Filmhaus: Wirkmächtig-märchenhafte Wunderwerke

MONTAG, 5. OKTOBER 2020, FILMHAUS

#Curt Magazin, #Film, #Filmhaus Kino, #Kino, #KunstKulturQuartier, #Printmagazin

Die Menschen sitzen in einem dunklen Raum. Den Stuhl, auf dem sie sich niedergelassen haben, haben sie bereits vergessen. Die Wände und Lichter und Treppenstufen sind nicht mehr da. Was erleben die da gerade?, fragt sich Christiane Schleindl. Schleindl beobachtet die Menschen, in dem Moment, wenn sie aus dem Saal treten. „Man sieht“, sagt sie, „dass sie auf einer Reise waren und sich erstmal wieder zurechtfinden müssen.“

Wenn man mit Schleindl, der Gründerin des Filmhauses, und Programmkoordinator Matthias Fetzer über ihr kleines Kino spricht, wird schnell klar, welch emotionale Angelegenheit das ist. Das Filmhaus, dessen Wurzeln bis 1972 zurückreichen, fand 2000 seine Heimat im damaligem K4, heute Künstlerhaus. Als kommunales, also: nichtkommerzielles Kino kann das Filmhaus sein Programm komplett auf Qualität und eigene Prioritäten ausrichten. Schleindl und Fetzer und ihr Team nehmen die Kunstgattung maximal ernst und wollen Filme zeigen, die auf ihre Weise die größtmögliche Kraft entwickeln. „Ein solcher Film“, sagt Fetzer“, ist ein Wunderwerk und wirkt noch tagelang nach.“

Von Programmkinos unterscheidet sich das kommunale Kino beispielsweise durch viele Festivals und die aufwändigen Retrospektiven. Das Filmhaus zeigt wertvolle aktuelle Filme, aber immer auch Klassiker und verloren geglaubte Meisterwerke. Die fast monströsen analogen Projektoren sind neben dem digitalen Nachwuchsgerät noch immer in Betrieb, in den Regalen stapeln sich die empfindlichen Filmrollen. Noch bis Ende Oktober läuft die Werkschau des Ehrenoscar-Preisträgers King Vidor, ein Regisseur, der 1912 seinen ersten und 1980 seinen letzten Film produzierte. 

Schwerpunkte wie diesen plant das Filmhaus-Team ein gutes Jahr im Voraus. Fünf Mitarbeitende plus Praktikant*innen plus freie Kurator*innen stimmen sich zusätzlich darüber ab, welche aktuellen Produktionen ins Progamm müssen und mit welchen Filmen man möglicherweise auf Geschehenisse in der echten Außenwelt reagieren möchte. „Ich bin zwar die Leiterin und einzige Fulltime-Kraft“, sagt Christiane Schleindl, „aber bei uns gibt es niemanden, der keinen Anteil am Programm hat.“ Die 61-Jährige macht seit den 80ern Kino und ist eine bundesweit gefragte Fachfrau. Sie sei, sagt sie, in einem klassischen 60er-Jahre-Fernsehhaushalt groß geworden. Das erste Mal in ein Kino zu gehen, im Dunkeln zu sitzen, einen Film zu erleben, das sei dann noch einmal etwas ganz Anderes gewesen. Eine ihrer frühesten Kinoerinnerungen ist eine Vorführung von Vom Winde verweht. „Da war ich vielleicht sieben. So ein langer Film, das zu erleben, das reißt einen einfach mit.“

