Dem Egers sei Welt #72: 30 Kilometer weiter

DIENSTAG, 7. MAI 2019

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Freilich schnauft sich die Luft auf dem Land ganz anders als in der Stadt. Da duftet sie geradezu und die Wangen färben sich rot von dem unverfälschten, reinen Sauerstoff, möchte man meinen. In der unverbauten Landschaft erhebt einer die Arme und inhaliert den frischen ursprünglichen Duft, als könne er sich satt atmen daran. 

In der nicht verstellten Natur kann das Auge weit schweifen über das goldene Meer aus wogenden Feldern. Wolkengebirge in blauer Unendlichkeit, wo ich sonst in meinem Hinterhof nur acht Meter weit auf die grob verputzte Brandschutzmauer glotze. Zum Hochsehen verbiege ich mir den Hals für einen Fetzen Himmel zwischen den Schornsteinen. Lediglich in der Weite der traumhaften Landschaft kann ich meine Gedanken nach Herzenslust galoppieren lassen.  

Und gern lasse ich mich beim Wandeln und Bewundern durch kleine Ortschaften führen, vorbei an pausbäckigen Bauernhäusern, vor denen im holzumzäunten Gärtlein ein altes Weiblein mit Kopftuch überm Wackelschädel im Beet zwischen den blühenden Blümelein mit verknorpelter Hand schwarze Erde harkt. Aber so schnell schaust Du nicht, sind zwölf Äcker verkauft, auf denen dann ein Gewerbegebiet entsteht, und die Mutter wird ins Pflegeheim verbracht, weil die Schwiegertochter den Hautgout nach Harn, wie sie sagt: einfach nicht mehr ertragen kann. Am anderen Tag wird die alte Holztür aus dem Türstock gebrochen, weil es unten so sakrisch reinzieht und die rollige Katze immer hinuriniert hat. Das Holz hat sich ganz vollgesaugt mit Pisse, imprägniert ist die Tür mit dem widerlichen Gestank, einen Brechreiz kriegst du, wenn Du zu lange zum Aufsperren brauchst, Du kannst ja nichts abwischen von dem morschen, modrigen Holz, sagt die Schwiegertochter mit vom Echauffement gerötetem Hals. Der marodierende Pole, der Syrer ohne festen Wohnsitz braucht nicht Kriminalität auf der Hochschule studiert haben, um so ein windiges Türlein im Handumdrehen mit einer verbogenen Büroklammer zu öffnen. Ich hab dem Walter die Pistole auf die Brust gesetzt. Walter, hab ich gesagt: Gern zieh ich mit Dir aufs Land und rieche dampfenden Dung und verzichte vollständig auf jedwede Form der kulturellen Bildung. Aber ich lass mir nicht im Schlaf den Hals durchschneiden, weil die marode Haustür den Mordbuben lockt wie das schummrig rote Licht den Lustmolch. Der Walter und ich haben dann gemeinsam im Internet geschaut und zwölf Minuten später haben wir unser neues Glück gefunden: 

Das Sicherheits-Haustür ThermoSpace Modell Neapel mit der Widerstandsklasse RC2 gegen Einbruch und einer Bautiefe von 70 mm besteht aus einer thermisch getrennten Aluminiumzarge und einem wärmegedämmten Stahl-Türblatt mit zwei Dichtungsebenen und thermisch getrennter Bodenschwelle. Die Oberfläche der Tür ist zusätzlich mit einer Dekorfolie geschützt. Eine Mehrfachverriegelung mit 4 massiven Schwenkriegeln, drei stabilen 3-dimensional verstellbaren Bändern sowie drei Aushebelbolzen an der Bandseite sorgen für die nötige Sicherheit. Ausgestattet ist die Tür mit einem 100 cm langen Edelstahl-Stoßgriff, Innendrücker, Rosette mit Aufbohrschutz und Profilzylinder Einbruchschutzklasse 3 mit 3 Schlüsseln. Edelstahlapplikationen und die satinierte 3-fach ISO Verglasung mit warmer Kante bilden ein schönes Design.* 

