Dem Egers sei Welt #66: Fahrradtour IV

FREITAG, 31. AUGUST 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Fahrrad, #Kabarett, #Kolumne

Wir standen wie zwei regungslose Eidechsen unter dem Dach des Bushäuschens und glotzten in den Regen. Ein bisschen schien es mir, als würden jetzt weniger Tropfen vom Himmel fallen und ich hoffte, die Wolke könnte jetzt leer sein wie ein Topf Gulaschsuppe nach dem Mittagessen eines Vielfraßes. Der Wolkentopf wurde bereits gekippt.

Bald würde es nur noch tröpfeln. Der letzte Rest der Brühe würde auf die Erde fallen und als Nachspeise gäbe es leuchtenden Sonnenpudding, so ersehnte ich es. Meine Mundwinkel rundeten sich. Ich schaute zum Freund mit temperamentvollem Schweigen. Der schaute weiter in das fallende Wasser vor seiner Nase, in der er jetzt nicht vorhandenen Rotz hochzog. Dann schloss er die Augen und schüttelte den Kopf, öffnete die Augen wieder und sagte: „Das fängst jetzt erst an. Das hört noch lange nicht auf. Das macht der Regen mit voller Absicht und er hört erst damit auf, wenn wir schon lange und vier Stunden keinerlei Glauben mehr haben, dass es überhaupt noch einmal endet mit dem Niederschlag im wahrsten Sinne des Wortes.“ Ich wendete meinen Blick vom Freund ab und schaute die immer gleiche Szenerie der unscharfen Welt vor und neben mir mit der immer gleichen Musik. Das war kein Restsuppenregen. Das war wie in dem Märchen mit dem selbstkochenden Topf, der aus irgendeinem Grund nicht mehr aufhörte, irgendeinen Brei zu produzieren. Mir fiel nicht mehr ein, was dieser übergeschnappte Topf kochte, bis die ganze Stadt voll davon war. Der Anblick der Tropfen und ihr durchsichtiger Klang hatten bereits meine Kopfwolle ganz und gar befeuchtet. Meine Gedanken klumpten.

Der Freund behielt Recht. Es regnete ununterbrochen weiter. Das Grau des Himmels hing wie eine gemauerte Brücke über uns und dem Bushäuschen. Ich sagte: „Lass uns losfahren, bevor es dunkel wird. Wir haben uns das Elend lang genug angesehen. Ich hab genug von diesem Bushäuschen und den Pfützen, aus denen vor mir kleine Teiche werden.“ Der Freund antwortete: „Wenn Kopf, Arme und Beine und der ganze Oberkörper nass werden, ist es nicht so schlimm. Aber durch das Spritzwasser und dem Wasser von oben werden die Schuhe irreversibel durchnässt. Davon werden Deine Füße bis auf die Knochen gewässert. Die Kälte zieht dir durch den gesamten Organismus und friert dein Gedärm. Das Herz wird klamm und die Lunge versteift sich und wird mürbe durch den Wärmeabfall in jeder Zelle des Leibes. Als direkte Konsequenz wird das Ein- und Ausatmen anstrengend wie eine Physikklausur. Durch die stark verminderte Temperatur des Blutes und die geringe Versorgung mit Sauerstoff ist die Sehfähigkeit stark eingeschränkt. Das Hirn behilft sich in dieser Situation damit, dass es gespeicherte Sequenzen aus Alp- und Fieberträumen aus der frühen Kinderzeit als optische Sinneseindrücke wiedergibt. Dann siehst Du Dinge, die es gar nicht gibt und sprichst lateinische Anweisungen eines römischen Zenturio an seine Legionäre vor dem Angriff einer Kindertagesstätte.“ Ich sah, nachdem mein Freund aufgehört hatte zu sprechen, wie die Tropfen auf den Pfützen vor mir kleine Blasen bildeten und kurz darauf zerplatzten. Dann sagte er: „Komm. Wir fahren los.“ Ich warf noch die leere Bierflasche in den Abfalleimer im Bushäuschen, setzte mich unter dem Blick des Kameraden auf mein Fahrrad und dann fuhren wir hintereinander in den Regen hinein.

Das Wasser spritzte weit und wie ein Strahl über das Hinterrad des Vorrausfahrenden. Ich hielt Abstand und senkte den Kopf, um die Anzahl der Tropfen, die mir ins Auge fielen und meine Sicht verschwommen machten, zu reduzieren. Er blickte sich nicht um und trat schnell und trotzig in die Pedale. Ich hatte Mühe ihm zu folgen. An irgendeiner Stelle musste der Regen doch aufhören. Ich stellte mir vor, wie wir im nächsten Augenblick die Grenze des Unwetters überfuhren und in die zwar dampfende aber nicht mehr vom Himmel beschüttete Welt gelangten und wie wir die Tropfen von unseren Armen in die frische, duftende Luft abschüttelten wie unnötige Bedenken und dabei den Rücken streckten wie Vögel nach dem Bade. Wir fuhren aufeinanderfolgend die Straßen hinunter, leicht hinauf, Kurven nach links, rechts und wieder nach links. Allein das Ende der fallenden Tropfen erreichten wir nicht, obgleich wir so trotzig strampelten, dass es fast ein wenig an Besessenheit hinreichte. Der nicht nachlassende Regen, das Wasser, das mir über den ganzen Körper lief, erlaubte mir indessen, meinen Aberglauben einzusehen. Wenn es wollte, konnte es ohne Unterbrechung vier Wochen weiterregnen. Für das Wetter gab es keine zeitlichen Vorschriften, die rechtlich verpflichtend waren.

