Kleine Ausflüge vom Egersdörfer und dem Herrn Jordan: Espresso

SAMSTAG, 1. APRIL 2023, NüRNBERG, ERLANGEN

#Espresso, #Hubertussaal, #Kleine Ausflüge, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan, #Tafelhalle

Eckdahl, hauptberuflich lautstarker Spaßmacher, zwei uneheliche Kinder in verschiedenen Bundesländern, topflappengroßer Haarausfall am vierundfünfzigjährigen Hinterkopf, Restkonvolut der Frisur schwarz gefärbt mit metallischem Glanz, in verschiedene Richtungen verwachsene rotblonde Augenbrauen, rotadrig vernetzte Mausnase, Knopfaugen, Zahnlücke nach einem zu langen Blick in ein anderes Gesicht auf Gleis 9 des Mannheimer Hauptbahnhofes, blauwangig, Hohlkreuz, Spitzbauch, Pferdeschenkel, Spreizfüße, war der Einladung der schmalohrigen Schwägerin via handgeschriebener Postkarte, mit dem umseitigen Motiv einer Hausschlachtung im Burgenland aus dem 19. Jahrhundert, zum jährlichen Jour fixe in den Bungalow am Stadtrand von B. gefolgt.

Vorgeblich ging es um den gegenseitigen Austausch von Befindlichkeiten und die Erörterung von Eckdaten der Existenz. Realiter monologisierte die Frau Vorstoppel ohne größere Unterbrechung. Eckdahl war den verschatteten Weg zum flachen Haus gegangen. Vor der Betätigung der Klingel hatte er tief eingeatmet. Die glänzstirnige Ehefrau seiner Schwester hatte zur Begrüßung die Luft über seiner rechten und linken Wange geküsst und er hatte dabei ihren Rachendunst geatmet. Bergamotte, Blasentee, Essig. Die kinderlose Hausfrau, Magister Artium der Theaterwissenschaft, zeit ihres siebenundsiebzigjährigen währenden Lebens Verwalterin eines opulenten Erbes aus der Holzlineal-Manufaktur des Urgroßvaters, hatte Worte, Wortverbindungen, Satzanhänge, Überleitungen und Gedankenskizzen im Vorfeld hinter ihrer hohen Stirn gehortet. Ihre langen Haare hingen, weiß-blond wie Wasserpflanzen, vom sich nach oben verbreiternden Schädel. Langer, dünner Mund. Mehrere hintereinander, schief gestellte Zahnreihen, auf denen die Mauszunge tanzte. Der nadelstechende Blick ließ dem Humoristen sofort Unterstellungen fürchten. Das kugelschreiberförmige Riechorgan mit ovalen Nasenlöchern schnüffelte und verbog sich ständig. Maulwurfartige Grabschaufelhände grapschten die Luft aus einem schwarzsamtigen Kaftan. Eine Silberbrosche baumelte drohend zwischen den großbirnigen Brüsten. Sie gingen den gekachelten Gang entlang zu der Küche im zeitlosen Stil der 60er Jahre.

Dort war es aufgeräumt und kalt. Er setzte sich an den Tisch. Sie fragte ihn, ob sie ihm einen Espresso zubereiten dürfte. Sie wusste, dass er dies bejahen würde und hantierte schon an der Kaffeemaschine, während er sich anschickte zu sprechen. Er hatte kaum seine Antwort verlautbart, als sie schon begann, den Damm ihres Wörtersees vor ihm zu öffnen. Eckdahl rückte den Hintern auf dem weißen Stuhl ein Stück nach hinten und schluckte die Spucke, die sich in seinem Mund gebildet hatte. Die Stimme der Schwägerin schien ihm ein wenig brüchig. Dennoch sprach sie viel, ohne Unterbrechungen, mit regelmäßigen Lücken der Nachvollziehbarkeit und Logik. Der schwarze Kaffee lief währenddessen in ein kleines Tässchen. Sie stellte es ihm auf einen kleinen Unterteller und legte ein silbernes Löffelchen hinzu, wobei sie redete und redete. Vor ihr auf dem Tisch stand ein dunkelbrauner Humpen, aus dem es indifferent herausroch. Vom Sud darinnen trank sie keinen Schluck. Sie wollte ihren Wortfluss nicht unterbrechen. Getrunken hatte sie bereits vorsätzlich vor dem Erscheinen des Schwagers.

