Udo Kloos und das Design #4: Das Rad neu erfinden
#Design, #Kolumne, #Udo Kloos
Wer kennt ihn noch: Kitt, die schwarze selbstfahrende Ami-Flunder der 80er-Jahre? Der sprechende Autocomputer mit seinem Lippen-gleichem rotem Blinklicht an der Spitze der Motorhaube. Kitt, der seinen Partner Fönlocke Michael bei seinen Stunts trotz unvorteilhaft enger Jeans immer una bella figura abgegeben ließ. Kitt, ein echter altruistischer Wegbegleiter, vielleicht sogar Freund mit blinkendem Cockpit. Ein Equalizer war das, nein: Bordcomputer, zu erkennen an der Vielzahl der LED-Anzeigen in der Armatur.
DAS RAD NEU ERFINDEN
30 Jahren später wirkt das niedlich und heute ist unbestritten, dass das Auto – so wie wir es kennen – in absehbarer Zukunft im Stadtbild eine Randerscheinung einnehmen wird. Das gleiche Schicksal galt den Pferdekutschen. Spannend, was wir dann mit dem frei gewordenen Platz anstellen werden?
My car is my castle - das Vierrad wird im Alltag schnell zur Schiffschaukelbremse. Zum Beispiel bei der Parkplatzsuche. Oder wenn man im Verkehr fest sitzt. Die deutsche Ingenieurskunst brachte bisher beachtliche Kutschen hervor, mittlerweile allerdings mit sehr engem Fokus auf die Effizienzoptimierung der Verbrennungsmotoren (Abgasmesstricks ausgeschlossen). Dabei haben die Spezialisten eines ganz aus dem Blickfeld verloren: durchschnittlich 2.000kg in Bewegung zu setzen, um 75kg zu transportieren - das hat im urbaneren Verkehr von heute (ähnlich der Pferdekutschen) nur eine beschränkte Zukunft. Anders das Fahrrad. Die Reduktion auf zwei Räder stellt in der Stadt nicht unbedingt ein Verzicht dar. Das Gegenteil lässt sich z.B. mit Zahlen wie der Durchschnittsgeschwindigkeit belegen. Und dabei macht das Fahrrad durchaus eine gute Figur.
Sag mir worauf Du Dich sattelst und ich sage dir, was für ein Mensch Du bist. Das Rad als Identität stiftendes Trendprodukt bietet mittlerweile eine bemerkenswert breite Palette an Typen. Rückblickend hat man so manche Wandlung vollzogen, aus der Larve ist vielleicht ein Schmetterling geworden. Damals lief im Fernsehen Knight Rider; Kitt war mindestens genauso cool wie Falco in den Top Ten. Ich hatte ein Klapprad, aber mit 20 Zoll Rädern kam man nicht hoch hinaus. Kurz bevor das BMX auf diesem Planeten landete, eroberte das Bonanzarad die hormongetränkten Jugendlichenherzen. Schalthebel zwischen den Beinen, eine Sitzbank, verschieden große Räder und all das Chromaccessoire - blendend in jeder Farbkombination. Der Ritt darauf war nur wenigen vergönnt. Die glücklichen Besitzer verströmten eine Glücksaura, die einem wie mir im Windschatten die Luft aus den Klappradschläuchen sog.
Die Beine wurden länger, der BMX-Trend wich der lang anhaltenden Invasion der Mountainbikes in die Innenstadt. Seit den 90ern jagte ein Angebot das andere, vom Sportfachgeschäft bis zum Lebensmitteldiscounter. Die meisten: Alumonster. Selbstverständlich gefedert, zuerst nur vorne, dann zusätzlich hinten, Scheibenbremsen unbedingt; 21, 24, 27 Gänge - viel hilft viel, versprach Shimano, am besten XTR. Fette Stollenreifen auf dem Asphalt; dann spart man sich bei dem Abrollgeräusch auf dem Gehweg die Klingel. Den Lenker mit doppelter Schulterbreite und dann im Telekom-Trikot durch den Großstadtdschungel Innenstadt. Wie bei Geländewagen – SUV genannt – schmiegte sich selten Dreck an Rad und Rahmen. Diese Materialschlacht in der Stadt erschien stets fehl am Platze. Der nächste Fahrrad-Fetisch nannte sich Rennrad, Wunderwerke der Mechanik, fein gearbeitete Instrumente - dazu gerne ein Vintage Retro Trikot aus Wolle.
