Theaterwegweiser im April

MONTAG, 1. APRIL 2019

#Dieter Stoll, #Gostner Hoftheater, #Kultur, #Opernhaus, #Staatstheater Nürnberg, #Stadttheater Fürth, #Tafelhalle, #Theater, #Theater Erlangen, #Theater Salz und Pfeffer

Über „Grenzen und Nachbarschaft“ wird im April am Nürnberger Schauspielhaus mit Bündelung eigener Repertoire-Energien nachgedacht, aber vom 5. bis 7. April auch kultureller Import/Export als Mini-Festival mit Tschechien gepflegt. Viele Gespräche mit Künstlern neben und nach den Vorstellungen. Der Rahmen (etwa für das Gastspiel „Die Rache“ der Prager Gruppe Handa Gote am 6. April) ist im Kammerspiel-Format vorsichtig gesetzt.

Größer setzt Goyo Montero in seiner elften lokalen Tanzsaison an, wenn er die Bestseller „Sommernachtstraum“ und „Dürer´s Dog“ erst mal beiseite schiebt, um die neue Dreifaltigkeit mit den grandiosen Kollegen Kylián und Goecke zu etablieren. Da kann allenfalls Puccinis „Madama Butterfly“ an der Tageskasse konkurrieren. Ansonsten wird schon auf den Mai als Highlight-Rampe spekuliert. Da kehrt Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz für einen neuen Wagner-„Lohengrin“ aus Oslo zurück, die Theaterlegende Dieter Dorn führt erstmals in Nürnberg Regie (und zwar bei Feydeaus „Herzliches Beileid“) und im Städte-Großraum wird geradezu seufzend sehnsüchtig das Internationale Figurentheaterfestival erwartet. Wiedersehen außerdem mit Stars der verflossenen Schauspielhaus-Ära: Auf das „Ich will alles!“ rufende Musik-Duo Josephine Köhler/Bettina Ostermeier im Hubertussaal Ende des Monats folgen Nicola Lembach und Stefan Willi Wang im Ensemble der Tragikomödien-Produktion „Für immer schön“ des Fürther Theaters ab 4. Mai. Aber jetzt erst mal April-Highlights.

STAATSTHEATER NÜRNBERG

PREMIERE: Die Dreiteiler, bei denen der Nürnberger Ballettdirektor Goyo Montero in seiner jeweils zweiten Saisonproduktion traditionell nur die Besten des zeitgenössischen Tanztheaters zur Partnerschaft bittet, hat 2019 besonderen Drive. Natürlich ist die Wiederkehr von Jiri Kylián, diesem Großmeister aus Wunderzeiten des Nederlands Dans Theaters, schon für sich ein Ereignis. Das wissen wir von vielen unvergesslichen Gastspielen in Fürth und zwei Adaptionen am Opernhaus. Die erste gab es übrigens bereits zu Zeiten, da Jean Renshaw die Nürnberger Compagnie als „Tanzwerk Nürnberg“ leitete. Mit „Falling Angels“, seinem ausschließlich weiblich besetzten Stück, gibt Kylián aktuell die Vorlage, die Gastgeber Montero mit seiner Uraufführung „M“, in der ausschließlich Männer tanzen, konterkariert. Dazwischen das Nürnberg-Debüt des langjährigen Stuttgarter, längst in ganz Europa gefragten Choreographen Marco Goecke, aus dessen Repertoire die Studie „Thin Skin“ neu einstudiert wird – die nach Selbstbeschreibung mit den Akteuren „zwischen den Rollenmodellen“ schwingt.
Premiere: 13. April. Weitere Vorstellungen 21., 27. April, 5.Mai.

PREMIERE: In der 3. Etage des Schauspielhauses ist nichts unmöglich, ob Avantgarde oder Plauderei oder Party. Von einer „Vorbereitung zukünftiger Vorstellungen“ ist bei der Uraufführung TEUTONA von Oliver Zahn im Untertitel die Rede. Und das, so das Konzept, mit jeder Aufführung immer wieder neu ansetzend. ESSAYPERFORMANCE nennt sich das Genre, das Training als Vorbereitung auf Zukunft bietet und einen „weißen deutschen Mann“ visionär in der eigenen Entwicklung und der unendlichen Perspektive des Theaterstücks stochern lässt. Dass der Fonds Darstellende Künste das „Hauptaktion“-Projekt (mit Partnern der freien Szene in Stuttgart, Salzburg und Bremen) fördert, verweist auf die Stoßrichtung. Malte Scholz spielt das Solo, der Autor als Regisseur und Konzeptkünstler wird von Kamera, Video und Lichtspielen unterstützt.
Premiere: 5. April. Weitere Vorstellungen 10. und 13. April, dann wieder 15. und 18. Mai in der 3. Etage.

