Kleine Ausflüge vom Egersdörfer und dem Herrn Jordan: Mergellina und Garfagnana

FREITAG, 11. AUGUST 2023

#Egers, #Egersdörfer, #Kleine Ausflüge, #Michael Jordan

Es war heiß in Fürth. Die hölzernen Rollläden waren heruntergelassen worden. Die Wohnung lag im trüben Dunkel. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, ein geöffneter Karton mit Resten einer Pizza, Briefe und ausgedruckte Manuskripte. Egersdörfer saß mit feuchten Schläfen in einem tiefen Sessel und schrieb dem Jordan eine Nachricht nach Erlangen: 

Lieber Michael, wann und wo treffen wir uns denn morgen? Wie findest Du den Wöhrder See, Restaurant am Bohlenplatz? Sitzen, schauen, zeichnen, schreiben, essen und trinken, alles gleichzeitig wäre super …
Indessen stand der Jordan vor einem Zeichentisch und betrachtete einige Blätter mit Zeichnungen. Er trank dabei einen kühlen, grünen Saft. Das Zimmer war spärlich möbliert und strahlte in hellem Weiß. Ein Radiator in der Ecke des Raumes drehte sich mit leichtem Brummen. Das Handy sirrte kurz. Jordan las die Nachricht. Er antwortete: 
Lieber Matthias, schöner Vorschlag. Das klingt nach einer entspannten Location. So gegen 18 Uhr meinetwegen? Passt das bei dir und wenn nicht, was wäre besser? Lg Michael.
Egersdörfer hatte mit der zügigen Antwort nicht gerechnet. Jordan war zwar schnell. Aber er hatte die Nachricht wohl nur zur Hälfte begriffen, dachte sich der Egersdörfer. Er schrieb: 
Weißt Du ein Restaurant am Bohlenplatz? Ist da schön Schreibzeichnen und Essen?
Jordan indes hatte sich gerade in eine Zeichnung vertieft, die eine Streetartkünstlerin zeigte, die gerade auf eine Hauswand sprayte. Er strich mit der Hand über das Papier und spürte feine Reste vom verwendeten Sprühlack. Bei der Arbeit an der Wand gestaltet die Künstlerin mein Blatt noch mit, dachte sich der Jordan. Dann schrieb er zurück:
Leider kenne ich mich am Wöhrder See nicht gut aus. Das Restaurant Bohlenplatz kenne ich nicht. Wo ist das genau?
Egersdörfer las. Dann wischte er sich mit dem T-Shirt über die feuchte Stirn. Er tippte in sein Handy:
Der Bohlenplatz ist doch in Erlangen, wenn ich mich nicht irre. Erzähltest du mir da nicht von einem recht großartigen Italiener?
Sodann brummte er vor sich hin „das macht doch alles keinen Sinn“ und rief den Jordan an. Aber der Jordan goss zu dem Zeitpunkt die Blumen bei seinem Nachbarn, einen Stock über seiner Wohnung, und hörte das Klingeln nicht.

Am nächsten Tag saß der Jordan schon an einem Tisch vor der Pizzeria in der Schuhstraße in Erlangen, als der Egersdörfer gemäßigten Schrittes herankam und sich gegenüber auf den freien Stuhl setzte. Er schwieg lange und betrachtete aufmerksam sein Gegenüber. Dann sagte er zum Jordan: „Er hat sich verändert. Er ist nicht mehr der Gleiche. Er hat samt und sonders nichts mit der Person zu tun, die ich vermeintlich zu kennen glaubte.“ – „Ich weilte drei Monate in Frankreich. Mit einem kleinen Nachen fuhr ich auf eine kleine Insel. Ganz aus schwarzem Stein. Seit letzter Woche weile ich wieder in dieser Stadt hier.“ Beide schwiegen. Dann bestellten sie erst Getränke und dann Pizza. Jordan lehnte sein Klemmbrett mit dem eingespannten Bogen an den kleinen Holzrippentisch. Er blickte in Richtung der allmählich sinkenden Sonne, und dem Egersdörfer erschien es, als leuchte sein Gesicht braungolden. Dann senkte er den Blick und seine Hand hielt mit dem Stift das Ersehene fest. Dann hob er wieder den Kopf ins Licht und senkte ihn wieder und zeichnete immerfort.