Eckdahl hörte oberflächlich zu. Genau genommen überflog er ihre Ausführungen und achtete einzig darauf, ob sein Gegenüber etwa eine Frage formulierte, auf die er dann etwas sagen sollte. Indessen passierte dies nicht oft. Eckdahl betrachtete seine Tasse und dachte dabei: „Das ist keine Tasse das ist eine Ironie von einem Geschirr und würde wohl besser in ein Puppenhaus hineinpassen als Behältnis für Schirme und Spazierstöcke und gnade Dir Gott wenn Du in den Wahn verfällst und den Finger in den Henkel steckst da verklemmt dir der Zeigefinger das Blut staut sich dick um die Keramik in den Porzelanwitz gefesselt bist du dann gezwungen die Lächerlichkeit an der Wand zu zerschlagen damit dir nicht die Hand verdorrt oder das Blut klumpt durch die Enge ein aus der Kleinlichkeit erzwungener Pfropfen des Plasmas den Herzstillstand erzwingt das schöne Leben zu Ende gebracht wegen einem idiotischen Tässchen soll sie doch das unnütze Ding in die Vitrine stellen neben den stummen Vögelchen Kerzenhaltern Gedenktellern und Silbermünzen verstauben lassen laufe ich obendrein Gefahr mir eine Sehnenscheidenentzündung einzuhandeln bei dem dummen Versuch in dem Dingelchen Zucker einzustreuen und zu verrühren mit dem Deppenlöffelchen zwingt mich der Fingerhut das Mündchen zu spitzen wie die Spitzmaus einen kleinen Spritzer Milch schlürft auf den Dielen stülpt sich beim Schlürfen obendrein das Gefäß über meine Nase schmiert braun die Koffeinbrühe deren Haut in den gestauchten Sud verschachtelten Kaffees der nicht einmal schwappen kann in sich selbst gefangen als Hohn auf die Mühen und Strapazen der geschundenen Arbeiter in weit entfernten Erdteilen durch Not erzwungene Frondienste zur Verfertigung der Bohnen der Pflege der Pflanzen seiner entbehrungsreichen Ernte für einen Hungerlohn fährt das schwarze Gold durch die halbe Welt um in einer vollkommen Blödsinnigkeit verschachtelt zu werden kein Platz bleibt dem Wohlgeruch zu verdampfen ein Aroma in der Luft zu entfalten die Geschmacksknospe zu öffnen gestaucht wird der Göttertrank aus einem Anfall und dem Hang zur geistfernen Putzigkeit zwingt die himmelschreiende Ignoranz zu dieser Zumutung erpresst mich die Schuld einer schweren Sünde oder die Wut eines Rachegottes.“

Der Eckdahl dachte so in dieser Art vor sich hin. Hörte mit einem Ohr die Ausführungen der angeheirateten Verwandten zeitgleich wie eine ferne Musik. Die Wortkaskaden ließen nach zwei Stunden allmählich nach. Die Schwägerin fragte, ob er eine zweite Tasse vom Espresso haben wollte. Eckdahl sagte fast ein wenig zu laut: „Nein.“ Dann wischte er sich über Stirn und Kinn und verabschiedete sich in hoher Geschwindigkeit und lief in die gegengesetzte Richtung auf dem Weg, den er gekommen war.

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Matthias Egersdörfer    
Michael Jordan    

Der Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Der Egers schreibt, was er erblickt.

EGIS TERMINE in April/Mai     
23.04. Nachrichten aus dem Hinterhaus in der Tafelhalle in Nbg //
18.05.–21.05. Matthias auf der Bühne mit dem THEATER DREAMTEAM im Hubertussaal in Nbg //
25.05. Egersdörfer und Fast zu Fürth im Bernsteinzimmer in Nbg     
Und ganz neu: NACHRICHTEN AUS DEM HINTERHAUS gibt es jetzt auch auf CD, für alle Fangirlz und -boyz!