Noch ein zweites Mal möchte ich in diesem Aufsatz betonen: Nur zu gern wandere ich durch ländliche Ortschaften abseits der Fernstraßen und weit entfernt von staatlichen Schauspielhäusern und europäischen Elektromärkten mit riesiger Markenauswahl zum Tiefstpreis. Gar nichts spricht gegen die Einkehr in ein Wirtshaus in der Dorfmitte. Könnte man den vollmundigen Glücksgesang meines Herzen-Chores aus meinem Seelenkämmerlein hörbar machen, wenn ich das Hopfen-Erzeugnis einer kleineren Brauerei gustiere, die darauf verzichtet, den gesamten nordeuropäischen Raum mit ihren Produkten zu penetrieren, aufdringlich wie ein junger läufiger Hund, so manch’ ein zeitgenössischer Komponist müsste wohl verschämt das Haupt senken vor meinem Hosianna. Sollten mir dann noch neben das Bierglas drei grobe Bratwürste mit Kraut und eine Scheibe Bauernbrot gestellt werden, schmelze ich dahin in der Huld der heiligen Dreifaltigkeit aus Bier, Wurst und Brot. Dann braucht’s nicht viel und ich lasse mich in der Minute auf theologische Diskussionen ein, in denen diese über alle Kategorien des Genusses erhabenen Lebensmittel als Beweis betrachtet werden für die Grundgüte einer übergeordneten Macht gegenüber dem Menschen. Habe ich mir dann aber die Goschen mit der Serviette gewischt, mich im Urinal wohltuend erleichtert und den Rausch der Sinne mit einer in dem Fall gern erarbeiteten – geschwitzt hätte ich auch dafür und mein eigen Blut vergossen – Summe an Geld entlohnt, ziehe ich auch gern wieder die Jacke über und verlasse zügig den Lusttempel in der überschaubaren kleinen Welt und laufe dorthin zurück, wo ich herkomme, weil dort zu bleiben in der ländlichen Oase, ohne gänzlich den eigenen Verstand zu verlieren oder mindestens einen Nachbarn zu verstümmeln oder seine Existenz final zu beenden, in diesen Verhältnissen schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit ist. 

Im Dorf ist es Regel und Gesetz, dass die Anderen sich das Maul über Dich zerreißen und stundenlang diskutieren über die Art, wie Du den einen Fuß vor den anderen stellst, wie Du ein- und ausatmest, wie oft Du die Blumen am Balkon gießt und die Fußmatten Deines Kraftfahrzeuges absaugst. Die Anderen treffen sich und teilen ihre Beobachtungen, Belauschungen, Untersuchungen von Spuren, das Röntgen Deiner Wünsche und Absichten. Gemeinsam brechen Dich die Anderen am Rückgrat auf und klettern mit Stirnlampen in Dein Innerstes und vermessen und erforschen alles, was Dich betrifft. Das alles weißt Du so gut von den Anderen, weil wenn Du selbst mit den Anderen am Tisch sitzt, dann kartographieren sie mit Deiner Hilfe genau den, der nicht dabei ist und untersuchen sämtliche Belange der Menschlichkeit, öffnen den Brustkorb und leuchten in Herz und Seele.

Egal könnte es sein, was die Anderen hinter Deinem Rücken verhandeln und untersuchen. Aber dann gehst Du mittags aus dem Haus und es stellt sich der andere Nachbar in den Weg und fragt besorgt, ob jemand krank sei im Haus, weil bis 11.32 Uhr der Rollladen noch unten war und sich nichts gerührt hat, und Du weißt der Blockwart saß schon um halb acht an seinem Fenster, hat Kaffee getrunken und auf Dein Fenster gestarrt und schluckweise getrunken und unablässig gestarrt, weil hier die Gesetzmäßigkeit und Ordnung über die Fenster zur Straße empfindlich gestört war und entweder Verbrechen, Unglück oder mutwillige Absicht im Raum standen. Und wenn er nicht im Koffeinrausch meine Fassade stundenlang hypnotisiert, vergeht er sich mit der Motorsäge an alten Laubbäumen, misshandelt generell mit allen Mitteln alle Formen der Natur oder salbt und schmiert sein Auto in sexuell-ritueller Hingabe. Dann bleibt als Möglichkeit nur die Spaltung des Nachbarschädels mit einem Axthieb oder der Umzug in die Stadt mit dem Blick auf die grob verputzte Brandmauer acht Meter vor dem Küchenfenster. 

DER MAI MIT EGERS! 
Am 21.05. lädt Egers wieder zu EGERSDÖRFER & ARTVERWANDTE vor die Kellerbühne ins E-Werk Erlangen. Natürlich präsentiert von curt! In der Stadtbibliothek Lauf liest der VORSTADTPRINZ aus seinem gleichnamigen Roman (07.05.). EIN DING DER UNMÖGLICHKEIT sind die Auftritte am 24.05. im Gutmanns am Dutzendteich und am 23.05. in Neunkirchen am Brand. 
Mehr Infos und Termine: egers.de




Twitter Facebook Google

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Vielleicht auch interessant...

Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
20240201_Mummpitz_160
20240317_Tafelhalle
20240201_Staatstheater
20240201_Kaweco
20230703_lighttone
20240201_Referat_Umwelt_Konferenz
20240201_Retterspitz
20240201_NMN_Weaver
20240201_VAG_D-Ticket
20240201_Theater_Erlangen
20240324_AfF