Die arrogante Abkehr vom Überfluss musste also folgen. Es rollten vor 10 Jahren die Fixies in die Städte ein. Ein Rahmen, zwei Rädern, sehr viel mehr sollte man nicht verlangen, für das viele Geld. Nur Pedalriemen, so predigten Fahrradkuriere aus den großen Metropolen, das sollen Eure Bremsen sein. Man munkelte, erst so das echte Gefühl für die Straße zu bekommen. Fashionvictoms!, spotten die anderen. Die deutsche Straßenverkehrsordnung machte einen Strich durch die Rechnung. Einsichtige setzten sich fortan auf die Single-Speeds, die hatten Bremsen und manche sogar Freilauf.
Abseits des Selbstdarstellungsdrangs auf oder mit dem Fahrrad wächst die Freude am Drahtesel. Erstaunlicherweise konservativ reagiert die breite Schar der Hersteller bei der Entwicklung von Neuerungen. Ähnlich zurückhaltend die Händler mit dem Angebot im Laden. Es gibt mittlerweile größere Räder (29’’ für Downhill), mehr Gänge (30 zum Schalten) und klar, jedes Jahr neue Farben. Neulich hat mir jemand das Fahrrad gestohlen. Ich wünschte, dass das kreative Potenzial, das mit dem Ärger hochquoll, in den Entwicklungsabteilungen ankäme. Angenommen Fahrräder hätten einen fest verbauten GPS-Sensor - wozu bräuchte es noch schwere, unhandliche Schlösser? Das Smartphone würde über eine Track-App den Dieb überführen. Besser noch, ich könnte das Bewegungsprofil live verfolgen und mit einem sanften Wischer über den Touchscreen die Radachsen blockieren. Ab 20 km/h würde ich das mit Genugtuung tun - nur für das Vorderrad, versteht sich.
Superpedastrian hat das Copenhagen Wheel dieses Jahr auf der Eurobike präsentiert. Dieses Hinterrad wird einfach ausgetauscht und damit hat man sich einen beeindruckenden Assistenten ans Fahrrad geschraubt. Per Bluetooth wird der Anschub eingestellt, das Rad reagiert auf das Tretverhalten, synchronisiert Bewegungsprofile und hat neben GPS auch eine eingebaute Wegfahrsperre, die mit dem Smartphone aktiviert wird. Kein Schloss mehr notwendig. Wird es gestohlen, holt man es sich via GPS zurück.
Zweirädrige Lastenräder wie Long John bleiben sich formal und in Funktion seit Jahrzehnten treu. Das Lastenrad als Dreirad entwickelt in Kurven das volle Potenzial, wenn man ausprobieren möchte, was Fliehkraft bedeutet. Die Dänen von Butcher & Bicycles hingegen liegen nicht nur bei Design und praktischem Nutzen ganz vorne. Auch die Mechanik der Vorderachse schafft das gleiche Lenkverhalten wie beim Fahrrad. Und die Option mit elektrischer Unterstützung ist sinnvollerweise fast schon ein Muss. Für den Alltag ein gelungenes Produkt. Die meisten Pedelecs harren noch ihrer Designkur. Erfrischend Ausnahmen wie das Coboc, Electrolyte oder Gocycle machen Hoffnung. Deutsche Hersteller wie Riese & Müller mit Augenmerk auf vollgefederten Komfort werden das Auto als Stadtvehikel zunehmend verdrängen.
Der selbstfahrende „Kitt“ half Michael immer wieder aus der Patsche. Kitt hatte in seinem Super-LED-Bedienfeld einen Zauberknopf: Turbo Boost. Kurz gedrückt und Kitt – eben noch mit allen vier Rädern auf dem Asphalt – schon in der Luft. Dieser dramaturgisch eingeflochtene Kunstgriff war stets der zuverlässig wirksame Joker der Serie. Und dann war alles gut.
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