Theobald O.J. Fuchs: Wie ich einmal Weltkulinarerbe aß

SAMSTAG, 1. JANUAR 2022, MAGENSTEIN-ALTENFURZ AN DER QUARK

#Gulasch, #Kolumne, #Museum, #Reisetipp, #Theo Fuchs, #Theobald O.J. Fuchs

Urlaub in Deutschland: die Pandemie macht‘s möglich. Im Sinne gesellschaftlicher Akzeptanz natürlich. Wenn man heute, gerade erst von einer Reise zurückgekehrt, bleich und aufgeschwemmt am Stammtisch sitzt und von Recklinghausen, Oberviechtach, Memmingen oder Schleiz erzählt, hören die anderen aufmerksam zu. Kein noch so entlegenes Kuhkaff, kein noch so faschistisches Bundesland ist peinlich, niemand muss sich mehr für die Reise in die Heide oder den Besuch eines Baumwipfelpfades im angrenzenden Landkreis schämen. Im Gegenteil: Geheimtipps stehen hoch im Kurs! Die Wassertemperatur in einem Freibad im Südharz oder die beste Heringssemmel in Eckernförde sind fieberhaft gesuchte Informationen.

Für meine Frau und mich war das Highlight des Sommers definitiv eine Radtour zum Gulasch-Museum in Magenstein-Altenfurz an der Quark. Dort, im ältesten Gulasch-Werk Deutschlands, stehen noch alle Anlagen unverändert, wie sie bei der Stilllegung 1972 in Betrieb waren. Es war das erste Gulasch-Museum, das wir jemals besuchten, und ich muss sagen: es war jeden fucking einzelnen der zweihundertfünfzig Cent, die der Eintritt kostete, wert. Ohne Übertreibung: es war die absolute Königin unter den Gulasch-Museen.

Zum Höhepunkt der Produktion Mitte der 1960er-Jahre arbeiteten dort im drei Schicht-Betrieb über 17.000 Köche und Küchengehilfinnen. Alleine die Kochschürzenbügelhalle bedeckt eine Fläche von vier Hektar. In der Messerschleiferei, in der sich die Schleifsteine rund um die Uhr drehten, fielen pro Tag zwei Tonnen Abrieb an. Die Zwiebelschälanlage befand sich in einer, durch einen Luftvorhang abgetrennten Sicherheitszone und war für damalige Verhältnisse bereits hoch innovativ. Die geschälten Bollern wurden mit der sogenannten »Bahn der Tränen« zu den gewaltigen Gulasch-Kesseln gefahren.

Die sieben bis zu zweiundvierzig Meter hohen Kessel stellten das Herzstück der Anlage dar. Dort wurden über brennenden Güterwaggons voller Kohle halbe Schweine behutsam angebraten und mit hunderten Tonnen Gemüsebrühe aus einer imposanten Pipeline abgelöscht. Die Rohre verliefen hoch über den Köpfen der »Würzer« genannten Arbeiter und wurden aus der nahebei fließenden Quark gespeist. Dieser stets kräftig verkrautete Bach hatte übrigens noch vor dem Ersten Weltkrieg, der ja schließlich mit der Gulasch-Kanone entschieden wurde, Anlass zur Errichtung des Werkes an diesem Ort gegeben.

Eine witzige Info gefiel mir am meisten: Gulasch-Kocher, die tragischer Weise in den Kessel gestürzt waren, wurden nicht geborgen. Das ging aus technischen Gründen nicht. Man überreichte den trauernden Angehörigen eine Schöpfkelle vom ersten Gulasch, das aus dem Kessel geschöpft wurde, den sogenannten »Abstrich«. Und bedankte sich natürlich für »ihr Verständnis«.

Dieser Tradition verdanken wir, dass in der Umgebung bis heute in gutbürgerlichen Gaststätten ein lokale Spezialität angeboten wird, der weit über die Region hinaus berühmte »Abstrich«. Freilich, ohne dass heute deswegen ein Würzer versehentlich im Kessel gebrüht werden muss, aber schön mit Fettaugen und zarten Halswirbeln. Voll super lecker, und für mich Anlass, zwei von fünf Sternen zu vergeben – eine unvergessliche Mahlzeit!

 




Twitter Facebook Google

#Gulasch, #Kolumne, #Museum, #Reisetipp, #Theo Fuchs, #Theobald O.J. Fuchs

Vielleicht auch interessant...

BERLIN. #3 Fortsetzung der Kolumne aus Ausgabe August/September. Teil zwei HIER

Es kann sein, dass sich in meiner Erinnerung diverse Aufenthalte in dieser Stadt vermischen, aber ich bin mir sicher, dass es immer Berlin war. In den 1980er Jahren hatten uns die The-Who-Filme »Tommy« und »Quadrophenia« ganz krass mit der Rockmusik der späten 1960er infiziert. Als 1979 Pink Floyd »The Wall« herausbrachten, mussten wir nicht lange überlegen, ob uns das gefiel. Obwohl wir uns für Dorfpunks hielten, ließ sich die Pink-Floyd-Mucke hervorragend zum Rauch aus gewissen Spaßzigaretten in die Gehörgänge dübeln. Aus heutiger Sicht natürlich kompletter Mainstream und Totalkommerz, aber tscha! War geil.  >>
NEUES MUSEUM. Marian Wild im Gespräch mit Holger Rieß. Fotos: Instagramer*innen der @igers_nürnberg
Die Gegenwart wirft alte Gewissheiten zunehmend über Bord. Da scheint der „kontroverse Tabubruch“, nämlich Kunst und Design im direkten Gegenüber zu zeigen, im Rückblick tatsächlich recht niedlich. Seit 2020 präsentiert das Neue Museum in seinem Erdgeschoss mit der „Mixed Zone“ eine direkte Mischung aus Kunst und Design, die im Frühjahr 2022 mit der aktuellen Ausstellung „Double Up!“ in die bildgewaltige, zweite Runde ging.  >>
Da saß ich im Bus nach Prag und dachte mir, wie unangenehm es sein müsste, von einer Stadt in die andere Stadt gebeamt zu werden. Also mittels Star-Trek-Transporter [https://de.wikipedia.org/wiki/Star-Trek-Technologie]. Man wäre ja im selben Augenblick da, in dem man abgeschickt wird, und würde die schöne Fahrt verpassen. Welche Auswirkungen der abrupte Ortswechsel auf die menschliche Seele hätte, ist noch völlig unerforscht. Zudem ja erst die Seele an sich definiert werden müsste. Das ist sonst ungefähr so, wie wenn man die Verdauung des Monsters von Loch Ness erforschen wollte.  >>
20240201_Staatstheater
20240201_Mummpitz_160
20240317_Tafelhalle
20240201_Kaweco
20240324_AfF
20240201_NMN_Weaver
20230703_lighttone
20240201_Referat_Umwelt_Konferenz
20240201_VAG_D-Ticket
20240201_Retterspitz
20240201_Theater_Erlangen