Egers + Jordan: Kunst

FREITAG, 23. FEBRUAR 2024, AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE

#Buchprojekt, #Edition Blumen, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.


Der Moll war auch der erste, der das Kunststudieren angefangen hat. Wir hatten damit freilich geliebäugelt und davon geträumt. Aber der Mut, da einfach einmal hinzutappen mit den kurzen Beinen zur gebenedeiten Akademie der Bildenden Künste und anzuklopfen und zu sagen: „Horch einmal, Frau Professorin. Ich möcht fei auch in euerm Verein mittun dürfen.“ – dieser Mut war einfach zu klein. Oder anders gesagt, wir hatten einen heiligen Respekt vor der Kunst und davor herzugehen zu sagen, ich nenne mich jetzt Künstler oder auch nur Kunststudent. Es wollte mir lange Zeit nicht in den Schädel, was man tut, wenn einen die launische Muse nicht küsst, einen der liebe Gott nicht mit den Finger stupst, man ums Verrecken nicht weiß, was als nächstes gemalt oder gedengelt werden soll. Moll hat dann kurzen Prozess gemacht. Hat sein Zeuch in eine Mappe gepackt und hat alles dem Professore Diet Sailer mit Ehrfurcht auf den Schreibtisch geknallt. Und der Moll wurde aufgenommen. Bamm! Hauptgewinn. Der größte Held im Gurkenfeld. Philipp Balthasar Moll. Die Künstlerin Eva von Platen hat einmal gesagt: „Jeder Mensch sollte einmal in seinem Leben Kunst studieren.“ Es bestünde dann tatsächlich die Möglichkeit, dass es nicht ganz so verkorkst zuginge auf diesem unseren Planeten.

Der Moll wurde ein Künstler. Ich konnte ihm direkt dabei zusehen und habe von seinem Studium profitiert. Einmal habe ich zu meinem Freund gesagt: „Also das, was da dein Professor so hinpinselt, das ist freilich schon akkurat und ordentlich. Aber diese bunten Dreieckla. Wenn Du in der gleichen Farbe ein Sofa hast und so ein Bildlein drüber hängst. Das mag passen. Da ergibt sich bestimmt eine Stimmigkeit. Aber sei mir nicht bös. Rock und Roll scheint mir das eher nicht zu sein.“ Aber den Zahn hat mir der Philipp ganz schnell gezogen. „Du musst wissen, der Sailer hat bei den Kommunisten in Rumänien angefangen Dreieckchen, wir wollen mal Deine Formulierung bemühen, zu malen. Das hat den Genossen nicht gefallen. Überhaupt nicht, um genau zu sein. Die hätten lieber Bilder gemalt bekommen von kräftigen Männern mit nackten Oberkörpern vor rot glühenden Hochöfen, faltigen Bauernweiblein beim Kartoffelnklauben im Schweiße ihres Angesichts, flatternden Fahnen, Reihen fest geschlossen. Die Dreiecke haben die richtig wütend gemacht. Dreiecke waren wildester Punkrock. Damit hat der Sailer die Herrschaften auf die Palme gebracht. Und sie haben versucht ihn zu überzeugen, dass er mit dem Quatsch endlich aufhören soll. Aber der Sailer hat weiter Dreiecke gemalt. Dann wurde er gewarnt und hat sich verzupft genau zum richtigen Zeitpunkt. Und wer weiß, was die Bagage mit ihm angestellt hätte, wenn sie ihn in ihre schmutzigen Finger bekommen hätten.“ …

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Dieser Text von Matthias Egersdörfer geht noch weiter und es gibt zu dem Text auch noch mehr Bilder von Michael Jordan. Christian Dümmler ist gerade dabei, daraus ein kleines Buch zu machen, das in der Edition Blumen erscheinen wird. 
Weitere Informationen dazu HIER.

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Matthias Egersdörfer     
Michael Jordan     

Der Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Der Egers schreibt, was er erblickt. 

EGIS TERMINE in der Region im Februar & März    
06.02. // Ahoi vom egers in der Comödie in Fürth
20.02. / 19.30 Uhr // WortWeltFranken: Matthias Egersdörfer „Manifest des idealen Sonntags“ - Lesung mit anschließendem Werkstattgespräch in der Stadtbibliothek in Nbg.




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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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