Glückwunsch dazu!
Ihre Einschätzung: Sind junge Menschen heute den „Diversity Dimensionen“ aufgeschlossener als noch vor ein paar Jahren?

Ja, davon bin ich überzeugt. Unsere Jugendlichen wachsen schon ganz selbstverständlich in einer bunten und von Diversität geprägten Gesellschaft auf. In Nürnberg leben Menschen aus mehr als 160 Nationen zusammen, der Anteil von Menschen mit einer Zuwanderungsbiographie liegt bei Kindern zwischenzeitlich bei rund 60 Prozent. Personen mit nicht heterosexueller Identität outen sich sehr viel leichter als noch vor einer Generation. Menschen mit Behinderungen vertreten sehr viel organisierter und sichtbarer ihre Interessen. Diversität ist also längst gesellschaftliche Realität. Das heißt aber nicht, dass alle damit umgehen können. Deshalb gehört es zu unseren Aufgaben im Menschenrechtsbüro, für die Akzeptanz von Vielfalt als positiven gesellschaftlichen Gegenentwurf zu Ausgrenzung und Diskriminierung zu werben und zu arbeiten!
Wir sehen das natürlich auch als unsere Aufgabe.

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Nürnberger Wochen gegen Rassismus
vom 15. bis 28. März in Nürnberg und digital.
Staabsstelle Menschenrechtsbüro & Gleichstellungsstelle
www.menschenrechte.nuernberg.de




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