Theobald O.J. Fuchs: Die Füße vom Sitz!

DONNERSTAG, 1. OKTOBER 2020, NüRNBERG

#Kolumne, #Literatur, #Theobald O.J. Fuchs

«Runter mit den Füßen vom Sitz!» schnarrte eine befehlsgewohnte Stimme. Es war meine eigene. Der Schaffner zuckte zusammen, sein Gesicht wurde kreidebleich. 
«Sorry, sorry», stammelte er. 
«Sorry!? Das ist alles, was dir einfällt, du Schmutzfink?» Gegenüber solchen Hallodris kann man nicht unnachgiebig genug sein. 
«Entschuldigung», wimmerte er, «Entschuldigung, das wollte ich sagen...» Hastig zog er die Schuhe wieder an und rollte das Handtuch, das er über das Polster gebreitet hatte, ein. 
«Und jetzt los! Sie meinen wohl, die Passagiere kontrollieren sich von alleine oder was?» 
«Ja, ja, ich mach ja schon.» 

Nur mühsam kühlte mein Zorn ab. Es war auch bei der Bahn wie überall: Alles musste man selbst erledigen. Nichts klappte von allein. Erst heute morgen kam ich deswegen wieder eine Dreiviertelstunde zu spät zur Arbeit. Unterwegs musste ich zwei Autofahrern beim Einparken helfen. Ein Mann, eine Frau – immerhin ist die Unfähigkeit der Leute paritätisch verteilt. Der Typ beschwerte sich dann doch glatt, dass ich ihn aus dem Wagen gezogen hätte. Hatte ich allerdings tun müssen, denn ohne Druck hätte der mich nie ans Steuer gelassen, der hätte noch stundenlang erfolglos probiert, in die Parklücke zu kommen. Unfassbar wie blöd der sich anstellte! Manche Leute muss man eben zu ihrem Glück zwingen ... Völlig aussichtslos, dafür auch ein «Danke» zu erwarten, wie es eigentlich recht und billig wäre. 
Zum Beispiel die Bauarbeiter, die mir dann fünf Minuten später in die Quere kamen. Was daran so schwer ist, an einem zwanzigstöckigen Hochhaus ein Gerüst aufzustellen, werde ich nie begreifen. Einfach die Haken in die Wand, die Seitenteile auf die Lage darunter, Bretter drauf, zack und fertig! Da muss man doch nicht endlos rumtun und den Leuten die Zeit stehlen. Und sich erst recht nicht beschweren, dass ihnen jemand hilft. 
Mein Sohn berichtete letzthin aus der Schule, dass es dort genauso zugeht, wenn nicht sogar schlimmer. Der Lehrer faul und unfähig. Die Kinder haben selbst Lerngruppen eingerichtet. Dieser sogenannte Oberstudienrat muss nun jede Viertelstunde eine Prüfung schreiben – besteht er nicht, gibt‘s ein paar mit der Rute auf den Hintern. Das hat noch niemandem geschadet! 

Ich freue mich darüber, dass die zukünftige Generation das Heft selbst in die Hand genommen hat. Natürlich unter Anleitung meines Sohnes, denn die anderen Kinder sind ja, bei aller Liebe, auch nichts als das Abbild ihrer völlig lebensunfähigen Eltern. Die zu großen Teilen wirklich komplett vertrottelt sind. Da können manche nicht einmal mehr zu Fuß geradeaus gehen, sobald sie aus ihrem SUV gestolpert sind, in dem sie wahrscheinlich sogar ihre Notdurft auf den Sitz verrichten. Widerlich! 
Einmal haben die Lehrer versucht, aus dem Schulkeller zu entkommen, indem sie aus alten Lateinbüchern einen Turm zum Deckenlicht aufschlichteten. «Hätten sie besser jemanden gefragt, der sich auskennt», habe ich damals nur gesagt, als mich die Polizei wegen der vier ... aber was soll‘s? Waren ja vorher schon lupenreine Opfer gewesen. 