PREMIERENFRISCH/ SCHAUSPIEL: Die Autorin Petra Hulová gilt als großes Talent der tschechischen Gegenwartsliteratur, der Regisseur ist Deutschlands emsigster Theatermacher mit zwei Namen und das Stück über den Traum einer Welt ohne Sexismus ist der Versuch sprachgrenzüberschreitender Uraufführung mit drei gestaffelten Premieren. Als EINE KURZE GESCHICHTE DER BEWEGUNG im Jahr 2018 am Stuttgarter Staatstheater erstmals in Fragmenten zu sehen war, hatte Regisseur Armin Petras dort noch das Amt des Intendanten. Zusammen mit Nürnberg und Prag war das zweisprachige Projekt als Dreisprung eingefädelt, doch der irrlichternd umtriebig bis zu acht Mal pro Saison inszenierende und/oder dramatisierende Prinzipal (der als Autor zusätzlich den Namen Fritz Kater nutzt) war, dem lästig werdenden Amt entsprungen, längst wieder zwischen Bremen und Berlin unterwegs, als jetzt sein Nürnberger Debüt vor der Station am Stadttheater Prag offizielle Premiere wurde. Es geht um ein feministisches Umerziehungsprogramm, das „satirisch und kontrovers“ nach dem Weg in die bessere Zukunft Ausschau hält, denn: „Menschen sind schließlich stärker als ihre angebliche Natur“. Vielleicht auch verständnisvoller als ihre Sprache? Jedenfalls sind je zwei tschechische und deutsche Akteure mit Anteilen eigener Muttersprache im Einsatz: Martin Donutil und Sarah Havácová mit Stephanie Leue und Felix Mühlen. Lichtdesign von Norman Plathe ersetzt das konventionelle Bühnenbild. Bald nach der Premiere schwärmt das Ensemble von Nürnberg zur Gastspielserie  nach Prag aus. +++ Der für Nürnberg fest gebuchte Hausautor, der sich selbstironisch „Haustronaut“ nennt, schickte nach dem weiter anhaltenden Erfolg der Baumwollflöckchen-Weltreise DAS DING von 2012 mit Nürnberger Wiederaufbereitung 2018 sein neues Stück mit demselben Regisseur auf gleicher Bühne los. Jan Philipp Gloger inszenierte Philipp Löhles Uraufführung AM RAND (EIN PROTOKOLL) in den Kammerspielen. Es geht um ein fiktives Grenzdorf, das mit seinen Scheinproblemchen zum Modellfall für die Weltlage ernannt wird. Ein pelziger Troll trifft Kinder im Wald, ein „staatenloses Wildschwein“ trampelt die zivilisatorische Ordnung nieder, offene Haustüren und Fahrradschlösser sorgen für Anarchie.  Randhausen ist aus den Fugen, da muss durchgegriffen werden. Regisseur Jan Philipp Gloger hat geradezu unheimlichen Spaß an der schrägen Stimmungslage, die ihm der Autor seines Vertrauens als Spielmaterial aus Grotesken-Teilchen in die Szene kippte. Die Schauspieler, allesamt in denkbar bester Komödianten-Fitness, sausen durch zwanzig  Rollen. Man bestaunt gut gelaunt die wie geölt funktionierende Pointenmechanik, aber wo mag bloß das beschworene Schreckgespenst vom Albtraum der allgemeinen Angsthysterie abgeblieben sein? „Die Wahrscheinlichkeit nimmt jeden Tag zu, dass etwas passiert, wenn bisher nichts passiert ist“, legt der Autor seinen lustigen Bürgerdämonen in den Mund. Das könnte als Apokalypseankündigung, auch als Werbung für eine Unfallversicherung passen – oder ein Hinweis auf die Ziehung der Lottozahlen sein.
Termine: Am Rand am 7., 22., 25. April, 5. Mai +++ Das Ding am 10., 22., 30. April +++ Eine kurze Geschichte der Bewegung am 6. und 8. April in den Kammerspielen

