Aus der Hüfte ins Herz: Abschied von den Chefs am Staatstheater

SAMSTAG, 28. JUNI 2025, STAATSTHEATER

#Abschied, #Ballett, #Goyo Montero, #Jan Philipp Gloger, #Staatstheater

Abschied hoch Zwei: Ballettdirektor Goyo Montero und Schauspielchef Jan Philipp Gloger verabschieden sich vom Staatstheater Nürnberg – mit denkwürdigen Abenden. Von Andreas Radlmaier

Und dann kommt Theo. Mit seinem Vater Goyo Montero erscheint der Teenager auf der Bühne des Nürnberger Opernhauses und singt mit berührendem Knabensopran vom Ende aller Träume. Schubert. Winterreise. Vater und Sohn lehnen sich aneinander, reichen sich die Hände, umkreisen sich – und stoppen gegen Ende ihren Abgang von diesem glänzenden Tanz-Fest der Phantasie. Sie wenden sich dem im Hintergrund wartenden Ensemble zu, Goyo verbeugt sich im spanischen Hofstil, dann stürzt er in den jauchzenden Rudelkreis seiner 24 Tänzerinnen und Tänzer, ins auch akustisch explodierende Zentrum des Teamspirits.

Es ist ein bemerkenswertes Detail dieses visuell und thematisch überwältigenden „Abschiedsgeschenks“ von Ballettdirektor Goyo Montero, der nach 17 prägenden Jahren Nürnberg am Saisonende Richtung Staatstheater Hannover verlässt, dass auch dieses familiäre Flimmern in der einstündigen Kreation „Malditos Benditos“ völlig frei von Peinlichkeit ist, weil emotionale Authentizität triumphiert.

Goyo Montero macht sich und seinen Fans den Abschied ganz schön schwer. Und man fragt sich am Ende, wer hier eigentlich die „verdammten Gesegneten“, „Malditos Benditos“, sind: die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die sich als ästhetisch überragendes Kollektiv in wenigen Wochen in alle Winde zerstreuen. Oder die Menschen vor der Bühne, die an diesem Abend nochmals die symptomatische Goyomanie im Schnelldurchlauf und noch dazu in Bestform erleben dürfen. Ein Schlussstrich wie eine Leuchtspur. Wahlweise auch ein Ausrufezeichen für Monteros Nachfolger Richard Siegal.

Er wünsche sich, sagt Montero ganz am Ende in die stehenden Ovationen des Publikums und wärmenden Worte des sichtlich angerührten Intendanten Jens Daniel Herzog hinein, dass das Opernhaus ein „Tanztempel“ bleibe, ein Ort zum „Experimentieren“ und zum „Staunen“. Hardcore-Fans bleibt ja immer noch, Entzugserscheinungen künftig in Hannover zu bekämpfen. Dirigier-Darling Joanna Mallwitz macht es da vor: Berlin, der aktuelle Arbeitsplatz von Mallwitz, hat für viele Nürnberger erstaunlich neue Anziehungskraft. Vor Ort trösten sich Stadt- und Theaterspitze damit, dass Nürnberger Kultureinrichtungen „Talentschmiede“ und „Sprungbrett“ seien.

„Es ist meine Pflicht, mit der Zeit zu gehen und mit der Zeit zu gehen“, fasst Jan Philipp Gloger am darauffolgenden Abend im vollbesetzten Schauspielhaus „einen furchtbar traurigen Moment“ zusammen. Auch der ans Wiener Volkstheater wechselnde Schauspieldirektor sagt – weil ja, wie er ausdrücklich für sich betont, der Weg das Ziel ist – nach sieben Jahren „Tschüss und Ade“. In einer wortreichen Gala, die für den Rückblick auf die 106 Produktionen eineinhalb Mal so lang brauchte wie Montero.
Die vom organisierenden Ensemble in Richtung Preisverleihung gerückte Verbeugung vor Gloger hatte zeitweise den Charme eines kicherenden Nabelschauspiels mit dem festen Willen zur Selbstironie in vielen Kategorien. Es wird aus der Hüfte geschossen und aufs Herz gezielt. Und so glitzerte der Revue-Vorhang mit den gerne aus dem Parkett kommentierten Weißt-du-noch-Erinnerungen um die Wette.