Der Egersdörfer blickte über die Straße. Dann schrieb er in seinen Block: Auf der runden Steintischplatte, die auf vier gußeisernen Beinen in Kreuzstellung emporgehalten wird, steht ein Glas Bier neben einer braunen Flasche. Aus einem Teller wurde hurtig gespeist vom nicht mehr ganz jungen Mann im kurzärmligen blauen Polohemd und der blauen kurzen Hose, aus der die Beine ragen, die in zwei Trekking-Sandalen münden. Als Nachtisch schaut er durch die Gläser seiner schwarzumrandeten Brille, auf das Handy, welches er in der linken Hand hält. Mit der freien Hand kratzt er sich gelegentlich am Hinterkopf. Er trippelt unruhig, während die Bedienung das Geschirr abträgt und ihn fragt, ob alles recht sei und ob er noch einen weiteren Wunsch habe.
Egersdörfer trank Cola. Jordan hatte sich für eine italienische Limonade entschieden. Beide saßen vor dem grauen Teer einer schmalen Fahrbahn, direkt vor dem Schaufenster, hinter dem Champagner- und Weinflaschen aufgereiht waren. Im Innenraum hatte einer sich den Telefonhörer zwischen Schulter und Backe geklemmt und notierte eine Bestellung. Ein Mann im weißen Unterhemd drehte recht flink Teigräder auf einer bemehlten Tischplatte. Wieder ein anderer sortierte Rechnungsbelege aus einer durchsichtigen Box. Aus der Tür schwappte eine Welle aus Geplapper und Geklapper. Und es dufteten nebenher der Teig aus dem Ofen, das Gemüse und gebratene Wurst und Käse. Italienischer Sprechgesang über allem. Einer sagte: „Lasst Euch schmecken und einen schönen Abend wünsche ich Euch.“ Pizzaschachteln wurden fortgetragen. Die Bedienung brachte dem Jordan eine Pizza „Margellina“ und dem Egersdörfer eine „Garfagnana“. Beide schnitten sich ein Stück ab und aßen. „Diese Pizza kann der dümmste Mensch essen“, sagte der Egersdörfer. Der Jordan antwortete: „Die Sonne, unter welcher diese Tomaten reiften und welche jetzt zerstoßen auf diesem Teigrund ruhen, hat nicht vergeblich geschienen. Ihre ganze Kraft gereicht mir zur Sättigung und erlaubt mir huldvollen Genuss dieser erlesenen Köstlichkeit. Kurzum, die Pizza schmeckt mir hier recht gut.“ Vor und hinter dem Jordan saßen die Gäste entlang der Hauswand. Die jungen Eltern mit dem Kind. Der bärtige Vater durfte das Kind halten. Sie trug eine grafisch aufwändige Bluse, silberne Dreiecke zogen ihre Ohrläppchen nach unten. Die Reste des Lippenstifts waren über die Stunden des Tages leicht verblasst. Neben dem Egersdörfer stand ein Mann mit Pflastern an zwei Fingern. Baseballkappe. Gekreuzte Beine. Sneaker. Im Gespräch mit der Frau. Diese trug ein vervielfältigtes Mikroskopbild einer Bakterienkultur auf ihrem Rock. Goldgefasste Sonnenbrille mit grünen Gläsern in der brünetten Frisur mit den blonden Überresten einer Färbung. Goldengroße Ohrringe. Sie lachte wie ein Turnierpferd. Die Lidschatten übermalten die Traurigkeit. Sie griff sich kurz an die Stirn. Dann fingen ihre Finger unsichtbare Wörter aus der Luft.

Das rote Lamellenrund der Lüftung in der Fassade. Im vorauseilendem Gehorsam leuchtete es aus dunkelgrauen Zylindern die Hauswand hinauf und hinunter. Vier kleine, nutzlose hellgraue Gestänge hielten schwarze Markisen über grün gerahmte, geöffnete Fenster. Fünfmal unterfüttert wurden die Fensterbretter. Illusionssandsteinquader. Spritzgussaugen unter den gefassten Scheiben. Umwirkte Dreiecke und Halbkreise krönten die Fensteröffnungen. Der zweite Stock war rot gemauert. Dort ließ der Fassadenschmuck allmählich nach. Braunblech ummantelte Dachluken. Auf der Antenne saß eine ramponierte, schwarzgraue Taube und drehte unabhängig voneinander Hals und Kopf in verschiedene Richtungen. Der Himmel ist blau. Ansonsten -- Nichts -- jede weitere Bemerkung erübrigt sich. Ja, gut, weiter hinten in der Straßenflucht hellt das Firmament ein wenig auf. Schludrige Wolkenschlieren. Insgesamt nicht erwähnenswert, notierte der Egersdörfer. Dann aß er wieder die Liaison aus Käse, Tomaten, selbstgemachter Salsiccia auf einem grundguten Teig aus guter Tradition. Der Jordan strichelte auf seinem Papier. Leuchtend wie ein Halbgott.