PREMIERENFRISCH/ OPER: Zuletzt hatten die Freunde der italienischen Oper mit Jens-Daniel Herzogs thrillerscharfer „Tosca“-Inszenierung und der bildmächtigen „Turandot“-Regie von Calixto Bieito zwei vitale, die ewigen Kolportage-Vorbehalte gegenüber den knalligen Emotionen des Komponisten schäumend überspülende Puccini-Produktionen, an die man sich gerne erinnert. Jetzt kam ein neuer Versuch mit der bittersüß parfürmierten Harakiri-Story MADAMA BUTTERFLY, die mit herzergreifenden Arien für die asiatische Titel-Sopranistin und schmetternden Schuft-Auftritten ihres  US-amerikanischen Tenor-Verführers ins große, das denkbar edelste  Schluchzen führt. Die reisende Schauspielregisseurin Tina Lanik, die zuletzt am Münchner Residenztheater mit dem kitschmäßig völlig unverdächtigen „Marat/de Sade“ von Peter Weiss aufgefallen war, tastet sich ins Musiktheater und stülpt Gegenwart übers Melodram.  Die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva und die Texanerin Emily Newton alternieren in der anrührenden Titelpartie. Der polnische Tenor Tadeusz Szlenkier singt, wie zuletzt in Warschau, den treulosen Pinkerton. Am Pult lenkt Kapellmeister Guido Johannes Rumstadt die äußerlich beherrschte wie innerlich tobende Gemütslage. +++ Wer bei einer 2019 entstehenden Inszenierung von Mozarts COSÍ FAN TUTTE, dieser musikalisch so wunderbar umschmeichelten und im Libretto so platt machoseligen Männerwette auf die Frauen-
treulosigkeit, den Umweg über die Untiefen der zeitnahen #MeToo-Debatte für unvermeidlich hält, muss in Nürnberg die Augen reiben – kann sich aber wenigstens auf die Ohren verlassen. Die Buffo-Gaudi, die immer zu viel an Klebebärten und Grimassentravestie als Kraftstoff verbrauchte, verwandelt das Herren-Duo per Maskerade in eine späte Hommage an Erkan & Stefan und lässt die betrogenen Frauen im Abseits stehen. Regisseur Jens-Daniel Herzog setzt auf ein junges, leichtstimmiges Ensemble, bringt mit vielen Hingucker-Einfällen raffiniert das Spielerische in Stellung, nimmt den Jux-Anteil offensiv an. Allerdings bleibt er kurios parteiisch: Während der Tenor bei seinem schmachtenden „Odem der Liebe“ demonstrativ ernst genommen wird, ist die Sopranistin bei der tapfer bekenntnishaften „Felsen“-Arie nur ein mit Schuhen werfendes Luxusweibchen. Lutz de Veer, der fleißige Vize hinter der Philharmoniker-Chefin, schälte vom Pult aus gekonnt den harten Kern aus dem Amadeus-Sound.
Termine: Madama Butterfly am  5., 8., 14., 20. April +++ Cosí fan tutte am 7., 15., 28. April im Opernhaus.

SCHAUSPIEL-DAUERLÄUFER: Mit Anton Tschechows DIE MÖWE,  allseits geschätzter Blick in die (nicht nur russische) Seele, gab „Hausregisseurin“ Anne Lenk (40), die sonst an den ersten Adressen zwischen München und Berlin die Bahnen zieht, ihr Nürnberger Debüt. Sie findet es allerdings vor allem lachhaft, wie sich die Figuren zwischen Hochmut und Wehmut spreizen. +++ Die Legende von Maria Callas, Schmerzensfigur zwischen Opernhimmel und Klatschhölle, ist in Terrence McNallys Psychoboulevardstück MEISTERKLASSE um eine fiktive Lehrstunde der Sängerin beschworen. Die einstige Alleskönnerin der Bühne rafft mit strenger Kunst-Miene die Reste des Ruhms und verlangt von den jungen Sängern, die ihr zu Füßen liegend die eigene Zukunft entgegen schmettern, absolute Hingabe an die Kunst. Das mittelprächtig gelungene Stück war ein Welterfolg. In Nürnberg sah man damit bereits Jutta Richter-Haaser, jetzt ist Annette Büschelberger die Diva im fernen Schatten von Onassis. +++ Klassisches Mörderspiel, aus keinem modernen Repertoire  wegzudenken: Shakespeares MACBETH lässt sich von seiner ehrgeizigen Lady ins Unheil hetzen. Ganz anders als sonst sind diesmal alle Beteiligten ein bisschen gekrönt. Gastregisseur Philipp Preuss (Leipzig/Berlin) löst die Handlungsstränge samt der Dialogordnung in Fragmentteilchen auf, drückt mit dem Daumen auf eine Endlosschleife der wiederholbaren Ausschnitte, die aus dem mit Hackebeil gekürzten Original gebastelt ist.  Das Sechs-Personen-Ensemble in wechselnder Rollenzuweisung nähert sich dem Schlachtfest auf breiter Blutspur immer wieder in neuem Blickwinkel & Tonfall.  Nicht alles, was an den Nerven zerrt, ist  ein Thriller. +++ Als  „turbulenten Unfug“  hat die mit Selbstironie gesegnete Schauspieldirektion diese Vorstellung angekündigt. Stimmt, kann man da nur sagen – und sich auf dröhnendes Gelächter mit Kalauer-Trommelfeuer gefasst machen. Es geht um Diamanten, ein Geldinstitut in der Provinz, viel tollpatschiges Slapstick-Personal und ein verrutschtes Steilwand-Bühnenbild. Es geht um absolut gar nichts. Die Deutschland-Premiere von KOMÖDIE MIT BANKÜBERFALL  aus der gesträubten Feder von drei britischen Autoren und zwei deutschen Übersetzern beruft sich auf den kollektiven Humor der Monty Pythons, hat also auch die Begabung zur Hochstapelei. Die Besetzungsliste wimmelt vor Taschendieben, Trickbetrügern, Häftlingen, Agenten und grenzdebilen Bankdirektoren – ein  Musterkatalog von zwanghaften Zwielichtgestalten. Zusatzvorstellungen sind sicher, volles Haus ist garantiert.
Termine: Die Möwe am  5., 11., 16. April +++ Macbeth am 3., 14., 17. April +++ Meisterklasse am 13. April +++ Komödie mit Banküberfall am 16., 18., 23., 28. April im Schauspielhaus.

