Filmhaus: Mit den Augen eines Anderen
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EINEWELT NEU ENTDECKEN: DREAMING DOGS
Keine Kunstform ist besser als das Kino dafür geeignet, uns mit den Augen eines*r anderen auf die Welt blicken zu lassen. Zum Beispiel mit den Augen eines russischen Straßenhundes. Dreaming Dogs von Elsa Kremser und Levin Peter, den das Filmhaus ab dem 10.07. zum Bundesstart präsentiert, stellt eine Gruppe Streuner ins Zentrum, die sich mit einer obdachlosen Frau zusammengetan haben und mit dieser gemeinsam auf einer Industrieruine nahe Moskau leben. Über weite Strecken macht der Film nicht viel mehr, als dieser Zweckgemeinschaft durch den Alltag zu folgen, bei gemeinsamen Mahlzeiten, Ausflügen auf den Schrottplatz, der Nachtruhe. Und doch ist es, als würde man unsere Welt noch einmal ganz neu entdecken. Denn Kremser und Peter, die sich in ihrem Vorgängerfilm “Space Dogs” an einem ähnlichen Experiment versucht hatten, filmen das Geschehen konsequent aus Hundeperspektive. Kaum einen halben Meter über dem Boden gleitet die agile Kamera neben und zwischen den Tieren, verfolgt tierische Interaktionen, blickt, manchmal fast ängstlich, zu der Frau auf, die hoch oben thront und, bei aller freundschaftlichen Zugewandtheit, immer auch in einer Position der Macht bleibt. Was für ein sonderbares, bisweilen furchteinflößendes, manchmal aber auch Wärme und Geborgenheit spendendes Geschöpf das ist: der Mensch – nicht zuletzt davon handelt dieser außergewöhnliche Film.
GEGEN DIE WIEDERKEHR DES IMMERGLEICHEN: DELPHINE SEYRIG
Eine Perspektivverschiebung ganz anderer Art leistet ein Film, der Teil unseres Juli-Schwerpunktthemas zum Werk der Schauspielerin und Regisseurin Delphin Seyrig ist. Auch Jeanne Dielmann, inszeniert von Chantal Akerman, zeigt über weite Strecken vermeintlich unbehauenen Alltag, und zwar den Alltag einer – von Seyrig verkörperten – Brüsseler Hausfrau. Im Kino wie im Leben ist Hausarbeit oftmals unsichtbare (und natürlich: unbezahlte) Arbeit, nicht hinterfragte Voraussetzung für den Zusammenhalt nicht nur der bürgerlichen Familie, sondern auch der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Was macht es mit uns, mit unserem Blick, wenn ein Film sich für einmal der “toten Zeit” der häuslichen Sisyphos-Arbeit widmet? Immer wieder abspülen, immer wieder Staub wischen… Bis irgendwann doch eine alles verändernde Handlung die Wiederkehr des Immergleichen durchschneidet. Kino als eine Intervention ins Feld des Sichtbaren.
Jeanne Dielmann ist, spätestens seit der Film 2022 bei der Kritiker:innen-Umfrage der Zeitschrift Sight and Sound auf Platz 1 der besten Filme aller Zeiten gewählt wurde, ein moderner Klassiker. Aber er kam nicht aus dem Nichts. Die Reihe im Filmhaus präsentiert mit Seyrig eine Schlüsselfigur des europäischen Autorenkinos, die ihre Karriere mit wichtigen Rollen bei Nouvelle-Vague-Regisseuren wie Alain Resnais (Letztes Jahr in Marienbad) und Francois Truffaut (Geraubte Küsse) begann, später vor allem mit Regisseurinnen wie Akerman, Marguerite Duras (India Song) und Ulrike Ottinger (Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse) zusammenarbeitete und außerdem selbst ein kleines, aber hochinteressantes Regiewerk vorlegte.
ROMANTISCHES KONTINUUM: DAG JOHAN HAUGERUD
Er ist zwar schon seit den späten 1990ern als Filmemacher aktiv, dennoch wirkt es ein bisschen so, als komme Dag Johan Haugerud aus dem Nichts. Sehnsucht und Liebe, die ersten beiden Teile seiner Oslo-Trilogie, sorgten bereits 2024 auf internationalen Festivals für Furore, der Abschlussfilm Träume bildet dieses Jahr den krönenden Abschluss und gewann als erster norwegischer Film überhaupt auf der Berlinale den goldenen Bären. Gemeinsam ist allen drei Filmen ein Bewusstsein dafür, wie Liebe, Begehren und Sprache zusammen-gehören. Es wird nicht einfach nur über die Liebe gesprochen in Haugeruds Filmen; vielmehr zeigen sie auf, dass das, was wir Liebe nennen, immer schon in unsere, von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlichen, Lebenserzählungen eingebettet ist. Wir sind, anders ausgedrückt, den Irrungen und Wirrungen der Liebe nicht hilflos ausgeliefert, sondern sind allesamt - man darf das angesichts dieser beglückenden Filme ruhig einmal so pathetisch ausdrücken - Teil eines romantischen Kontinuums des Menschlichen. Dem man sich am besten in seiner Gesamtheit nähert: Das Filmhaus zeigt im Juli alle drei Teile der Trilogie in enger Folge.
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Filmhaus Nürnberg
im Künstlerhaus, Nbg.
Infos & Termine: www.filmhaus-nuernberg.de
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