Diese Leute können nichts, wissen nichts, denken sich nichts. Selbst um das Verbrechen muss ich mich selbst kümmern, sonst wird das nie etwas. Dass es mir niemand dankt, ist natürlich klar, aber das ist mir egal. «Wer arbeitet, der macht auch mal einen Fehler. Bloß ist das in jedem Fall besser, als in der Komfortzone vergammeln», sage ich immer. Und dass der Rumäne der rechtmäßige Eigentümer des Reihenhauses und kein Einbrecher war, das hätte er mir besser gleich gesagt. Eben einfach rechtzeitig. 
Die Witwe hätte sich mir gegenüber schon etwas dankbarer zeigen können, immerhin kriegt sie die Lebensversicherung und nicht ich. Aber gute Erziehung ist ja mittlerweile am Aussterben. Das sagte ich auch dem Mafiosi vorne am Eck, der sich beschwerte, dass ich seinen Spielsalon angezündet hatte. Was ihm völlig recht geschah! Wenn man auf die uniformierten Idioten warten würde, kann man auch schon mal Moos ansetzen. Ich muss wohl nicht betonen, dass ich die ganze Chose obendrein eigenhändig gelöscht habe, ehe das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff, und den Mafiosi persönlich zu seinem Abschiebeflug nach Luxemburg schleppte. 
Selbst da, wo man eigentlich intelligente Arbeitskräfte vermuten würde, gibt es heute nichts mehr anderes als Pfusch und Schlendrian. Meine Frau kam gestern von einer Geschäftsreise nach China zurück. Die anderen Passagiere des Jumbo-Jets können ihr dankbar sein, denn sie übernahm bald nach dem Start das Steuer von den völlig inkompetenten Piloten. Dienst nach Vorschrift wollten die machen. Autopilot ein, lecker schnabulieren wie in der first class. Und am Ende noch ein Schläfchen – aber nicht mit meiner hochbegabten Holden! Was da alles hätte passieren können, wenn sie nicht entschlossen eingegriffen und den beiden Honks in ihren Kabarettuniformen die Knüppel aus der Hand genommen hätte. Super-Checker-Bunny kam eine Stunde vor der planmäßigen Zeit an und landete mit dem exakt letzten Liter Sprit. Das nenne ich Präzision, ihr Luschen, steckt euch euer übertriebenes Sicherheitsdenken sonst wo hin! 

Ich bin perfekt, das weiß ich, aber selbst für mich gilt: das Bessere ist der Feind des Guten. Auch ich habe noch Optimierungspotenzial, denn ich habe mich selbst analysiert. Natürlich nicht wie alle Epsilon-Trottels mit irgendwelchem Gelaber. Nein, ich habe eine neuartige Tomographie-Maschine gebaut, die eine präzise Karte von meinem Gehirn erstellt. Dreidimensional, darin werden mit verschiedenen Farben die Zonen angezeigt, die schon super funktionieren, und die, die noch nicht optimal laufen. Was natürlich nicht heißt, dass sie unterdurchschnittlich wären oder irgendetwas Mieses, mit dem das stumpfe Volk herumrennt. Nein – wie gesagt: Bessere. Feind. Des Guten. Wenn man das nicht kapiert hat, braucht man eigentlich vom Leben gar nichts zu erwarten, dann landet man automatisch auf der Resterampe, beim Räumungsverkauf für Verlierer. 
Meine Frau wird den Spiegel halten, wird mir die Instrumente reichen, notfalls auch eine Blutung stillen. Sie kann das, sie ist die Beste. Ich werde mich selbst am Gehirn operieren [1,2]. Schlicht, weil ich der Beste für diesen Job bin. Werde meine eigene Hardware pimpen, meine sensationelle Denkrennmaschine bis zum Anschlag tunen, völlig neue Standards. Ich alleine weiß, was zu tun ist. Werde meine Überlegenheit aus eigener Kraft nochmal um Größenordnungen steigern! Sie hören von mir, das garantiere ich ... Und immer schön die Füße vom Sitz, verstanden? 

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Theobald O. J. Fuchs:
Es geht wieder los mit den Terminen für unseren Theo. Am 27.10. im Loft – Gostners Suppkultur ab 20 Uhr, ein Gruselabend mit voraussichtlich Peter Kunz.
Weiter geht´s am 07.11. in Sulzbach-Rosenberg im Capitol, mit Michael Ströll als musikalische Begleitung. 
Am 02.12. geht´s nochmal ins Loft, diesmal mit seinem „Der zweite Krautwickel“. Theo liest ab 20 Uhr aus seinem Roman. VVK 8,50/5,50. AK 9,50/6,50.
Und, man mag es kaum glauben, er schüttet Bier nicht nur seine Kehle hinunter, sondern schreibt auch darüber und ist mit neun Geschichten in einem Bierbrevier beteiligt, gerade ofenfrisch auf dem Tisch: Unser täglich Bier gib uns heute
 




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