MUSICAL & OPERETTE: Wo der Film „Der Mann der vom Himmel fiel“ knapp 40 Jahre zuvor endete, setzte Dramatiker Enda Walsh zusammen mit Hauptdarsteller David Bowie für dieses einzige Musical des ansonsten als Sänger, Schauspieler und Stilikone vermarkteten Stars entlang an 17 alten und nachgeschobenen Songs an: LAZARUS. Die verrätselte Story eines Außerirdischen auf Erdenbesuch. In Nürnberg findet man sich in einer Airport-Abfertigungshalle mit der unheimlichen Wechselwirkung zwischen Kathedrale und Geisterbahn wieder. Regisseur Tilo Nest, Schauspieler und Musiker am Berliner Ensemble, inszenierte ein düsteres Videoclip-Oratorium, in dem die singenden Schauspieler erfrischend individuellen Interpretationsstil pflegen. Beim „Absolute Beginners“, als erblühendes Kollektiv aller Akteure umgesetzt, entsteht ein langer Augenblick jener abgehobenen Theaterträumerei, die aus Bowies gesammelten Werken die von ihm immer erstrebte Ahnung neuer Kunstformen aufsteigen lässt. +++ Venedig und Nizza sind die dekorativen Handlungsorte, aber das Temperament von Paul Abrahams BALL IM SAVOY deutet klar aufs Berlin der frühen Dreißiger-Jahre. Die flotte Revue-Operette kokettierte mit Jazz und Jokus, wurde offiziell von den Nazis verboten, hatte nach deren Herrschaft ein eher spießiges Comeback im Schnulzen-Sound der biederen Bundesrepublik und durfte erst spät wieder so ungebunden frech sein wie früher. Die flotten „Ball im Savoy“-Arrangements von Kai Tietje, 2012 für die Berliner Komische Oper entstanden, werden in Stefan Hubers Nürnberger Inszenierung ausgekostet. Das gurrende „Toujours  l´amour“  klingt, wenn die richtigen Wimpern klimpern, wie eine individuelle Unverschämtheit, und weil das nur mit besonderer Begabung funktioniert, treten in Nürnberg die sonst eher in der Tafelhalle bejubelten Geschwister Pfister aus Berlin mit explosiver Travestie-Turbulenz an. Der Ursli ist das Glamour-Girl, das Fräulein Andreja Schneider der Türke mit Bart, der schmalzende Toni bleibt ganz schmalzender Toni. Fabelhaft! +++ Kinogroßmeister Steven Spielberg fetzte die Verfilmung dieser Hochstapler-Story mit dem jungen Leonardo DiCaprio 2002 nach drei „Indiana Jones“-Produktionen hin. CATCH ME IF YOU CAN gehört seither zu den ewig kreisenden Hollywood-Titeln in der TV-Wiederholungsschleife. Die zehn Jahre später entstandene Musical-Fassung  von „Hairspray“-Filmkomponist Marc Shaiman gab dem sympathischen Gauner, der Pseudo-Karrieren als unrechtmäßig praktizierender Pilot, Arzt und Anwalt gegenüber jedem geordneten Leben bevorzugt, noch mal anderen Schwung. Jetzt wird zum Betrug gesungen und getanzt.  Es wirbelt gekonnt, auch wenn die Songs nicht wirklich explodieren.
Termine: Lazarus am  6., 7., 12., 21., 26. April im Schauspielhaus +++ Ball im Savoy am 6., 22. April, 5., 11. Mai +++ Catch me if you can am 10. April, dann wieder 15., 26. Mai im Opernhaus.