Diese fast kindliche Begeisterung ist Schleindl wie auch Fetzer über die Jahre erhalten geblieben. Der Programmkoordinator erinnert sich an durchgängig gesungene Musical-Filme wie Die Regenschirme von Cherbourg von Jacques Demy aus den 60er-Jahren. „Da siehst du einen Automechaniker und der singt über seine Arbeit. Zuerst ist man verwirrt und dann ist es wunderbar, richtig zauberhaft. Der Alltag wird märchenhaft entgrenzt.“ Demy und King Vidor leben nicht mehr. Dafür gehen andere Filmschaffende im Filmhaus ein und aus. Das Publikum bekommt regelmäßig die Gelegenheit, die kreativen Geister hinter den Wunderwerken kennenzulernen. Auch das ist ein wichtiger Pfeiler dieser kulturellen Arbeit. Vor drei Jahren widmete das Filmhaus Egar Reitz einen Schwerpunkt. Der in München ansässige Filmemacher sei in dieser Zeit nicht weniger als 17 Mal nach Nürnberg gefahren. „Er liebt einfach sein Publikum“, sagt Schleindl. „Und ist für das Filmhaus zu einem guten Freund geworden.“ Als zuletzt Elsa Kremser und Levin Peter, die Regisseur*innen von Space Dogs vor Ort waren, habe sich ein außergewöhnlich spannendes Gespräch entwickelt. Das Filmhaus stellt es online zur Verfügung. 

Die digitalen Möglichkeiten möchte das Filmhaus nicht als Konkurrenz zum eigenen Schaffen verstanden wissen. Sie erweitern vielmehr das Spektrum. Ausgerechnet im Coronajahr eröffnete das Filmhaus seinen dritten Saal, das Kino3. Der Saa hat keinen Raum und unendlich viele Plätze, denn er existiert nur im Internet. Inhaber der Filmhaus-Freundeskarte finden hier Filme im Stream, die sich auf das Programm im eigentlichen Kino beziehen. Das Filmhaus hatte Glück, schon vor der Pandemiesituation habe man ein digitales Angebot vorbereitet. Als das Kino dann tatsächlich schließen musste, konnte man sehr kurzfristig reagieren und auf dem Weg auch Pionierarbeit für die Deutsche Kinolandschaft leisten. „Wir fahren mit dem Planwagen voraus“, sagt Schleindl. Die Freundeskarte, mit der man alle Streams for free und alle Kinobesuche für 4,50 Euro bekommt, kostet gerade einmal 25 Euro pro Jahr (Schüler*innen, Studierende 13 Euro). Corona traf zwar auch das Filmhaus hart, aber: die Anzahl der Filmhaus-Freunde konnte, auch wegen Kino3, verdoppelt werden. 

Möglicherweise gelingt es dem Filmhaus auf diesem Weg, eine neue Zielgruppe zu erschließen. Noch immer wüssten zu wenig vor allem junge Leute, was das Filmhaus von der Konkurrenz in Sachen Kino unterscheidet. Ein Großteil der Titel, die hier laufen, sind auf den gängigen Streamingplattformen ohnehin nicht verfügbar. Das Filmhaus betreibt Kuration im eigentlichen und besten Sinne, die Teammitglieder sind auch Trüffelschweine auf der Suche nach den alten und jungen Juwelen des Bewegtbilds. „Viele Gäste sagen ganz bewusst: Wenn ich da reingehe, begebe ich mich auf ein Abenteuer. Ich konsumiere nicht, ich erlebe etwas“, so Schleindl.

In den nach wie vor andauernden Coronazeiten soll dieses Erlebnis in größtmöglicher Sicherheit stattfinden. Jede zweite Reihe in den beiden Kinosälen ist abgesperrt, zwischen den besetzten Plätzen bleiben drei Plätze frei. „Wir sind überkorrekt, weil wir wollen, dass die Leute sich sicher fühlen.“ Gleichzeitig besteht natürlich nach wie vor die Möglichkeit, das Online-Kino zu besuchen. Während Festivals wie das Heimatfilmfestival im Januar wohl abgesagt werden müssen, findet der Filmclub wieder in der echten Welt statt. Filme in dieser Reihe werden im Anschluss im Café oder auf der Dachterasse bei einem Gläschen Wein ausgiebig  und gemeinschaftlich zerpflückt. „Das geht teilweise zwei Stunden lang“, sagt Fetzer. Sie will halt ernst genommen werden, die Liebe zum Film.

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FILMHAUS 
Königstraße 93, Nbg. 
www.kunstkulturquartier.de/filmhaus​ 

Momentan und bald im Filmhaus, u.a.: 

 







 




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