Michael Jordan
Im Rahmen des 23. internationales figuren.theater.festival findet die Ausstellung Francesca Hummler – Unsere Puppenstube statt. Vom 12. bis 21. Mai, täglich 14–20 Uhr, in der Galerie Ex-Pfeiffer, Hauptstr. 52, Erlangen. Insta: @galerieexpfeiffer
Und im Rahmen der 7. Biennale der Zeichnung bespielt Michael das Fensterfront Display der kunst galerie fürth. Eröffnung am 21. Mai, Laufzeit bis 31.08. 
Ganz andere Nummer: Bereits am 23.03. erschien sein Buch Pourquoi nous sommes las beim franko-belgischen Comicverlag Frémok.
www.fremok.org 




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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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MAGAZIN  
 
Thomas Köck hat, das hört man eher selten, ein Stück geschrieben, das nicht zum Nachdenken anregen soll. Es zeige einfach nur die Fakten auf. Fast resigniert klingt dementsprechend der Titel: Und alle Tiere rufen: dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr zeigt die Konsequenzen der Existenz und Dominanz des Menschen auf diesem Planeten auf. Regie führt Christoph Dechamps, auf der Bühne steht Thomas Witte. Premiere am 19. April. Das nächste Gostner-Endzeit-szenario folgt dann im Mai: Monte Rosa erzählt von drei Bergsteigern auf den Weg zu den Gipfeln. Für diese drei zählt nichts als der Aufstieg, alle zwischenmenschlichen Beziehungen sind zweckmäßig gedacht. Theresa Dopler hat eine Dystopie geschrieben, in der das Konkurrenzdenken unserer Zeit auf die Spitze getrieben wurde. Premiere: 4. Mai.

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Gostner Hoftheater   
Austraße 70, Nbg.



Salz+Pfeffer
 
Mord im Theater Salz+Pfeffer! Beziehungsweise, schon im Theater Salz+Pfeffer, aber eigentlich in der kleinen Pension Monkswell-Manor in England. Zwei alte Damen hören von dem Fall im Radio und fühlen sich dazu berufen, der Sache nachzugehen und ihn aufzuklären, klar. 
Zum Glück bringen die beiden neben einer Menge englischen Humor auch ausreichend kriminalistisches Gespür mit. Mausefalle ist ein typischer Krimiabend nach Agatha Christie. Paul und Wally Schmidt schlüpfen selbst in die Rollen der ermittelnden Damen. Die verdächtigen Figuren stammen von Ralf Wagner und Uschi Faltenbacher. Termine: 16., 21. und 22. April. 
Und apropos alte Dame: Der Besuch der alten Dame nach Friedrich Dürrenmatt läuft im Salz+Pfeffer in April und Mai ebenfalls weiterhin. Ein Welterfolg des Nachkriegstheaters, in Puppen übersetzt in der Maskenwerkstatt Marianne Meinl.

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Theater Salz+Pfeffer
Frauentorgraben 73, Nbg.

 
 
Ungewöhnliche Produktionen, gerade im Tanzbereich, finden einen Ort in der Tafelhalle. Z.B., wenn man nicht nur mit Menschen performt, sondern auch drei autonom fahrende Soundroboter mit auf die Bühne holt. Mit zwei Tanzenden zusammen bilden die Robos in Alexandra Rauhs Tanz-Performance mit Soundinstallation Glitching Bodies einen Gesamtorganismus, der die Frage aufwirft, wer hier eigentlich von wem beeinflusst wird. Am 21. und 22. April nochmal anschauen. Und dann gleich am 23. April wiederkommen, wenn der liebe Herr Egi Egersdörfer in der Tafelhalle seine Geschichten aus dem Hinterhaus darbietet. Das Ensemble Kontraste ist außerdem gleich zwei Mal zu Gast: Am 29.04. mit Debussy, Bartok und Ravel für vier Hände, an Klavier und Schlagwerk. Am 07.05. dann lädt Schauspielerin Adeline Schebesch ins Dichtercafé, die uns mitnimmt auf Goethes italienische Reise. Dazu hören wir gerne Mozart. 

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Tafelhalle 
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nbg.

 
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