HIGHLIGHTS: Das gewollt wagemutige, gekonnt fantasievolle Ionesco-Projekt EIN STEIN FING FEUER nimmt die früh für Studio-Experimente berühmten Stücke DIE KAHLE SÄNGERIN und DIE UNTERRICHTSSTUNDE vermischt mit weniger bekannten Texten des Querschlag-Poeten, als Großformat-Comeback an der Mülldeponie alternativer Fakten. Es geht um Macht im Spiel, wenn Worte ihren eigenen Sinn-Rohbau lustvoll detonieren lassen. Jan Philipp Glogers ambitioniert amüsierender Nürnberger Einstieg fällt aus dem Rahmen des Üblichen. +++ Eingefädelt wurde die Produktion noch als SOUND OF THE CITY, längst heißt sie DIE MUSIK WAR SCHULD und ist „ein Nürnberger Liederabend“. Am „Ehekarussell“-Brunnen führt eine Ansammlung erhobener Stimmen von Pachelbel über Rio Reiser und Richard Wagner bis zur Familie Joel. Von der klingenden Kirchenmusik-Historie zur Straßenmusik der Gegenwart schweift der Blick, flattert das Stimmband. Sechs musikalisch talentierte Komödianten suchen den passenden Ton in Randnotizen der Stadtgeschichte mit dem lautesten Einsatz für Wuchtbrunnen-Architekt Jürgen Weber und dem letzten leisen Wort für Poet Hermann Kesten. +++  Nach zehn Jahren Krieg ist Troja ein Trümmerfeld, das die Sieger in ihrem Gewaltwahn aber nicht ruhen lässt. Überlebende Frauen werden verschleppt, das Ungeheuerliche produziert ständig neue Ängste über „das Fremde“. Mit DIE TROERINNEN von Euripides schloss Jan Philipp Gloger eine Nürnberger Spielplan-Lücke, die „zeitlose“ Antike gehörte  hier zu den Raritäten. Die überwältigend stimmige Thriller-Inszenierung mit dem Hauch von Hitchcock-Witz ist ein Duplikat samt Upgrade, sie entstand in erster Fassung am Staatstheater Karlsruhe und die Übernahme wird mit der Uraufführung eines Textes von Euripides-Übersetzer Konstantin Küspert neu positioniert. Der POSEIDON-MONOLOG ist die programmatische Enttäuschungsrede des Meeresgottes über das Versagen der Menschheit. Michael Hochstrasser wirft Giftpfeile in offene Wunden. Dann kommt  die Königin auf Abruf, die grandiose Annette Büschelberger in der Rolle der zerfallenden Majestät Hekabe – mit Handtaschenbewaffnung wie Frau Thatcher, verzweifelt aufgebäumter Rest-Würde und dem Zusammenbruch am Abgrund, der alle oder auch alles verschluckt. Ein neu gemischtes Ensemble in Bestform. Achtung, nur noch zwei Vorstellungen!!!
Termine:  Ein Stein fing Feuer am 9., 27. April, 3. Mai +++ Die Troerinnen / Poseidon-Monolog“ am 2. und 10. April die letzten Aufführungen im Schauspielhaus +++ Die Musik war schuld“ am 3., 13., 17., 24. April in den Kammerspielen.

STAATSTHEATER NÜRNBERG
Richard-Wagner-Platz 2-10, Nbg
staatstheater-nuernberg.de


GOSTNER HOFTHEATER

PREMIERE: Sturz in bürgerliche Abgründe? Naja, Hals- und Beinbruch! wirkt hier denn doch eher wie ein freundlicher Wunsch fürs erheiternde Stolpern. Mehr als ein Aprilscherz ist Eugène Labiches Komödie DIE AFFÄRE RUE DE LOURCINE aber auf alle Fälle. Nach durchzechter Nacht mit Blackout finden sich zwei ratlos dreinblickende Herren mit Katerstimmung im Bett, werden mit einem Mord in Verbindung gebracht, vertuschen mangels Erinnerung alle vermuteten Spuren und geraten in ein Räderwerk von Verwechslungen. Die große Zeit, da der französische Pointen-Mechaniker Eugene Labiche mit brillant klippklappenden Wechselschritt-Konstruktionen wie vom Fließband die Spielpläne der führenden Theater Europas schmückte, ist vorbei. Trotzdem kaum überraschend, dass auch die Theatergrößen der jüngeren Gegenwart immer wieder juchzend nach dem speziell für Präzisionskomödianten reizvollen Text greifen. Grade die „Affäre“ faszinierte die Stars der Berliner Schaubühne, des Wiener Burgtheaters und zuletzt des Deutschen Theaters. In Nürnberg erinnert man sich eher seufzend an klamaukselig scheppernde Schauspielhaus-Unfälle wie „Das Sparschwein“ aus der Labiche-Pointenschmiede, aber das Gostner Hoftheater hat ja hierorts schon öfter im kleinen Format den Großen das Fürchten (und dem Publikum das Lachen) gelehrt. Thomas Witte, Christin Wehner, Helwig Arenz und Robert Arnold spielen in Regie und Bühne von Britta Schreiber.
Premiere: 3. April, dann bis 3. Mai jeweils Mittwoch bis Samstag im Gostner Hoftheater.

