Theobald O.J. Fuchs: Im Homeoffice der Nacht

FREITAG, 9. APRIL 2021, GOSTENHOF

#Gostenhof, #Hinten raus, #Kolumne, #Literatur, #Shortstory, #Theobald O.J. Fuchs, #Vampire

Es bleibt einem ja gar nichts anderes mehr übrig, als sich irgendwann mit dem derzeit alles dominierenden Thema zu beschäftigen. Daher will auch ich mich nicht länger drücken und im Folgenden fragen: Gibt es Vampire in Gostenhof? Und falls nicht – wie kann das sein?

Zum Glück wohnen wir gleich ums Eck von einem transsylvanischen Kulturzentrum. Nur ich weiß von diesem geheimen Ort in der Adam-Klein-Straße 666. So dass es kein Problem ist, auf einen Sprung vorbeizuschauen und direkt an der Quelle Informationen zu sammeln. Fakten aus nullter Hand, Augenzeugenschaft, Erkundigungen im total besoffenen Zustand – das ist der Qualitätsjournalismus, den CURT-Leser erwarten. Bzw. verdient hätten. Was auch immer »bzw.« in diesem Zusammenhang bedeuten soll.

Gesagt – getan. Raus aus der Homeoffice-Jogginghose, rein in die Kurze-Besorgung-im-Kiez-machen-Jogginghose. Nichts kann mich aufhalten, außer freilich die  Ausgangssperre. Apropos: »Wie geht es Vampiren mit der Ausgangssperre?«, so soll meine erste Frage an Ida und ihren Onkel Franz Jumatatemort lauten. Ich kenne sie schon seit Jahren. Gostenhof ist ein Dorf, dunkle Ecken gibt es reichlich – da läuft man sich praktisch zwangsläufig irgendwann über den Weg.

Der Onkel reicht mir noch im Hausflur ein Wasserglas randvoll mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. »Auf dein Wohl, Nachbar«, begrüßt er mich. Und fügt, als er meinen skeptischen Blick auf den Schnaps bemerkt, hinzu: »Ist nicht, was du denkst! Möchte ich nur ein Mal erlebt haben, dass du kannst sehen durch Blut. Das war, als ich gebissen habe Schneemann droben in Arad. Hab ich verwechselt mit Freund aus Ungarn, wir waren sehr besoffen damals. Haben wir gelacht! Chrchrchr ...«

Wir leeren die Gläser auf Ex. Die Maske müssen wir dabei natürlich vom Gesicht ziehen. Danach sind wir beide desinfiziert, so dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht. Benzin kriegt jedes Virus kaputt, das wird mir deutlich, während ich darauf warte, dass der Trank sich durch meine Magenwände brennt. Franz hat leichte Schwierigkeiten, den Mund-Nasen-Schutz vom Kinn zu kriegen, da sich seine zentimeterlangen Reißzähne irgendwie im FFP2-Filz verhakt haben.

Schließlich gelingt ihm die Befreiung und freundlich grinsend führt er mich in die Wohnküche mit den Fenstern zum Hinterhof. Von unserem Balkon auf der Rückseite des Gebäudes schräg gegenüber sehe ich hier täglich bis tief in die Nacht ein rotes Licht brennen. Tagsüber sind die Vorhänge zugezogen und nichts rührt sich.

Ida sitzt am Küchentisch, ihr Gesicht hinter den riesigen, pechschwarzen Gläsern einer Sonnenbrille verborgen, vor sich ein Laptop. Ida ist um die vierhundert Jahre alt, sieht aber deutlich jünger aus.

»Hey, schön dass du mal vorbei schaust!« sagt sie und von ihrer Unterlippe rinnt ein blutroter Faden über ihr schneeweißes Kinn. Ein Tropfen hat sich angesammelt und droht auf die Tastatur zu fallen.
»Obacht!« sage ich und tippe an mein eigenes Kinn.
»Huch! Danke ... was führt dich zu uns?«
»Trinken will er noch einen Schnaps mit mir, stimmt‘s?« zwinkert mir Franz zu.

Klar, wie war das nochmal? Was einen nicht auch umbringen kann, wirkt überhaupt nicht – alter Grundsatz der Medizin. Ida trinkt natürlich auch einen mit. Franz lässt sich stöhnend in den Sessel fallen und wechselt unvermittelt in den Dialekt der k.u.k. Donaumonarchie, dem Land seiner Geburt:

»Macht frisch, nicht wahr? In meinem Alter ... aber entschuldigen‘S, Herr Magister, setzen‘S erna bittschö, ganz nach Pläsir ...«
Ich schnappe mir den einzigen freien Stuhl im Raum.
»Nun, eigentlich nichts Besonderes...« antworte ich zögerlich auf Idas Frage. »Ich hab mich nur gewundert, wie‘s euch so geht, mit den Masken, Abstandsregel,  Ausgangssperre und so. Ich meine, ihr arbeitet doch nachts... gewöhnlich.«
»Das ist lieb, dass du dich erkundigst. Aber uns geht’s prima. Wir sind im Homeoffice, oder, Onkel Franz?«
Der Onkel wackelt mit dem Kopf und summt im Schlaf eine uralte Melodie, an die nur er sich nicht mehr erinnern kann.
»Im Wesentlichen kann ich alles mit dem Computer erledigen«, fährt Ida fort. »Für die anonymen Drohanrufe habe ich Skype, und junge Männer erschrecken geht mit Jitsi oder Webex. Natürlich habe ich eine spitzen HD-Kamera, so dass es richtig echt wirkt, wenn ich so tue, als würde ich ihnen ins Gesicht beißen. Kennenlernen über Tinder oder Okcupid ist das geringste Problem. Ich kann inzwischen auch unheimliche Geräusche bei irgendwelchen Fremden aufs SmartPhone spielen, da haben mir aber ein paar technisch versierte russische Verwandte geholfen.«
»Ach, was höre ich? Du schreibst dir heimlich mit Sergej Iwanowitsch?« Franz war wieder aufgewacht. »Ein guter Junge möchte das sein, leider hängt bloß noch an Computer. Dabei hat er ausgesaugt in seine beste Zeit die halbe Familie von Zar. Darauf wir sollten trinken!«
»Und sonst so?« frage ich behutsam nach. »Seid ihr gut versorgt mit allem ... äh,  notwendigen Dingen wie … naja, Klopapier, Getränken, Lebensmittel?«
Ida zaubert ein Lächeln wie eine gebogene Messerklinge in ihr Gesicht. »Überhaupt kein Problem! Lässt sich alles im Internet bestellen. Bisher war es immer gut und frisch. Und jung ... «
»Sogar Pizza, die wir haben gefunden in merkwürdigem Rucksack von Radfahrer, hat mir gesehen sehr lecker aus!« meldet sich Franz zu Wort.
»Onkelchen!« ermahnt ihn Ida streng. »Du weißt doch, dass du dieses ungesunde Zeug nicht verträgst. Du könntest aber unserem Gast noch ein Glas anbieten, er sieht sehr blass aus. Wahrscheinlich die lange Zeit im Homeoffice ... «

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Theobald O. J. Fuchs:
Man mag es kaum glauben, er schüttet Bier nicht nur seine Kehle hinunter, sondern schreibt auch darüber und ist mit neun Geschichten in einem Bierbrevier beteiligt, gerade ofenfrisch auf dem Tisch: Unser täglich Bier gib uns heute


 




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