Die Erotik-Sprechpuppen aus dem Erfolg „Übergewicht“ (Nürnbergs erste Einladung zum Berliner Theatertreffen überhaupt) wackeln in Anwesenheit von Regisseurin Rieke Süßkow herein, Pius Maria Cüppers gibt die livehaftige Disco-Kugel am Drahtseil, ein blinder Seher Teiresias mit Lesebrille tritt ans Pult, eine Parodie mit spanischem Akzent und rotem Slip sendet einen schönen, veräppelnden Gruß ans Ballett-Chef Montero. Die Theaterband „Orbit“ reaktiviert The Knack und am Ende steigt das Publikum als interaktives Großrudel auf die Bühne. Selfiemachen ist gewünscht, die seufzende Selbstbeschwörung des Theaters sowieso: „Ein Stein fing Feuer.“

Ein haushoher Fuchs mit Glutaugen (wo ist der noch mal her?) bildet bei der Gloger-Gala den Eyecatcher. Bei Mondtero sind es vor allem über 300 Stühle, die Stapelware, Tanzgerät und Wander-Symbol in einem sind. Es geht um Anfang und Ende, Licht und Schatten, Last und Schwerelosigkeit. Also nimmt „Malditos Benditos“ Bezug auf Monteros Einstiegsproduktion „Benditos Malditos“ im Jahre 2008: Tanz im Spiegel des künstlerischen Ausdrucks. Ganz zu Beginn steht das schwarz gekleidete Ensemble mit dem Rücken zum Publikum an einem zweiten roten Vorhang und verbeugt sich. Das Finale als Anfang der Rückblende. Auch Montero läuft und tanzt (mit beachtlicher Körperspannung) in den 16, organisch verbundenen Szenen zwischen Solo-Kunst und Kollektiv-Kraft durch die eigene Ära.

Ein Zirkelschlag der Entwicklungen und Inspirationen, in Goldfolie verpackt, von der Milchstraße beleuchtet. Musik und Literatur werden zu Bewegung, zu Rhythmus, Seelenschau. Hermann Hesse und Joaquin Sabina, dessen Gedichte leitmotivisch eingesprochen werden, dazu John Dowland, Bach und Owen Belton, Monteros Musiklieferant als Referenzen der Reflexion. Dass auch Bob Dylans Song-Klassiker „It’s allright, Ma“ zur individuellen Solo-Stafette taugt (samt geschmeidig abgestreiften Hosen, wenn es um den „nackten“ US-Präsidenten geht), ist nur eine weitere Erkenntnis an diesem in jeder Hinsicht erstaunlichen Abend. Das Vermächtnis einer Ära.
 
 
Weitere Termine von „Malditos Benditos“

Do., 03.07.2025, 20 Uhr
Fr., 04.07.2025, 20 Uhr
Sa., 05.07.2025, 19.30 Uhr
Do., 10.07.2025, 20 Uhr
Fr., 11.07.2025, 20 Uhr
Sa., 12.07.2025, 19.30 Uhr
Sa., 19.07.2025, 19.30 Uhr
 




Twitter Facebook Google

#Abschied, #Ballett, #Goyo Montero, #Jan Philipp Gloger, #Staatstheater

Vielleicht auch interessant...

STAATSTHEATER. Goyo Montero im Interview mit Andreas Radlmaier

Frisch dekoriert mit dem bayerischen Verdienstorden „Pro meritis“ steuert
Goyo Montero (47) mit der Retrospektive „Boîte-en-valise“ (13. bis 17. Juli) und der Internationalen Tanz-Gala (21./22. Juli) im Opernhaus ins (ausverkaufte) Grande finale seiner „Jubiläumssaison“. 15 Jahre ist der Madrilene Ballettchef in Nürnberg. Jubiläum hin oder her – eine Ära Montero ist das bislang sicherlich. Medien sprechen respektvoll vom „Nürnberger Ballettwunder“. Das kann man mindestens noch fünf Jahre bewundern. So lange läuft Monteros Vertrag, also bis zum 20. Jubiläum. Andreas Radlmaier sprach mit Montero über seine „Heimat“, den Ballettsaal, seine Oase Nürnberg und Pläne zwischen Hermann Hesses „Steppenwolf“ und der ersten Opern-Inszenierung.  >>
20250601_Staatstheater
20250310_VAG
20250223_KuF_Kommvorzone
20250201_Retterspitz
20260601_herzo
20250601_schauspiel_erlangen
20250515_Neumarkt
20250401_ebl_AZUBI
20250506_NueDigital
20250605_Social_Design_Days
20250603_Retterspitz