GASTSPIEL: Am Nürnberger Schauspiel von Klaus Kusenberg waren sie – und das nicht nur bei den besonderen Kassenknüllern „Rocky Horror Show“ und „Ewig jung“ – ein wahres Dreamteam: die auch singende Offensiv-Komödiantin Josephine Köhler und die auch spielende Allround-Musikerin Bettina Ostermeier. Jede für sich reichlich mit Preisen für ihre Auftritte dekoriert. Inzwischen feiert Köhler am Staatstheater Stuttgart große Erfolge und Ostermeier ist auf vielen Musical- und Song-Ebenen des Landes unterwegs. Für ihre Nürnberger Fans wird es ein Theater-Fest sein, wenn sie jetzt gemeinsam wiederkehren. ICH WILL ALLES! tönt es für zwei Stunden aus einer imaginären musikalischen Wohngemeinschaft, die Gegensätze pflegt. „Und noch viel mehr“, darf man als gesetzte Ergänzung dazu denken. Das Duo reist mit dem Versprechen von Maßlosigkeit „durch ein Spannungsfeld der Gefühle“. Ein LIEDe(h)rlicher Abend mit Songs von Gitte bis Christina Aguilera als Show-Bömbchen im Hubertussaal, der größeren Gibitzenhofer Filiale des Gostner.
Termin: 27. April im Hubertussaal.

GOSTNER HOFTHEATER
Austr. 70, Nürnberg
gostner.de


TAFELHALLE

PREMIERE: Ein Regisseur, der auch Choreograph ist, sucht das theatralische Potenzial eines Romans, der auch Skandalstoff wurde. Barish Karademir, nach Entdeckungen am Gostner Hoftheater und ständiger Präsenz am Fürther Theater (zuletzt „Liliom“) seit Jahren an der Tafelhalle mit Sonderstellung für großformatige Experimente wie Falk Richters „Je suis Fassbinder“ ausgestattet, macht aus dem Bestseller IM HERZEN DER GEWALT sein spartenübergreifendes Drama. Im autobiographischen Buch, mit 23 Jahren geschrieben und 2016 als Entdeckung gefeiert, rekonstruiert der französische Jung-Autor Édouard Louis (Neuerscheinung von 2018: „Wer hat meinen Vater umgebracht?“) die Geschehnisse einer dramatischen Nacht, die sein Leben für immer verändert. Auf der Pariser Place de la République begegnet Édouard dem jungen Reda, einem Immigrantensohn mit Wurzeln in Algerien, und nimmt ihn mit in seine kleine Wohnung. Was als zarter Flirt beginnt, schlägt um in Gewalt. Louis erzählt dabei von Kindheit, Begehren, Migration und Rassismus – auch von Homophobie und Machtmissbrauch. Barish Karademir verwandelt die Drucksache in ein Theaterstück, das Schauspiel (mit fünf Personen) und Tanz (mit drei Aktiven) verbindet.
Premiere: 2. Mai in der Tafelhalle, weitere Vorstellungen 3./4. Mai, dann wieder im Juni.

COMEBACK: Sie wirft sich mit unverkennbar britischem Humor und anhaltend rhythmischer Körpersprache in die nie versiegenden DANCE AFFAIRS, die sie manchmal mit Co.-Partnerschaften, aber gerne auch im Solo an- oder ausdeutet. Susanna Curtis will augenzwinkernd und aufklärend durch das manchmal verstörende Gedanken- und Bewegungslabyrinth des modernen Tanztheaters führen. Vor allem: zu mehr Verständnis verführen. Neue Blickwinkel für ihr neues Solo mit Fragezeichen DO YOU CONTEMPORARY DANCE?, das schon im Februar Uraufführung hatte und jetzt zur zweiten Runde der Nachhaltigkeit ansetzt.  
Termine:  11., 12., 13. April in der Tafelhalle.