Aus dem Regen der Zeit war vor uns ein Bahnhof vom Himmel gefallen. Wir stellten die Räder unter und betraten den uneigentlichen Innenraum. Unter dem Stuck der hohen Decke war ein rundlicher Mann mit kariertem Hemd unter grünem Pullunder gerade dabei, über einen Schalter hinweg eine kurzfrisierte Frau und einen kurzfrisierten Mann über mögliche Zugverbindungen in Kenntnis zu setzen. Mit jedem unserer Schritte befeuchteten wir den Boden des Raumes, der offenbar auch als Bücherei genutzt wurde. In Regalen standen gebrauchte Bände, deren Seiten in Ruhe vergilbten. Neben einer fleischig rundblättrigen Pflanze saß in einem gepolsterten Stuhl ein kleines Muttchen wie ein Fragezeichen und las sorgfältig jeden Buchstaben einzeln aus einem Buch auf ihren Knien. Der Mann und die Frau hatten sich von dem Beamten mit dem Kugelkopf abgewendet, der daraufhin die freie Zeit nutzte, um eine schwarze Katze an einem kleinen weißen Fleck am Hals ausgiebig zu streicheln. Dann strich er noch einige Male mit gehöhlter Hand über den Hinterkopf des Tieres. Wir stellten uns an die frei gewordene Stelle und hörten dem Bibliothekar dabei zu, wie er dem Tier in einer Phantasiesprache in die aufgestellten Ohren hinein flüsterte. Der selige Katzenfreund schenkte uns bald schon seine Aufmerksamkeit. Erst sah er jedoch der Katze noch kurz hinterher. Diese hatte nach Beendigung der Zärtlichkeiten ihren Rücken rund gestreckt und war über die Vorrichtung gesprungen. Dann war das Tier quer durch den Raum direkt auf die ältere Frau zu gelaufen. An derem linken Bein schmiegte sie sich seitlich vor und zurück. Als dann das Ömchen begann, sanft mit der flachen Hand über den Rücken in Fellrichtung zu streifen, konnten wir ein lautstarkes Schnurren vernehmen. Wir kauften zwei Zugfahrkarten nach Berlin bei dem Herrn. Nach uns setzten die Frau und der Mann ihr Gespräch mit jenem fort. Die alte Dame blätterte ihre Buchseite um und las weiter. Die schwarze Katze mit dem weißen Fleck schaute durch das untere Fensterglas der Türe in den Regen hinaus.

Es hörte auf der gesamten Fahrt nicht auf zu regen. Vor dem Bahnhof in Berlin waren die Pfützen so tief, dass man mit einem Schlauchboot hätte fahren können. In der Zeitung konnte man am nächsten Tag vom Jahrhundertregen lesen. Das Tief Rasmund hatte die Feuerwehr veranlasst, den Ausnahmezustand auszurufen. Der Regenguss in der Hauptstadt war noch rücksichtsloser und massiver als auf dem flachen Land. Wir pflügten mit unseren Rädern durch die Wellen direkt auf das erstbeste Hotel zu. Der Freund schritt beherzt zur Rezeption, während ich bei den Rädern unter dem Dach des Eingangs wartete. Er kehrte mit einem Gesichtsausdruck zurück, als hätte er eine Tasse stark gesalzenen Kaffee getrunken. Genau ein Doppelzimmer sei noch frei. Als er mir den Preis für die Übernachtung nannte, heulte ich auf wie ein Hund, dem man auf den Fuß gestiegen war.

In dem Zimmer ließ sich die Klimaanlage nicht abstellen. Wie besessen drehte ich immer wieder an der an der Wand befindlichen Einstellung herum. Dann rief ich am Empfang an und bellte in den Hörer: „Ich zahle eine horrende Summe für dieses Zimmerchen. Die Klimaanlage brummt ohne Unterbrechung, dass es eine Zumutung sondergleichen darstellt. Ich habe dieses Zimmer gemietet, um mich nach den Strapazen einer entbehrungsreichen Reise zu erholen. Ich brauche Ruhe. Ich leide unter Tinitus. Nebenbei bemerkt: Diese Matratzen hier sind von minderer Qualität. Man versinkt wie in einem Haufen Scheiße.“ Mit Wucht beendete ich das Telefonat. „Hast Du wirklich Tinitus,“ fragte mich der Freund von seiner Seite des Bettes. „Nein, aber es wäre möglich, dass ich einen habe“, entgegnete ich und versuchte, meinen heiligen Zorn mit einer heißen Dusche zu verkleinern. Währenddessen war jemand vom Personal ins Zimmer gekommen und hatte einige Mal an dem Thermostat gedreht, jedoch ohne Auswirkungen. Es rauschte die ganze Nacht. Der Freund schlief zügig ein und begann zusätzlich zu schnarchen.

Am nächsten Tag regnete es noch immer. Wir fuhren mit dem nächsten Zug nach Hause. Der Freund notierte sich in einem kleinen Notizbuch Stichworte über Dinge, die er in Erfahrung bringen und Sachverhalte, die er dem Vergessen entreißen wollte. Zuweilen sprachen wir ein wenig, um dann wieder zu schweigen. Kurz bevor wir zu Hause ankamen, hörte es auf zu regnen und die Sonne kam hinter den Wolken hervor. Der Freund sagt: „So ein Wetter. So eine Frechheit.“ Dann schrieb er wieder etwas auf.

Ende.



UND WAS MACHT EGERS SONST SO IN DIESEM MONAT?
Am 5. September ist Matthias zu Gast bei „Comedy mit Karsten“ im MDR, um 23:35 Uhr. Wer ihn statt im TV lieber live auf der Bühne sehen möchte: das kann man am 21. September in der Comödie in Fürth mit seiner Show „Ein Ding der Unmöglichkeit“. curt-Tipp!
Noch mehr Termine – außerhalb der Region – unter www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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