Eine große halbe Melone, in Zellophan gehüllt, wurde vorbeigetragen. Zwei plaudernde Freundinnen joggten nebeneinander in die andere Richtung. Hinterher fuhr ein Mädchen auf dem Fahrrad und schaute lachend die Menschen auf der Straße im sommerlichen Abend. Dann erschien die dunkelrot gebräunte Prinzessin. Der Jordan unterbrach für einen Augenblick sogar das Stricheln und guckte. Ein raffiniertes Oberteil schmückte die Dame. Ein goldener Ring hielt überm Nabel den schwarzen Stoff, der den Brustbereich nur teilweise bedeckte. Die langen Beine im wallendweichen Stoff machten tanzende Schritte. In ernster Würde entschwand die Erscheinung aus dem Blickfeld der beiden Herren. Egersdörfer schnitt sich noch ein Stück von seiner „Garfagnana“ ab. Jordan äugte wieder seine Striche auf dem Papier.

Zu den Gästen wurden unermüdlich Teller mit Speisen getragen, Getränke, Flaschen mit Öl und Essig, Salz- und Pfeffermühlen. In die entgegengesetzte Richtung trugen die Ober und Oberinnen die leeren Gefäße und Gläser. Im zügigen Vorbeigehen versuchten sie etwaige Wünsche zu erahnen und sogleich zu erfüllen. Hinter dem Rücken des Jordan blieb jetzt die italienische Frau stehen und betrachtete seine Arbeit. Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie rief „sehr schön“ in seine Zeichnung hinein. Und Jordan juchzte fast: „Ich male die ganze Straße. Ich zeichne alles, was ich hier sehen kann und esse dabei eine wunderbare Speise.“ – „Wie schön Sie diese Welt hier festgehalten haben“, sagte darauf die Dunkelhaarige und klopfte dem Erlanger Zeichner unablässig auf die Schulter. Währenddessen schrieb der Egersdörfer in seinen Block: Der Jordan hockt sich hin und zeichnet, was er sieht. Dann ist er fertig. Ich habe auf sechs großformatigen Seiten einen regelrechten Wörterbrechdurchfall verzeichnet. Bei mir dauert das dann noch einmal mindestens zwei Tage, bis daraus so etwas wie ein brauchbarer Text entstanden ist. Der Jordan wird hofiert. Sein Ergebnis ist sofort einsehbar. Regelrecht feiern lässt er sich. Und jetzt lässt er sich auch noch ein kleines Radler bringen. Diesen Mann kann man leider nicht ernst nehmen.

Der Jordan trank hocherfreut sein Biermischgetränk. Er schaute über den Tisch zum Egersdörfer. Der Egersdörfer sah zum Jordan. Egersdörfer fixierte seinen Block. Jordan taxierte seine Zeichnungen. Beide nickten sich einander zu. „Ich habe sogar ein kleines Porträt angefertigt“, sagte der Jordan und drehte das Klemmbrett dem Egersdörfer unter die Nase. Im unteren Teil einer Zeichnung konnte man unschwer den oberen Teil eines spärlich behaarten großen Kopfes sehen. „Immerhin mein Kopf“, sagte der Egersdörfer und für einen kurzen Moment schnellten seine Mundwinkel nach oben. Er schnaufte ruckhaft einen Schwall Luft durch die Nase. Dann verabschiedete er sich mit Handschlag und lief zum Bahnhof. Der Jordan blieb sitzen und trank in aller Ruhe sein Radler aus.

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Matthias Egersdörfer
www.egers.de
Michael Jordan www.ansichten-des-jordan.de

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MICHAEL JORDAN
bespielt noch bis zum 31.08. das Fensterfront-Display der kunst galerie fürth.

 




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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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MAGAZIN  23.02.2024
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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