TAFELHALLE
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nürnberg
tafelhalle.de


THEATER SALZ+PFEFFER

COMEBACK:  Als „herrliches Spiel über Gut und Böse“ beschrieb ein entzückter Kritiker DIE UNSCHULD VON CANTERVILLE # OSCAR WILDE, als die Vorstellung vom Nürnberger Plärrer kürzlich im Rheinland auf Tournee war. Kompliment für das vom Theater Salz+Pfeffer als Hommage an den geistreichen Dichter und ein wenig auch mit Blick auf die hingebungsvoll gepflegte eigene Gruseltradition im Abendprogramm kollektiv inszenierte Figurenspiel um ein extrem herzergreifendes Gespenst. Wiedersehen macht Freude.
Termine:  12./13. April im Theater Salz+Pfeffer

THEATER SALZ+PFEFFER
Frauentorgraben 73, Nürnberg
t-sup.de


THEATER ERLANGEN

PREMIERE: Aus der Zeit gefallen sind so manche Theatertexte, aber es gibt auch welche, die buchstäblich „in die Zeit fallen“. David Mamets OLEANNA aus dem Jahr 1992 erzählt von einem eskalierenden Machtspiel zwischen Professor und Studentin, das schon damals in der ersten Runde für intellektuelle Auseinandersetzungen sorgte, im Licht der gegenwärtigen Missbrauchsdebatte jedoch ganz andere, neue Schärfe gewinnt. Die Klärung der offen bleibenden Schuldfrage klebt damals wie heute geradezu am Verdacht von gesellschaftlicher Empörung als Trend. Am Rande interessant, dass der Nürnberger Staatsintendant und Operndirektor Jens-Daniel Herzog als junger Schauspielregisseur, als er die Oper noch lange nicht für sich entdeckt hatte, mit der Züricher Inszenierung dieses Stückes einst seine einzige Berufung zum Berliner Theatertreffen schaffte. Janina Zschernig und Hermann Große-Berg spielen in Erlangen das Duo im Kampf um die Deutungshoheit.
Premiere: 12. April, weitere Vorstellungen 13., 14. April, dann wieder 10., 11. Mai im Theater in der Garage.

PERFORMANCE: Ähnliche Aufrufe mit Gutenacht-Aktionen als Schlummerhilfe soll es auch schon in fortschrittlichen Kitas gegeben haben. Beim Rahmenprogramm der 300-Jahr-Feier des Hauses wird der abenteuerlustige Teil des Publikums zum betreuten Schlafen im Markgrafentheater eingeladen. Zwei angereiste Akteure (Heike Schmidt, Thilo Thomas Krigar) mit Literatur-Naschwerk nebst Cello plus  Gesangsbegleitung, Betthupferl-Assistenten sozusagen, die den Nachtgebet-Ersatz bereits in anderen Städten vor allmählich fallenden Augendeckeln durchgezogen haben, bitte an drei Abenden zu ihrer Spielart von BED & BREAKFAST auf die Bühne. Wo sonst Kulissen geschoben werden, sind Nachtlager vorgesehen, und wie das abends wie morgens mit dem  gemeinschaftlichen Zähneputzen unter Abonnenten ausgeht, dürfte besonders interessant sein. Um das Mitbringen des individuell gefüllten „Kulturbeutels“ wird gebeten, Bettwäsche ist als Performance-Grundausstattung vom Veranstalter gestellt. Morgenstund hat Brötchen im Mund, entsprechender „Beck“-Service wird garantiert.
Termine: 11./12./13. April jeweils ab 23 Uhr auf der Bühne im Markgrafentheater.

WEITER IM PLAN: Die alte Welt muss überwunden werden, damit Platz für eine neue ist. Die Idee einer globalen Utopie wird in Laura Naumanns DAS HÄSSLICHE UNIVERSUM mit fünf Personen durchgeknetet. Eine Frau mit demagogischen Talenten steht im Mittelpunkt. Zum Inhalt: Wie der Mensch die Erde einst mit großer Geste zum Leuchten – und zum Verglühen brachte. Die Apokalypse wuchert in Erlangen. +++ Bert Brechts drastische Kriegsauslöser-Parabel DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI von 1941, in Nürnberg vor ein paar Jahren sogar in der Colosseum-Ruine des Reichsparteitags inszeniert, springt in der Erlanger Neuinszenierung zum 300-Jahres-Jubiläum des Markgrafentheaters über alle abgegriffenen Hitler-Parabeln hinweg in eine lärmende Gegenwartsrevue. Mafiaboss Al Capone von 1931 wird in der Materialsammlung zur Produktion gezeigt, auch Charlie Chaplins Rede in „Der große Diktator“ von 1940, aber die Regiegedanken sind dann doch eher bei Donald Trump von 2019. Der Donnerspruch „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ ist sogar ganz gestrichen. Der plakativsten Form des aufklärerischen Brecht-Theaters wird nicht mehr getraut.
Termine: Das hässliche Universum am 2. April, dann wieder im Mai/Juni +++ Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am 5., 6. April im Markgrafentheater.

THEATER ERLANGEN
Theaterplatz 2, Erlangen
theater-erlangen.de


THEATER FÜRTH

KINO-MUSICAL AUF TOURNEE: Ungefähr zur gleichen Zeit, als die aktuell im Nürnberger Opernhaus-Spielplan gefeierte Operette „Ball im Savoy“ in Berlin erstmals für Hochstimmung sorgte, trällerten Heinz Rühmann und Lilian Harvey als Ufa-Stars von 1930 im Kino-Singspiel DIE DREI VON DER TANKSTELLE Hits wie „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ von der Leinwand und ließen mit „Ein Freund, ein guter Freund…“ den Klatschmarsch vor Millionenpublikum auferstehen. Dass dieser Kintopp mit Tonspur nach 90 Jahren als Bühnenrevue ein Live-Comeback feiern könnte, hätte damals vermutlich niemand  vorhergesagt. Mag es auch nicht für die Konkurrenz der großen Musical-Szene reichen, als Tournee im Schimmer der Nostalgie scheint es zu  funktionieren. Für den Ausstattungsrahmen sorgt übrigens Achim Römer, der als junger Bühnenbildner in Nürnberg (wir erinnern uns an „Fräulein Julie“ und „König Lear“) mit dem städtischen Kulturförderpreis ausgezeichnet wurde.
Termine: 27./28. April im Fürther Theater.

OPER: Nun gibt es also doch noch auch in der laufenden Saison, die eine (einzige) Vorstellung einer Verdi-Oper im ansonsten von Repertoire-Restbeständen des größten italienischen Bühnenkomponisten leergefegten Nürnberg/Fürther Spielplan. Das Gastspiel von NABUCCO – Verona-Touristen beginnen sofort zu summen – kommt unerwartet nach Fürth. Statt des ursprünglich angekündigten, ganz anderen Werkes, nämlich Benjamin Brittens „Peter Grimes“ vom nahen Landestheater Coburg, das aus technischen Gründen aber nicht passt. Den biblisch verschlüsselten Verdi mit dem populären Gefangenenchor als Freiheitsfanal im Dreivierteltakt bringt das Nordböhmische Opernhaus Usti nad Labem unter Patronat der Tschechischen Oper Prag nach Fürth. Italienische Originalsprache ist Ehrensache, deutsche Übertitel auch.
Termin: 13. April im Stadttheater Fürth.

ENSEMBLE-GASTSPIELE: Die ganz hohe Kunst der Literatur muss es nicht immer sein, manchmal steckt die Herausforderung unbekannter Texte in der dramatisierten Schlagzeile, sowieso in der Klarsichthülle der kennerischen Kolportage. Zwei Beispiele von Aufführungen, deren Inhalt man bislang besser kennt als die Titel. Der Technologie-Krimi DIE NETZWELT von Jennifer Haley  taucht in den grade wieder aus vielen Gründen umstrittenen Internet-Kosmos mit Darknetz und doppeltem Boden ein und wird von der Unterfränkischen Landesbühne Schloss Massbach präsentiert: Wessen Gesetz gilt im Internet? +++ Was den britischen Thronfolger im Pensionsalter umtreiben könnte, falls die Queen den Platz an der Spitze doch eines Tages räumen sollte, erörtert die mit englischem Humor getaufte und in spöttischen Blankversen gedichtete Tragikomödie KING CHARLES III des jungen Kino- und TV-Drehbuchautors Mike Bartlett. Zum besseren Verständnis für deutsche Brexit-Beobachter inszeniert vom allzeit originellen Metropoltheater München mit Michael Vogtmann, der früher Nürnberger Schauspieler war und in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder als Protagonist für Fürther Eigenproduktionen aus der Landeshauptstadt anreiste, in der Titelrolle des „bockig machtberauschten Narren“. Versprochen sind Hof-Intrigen von Shakespeare-Dimension, weil der unkonventionelle König Charles Nr. 3 doch tatsächlich gegen die eigenen Royals und den eilfertig mitmischenden Premierminister kämpferisch für die Pressefreiheit eintritt. Das Goldene Blatt wird´s ihm danken.
Termine: Die Netzwelt vom 3. bis 6. April +++ King Charles III. am 10./11. April im Stadttheater Fürth.

STADTTHEATER FÜRTH
Königstr. 116, Fürth
stadttheater.fuerth.de

 




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