Theobald O.J. Fuchs: Angriff der Seifenfresser

FREITAG, 1. MäRZ 2024, NüRNBERG

#Hinten raus, #Seife, #Seifenfresser, #Story, #Theobald O.J. Fuchs

Man kann sich nirgendwohin bewegen, muss zu Hause sitzen, sich langweilen. Was bleibt einem anderes übrig, als ordentlich aufzukochen. Man hat rechtzeitig eingekauft, man ist ja nicht blöd. Endlich Zeit, um mit aller Sorgfalt und Ruhe wunderbare Köstlichkeiten zusammenzublubbern. Zum Beispiel einen Teller Stadtwurst mit Musik, schön mit weißem Balsamico, ganzen Zwiebelringen, etwas Pfeffer, ordentlich Britschel und Petersilie – so wie ich es aus dem Elternhause kenne und eben mag. Einen Tag lang durchziehen lassen, kein Minusstückchen Wurst anrühren, den Duft den Raum erfüllen lassen, das ist schon dreiviertel des Vergnügens. Oder noch mehr.

Alle Luken sind dicht, auf dem Herd bollert der Glühwein, wahlweise wird auch Bier mit Balkontemperatur oder Schnaps mit Rumtemperatur gereicht. Kommt ausschließlich und nur aufs Gelüst des Moments an. Nachdem man vollgefressen eine Runde gedöst hat oder vielleicht auch mal zwei, drei Tage länger im Bett liegen geblieben ist, geht’s von vorne los. Der Zeitbegriff verliert jede Bedeutung, die Aufmerksamkeit sinkt ins Bodenlose, das Gedächtnis findet nicht Sporn noch Kante mehr, sich daran festzukrallen.
Kurz: Alles ist perfekt eingerichtet. Doch: Wovon rede ich hier eigentlich? Nein, nicht von der Weihnachtszeit, die ist längst vorbei. Ich spreche vom langen und tiefen Winterschlaf des kollektiven Geistes, der schon vor einiger Zeit begonnen hat, keiner weiß mehr so recht, wann genau, und wenn wir – ganz im Vertrauen – uns kurz ehrlich machen: interessiert doch eh niemanden. Was soll’s im Angesicht der Ewigkeit? saggich, es ist doch alles völlig egal, saggich, mir geht es gut, wozu sollte ich mich noch aufregen?

Der Ehrgeiz hat Sendepause, das Bedürfnis der abgehalfterten alten Männer, die klumpige Soße, die ihnen im Kopf schwappt, hinaus in die sogenannte »Welt« zu posaunen, und zwar stets ungefiltert, undurchdacht, unreflektiert – dieses Bedürfnis ist nicht nur erloschen. Es ist, als wäre es noch nie da gewesen. Wie unter einer hundert Meter dicken Neuschneedecke herrscht totale Stille in einer meinungsfreien Landschaft, die wohl sanfteste Erfahrung seit es Geräusche gibt.

Nein. Ich spreche vom Lauf der Zeit, vom Weltgeschehen, von der dräuenden Zukunft. Mir wird es nicht unrecht sein, wenn ich nach einer längeren Pause – deren Dauer noch to be defined ist – aus der Höhle mit dem Ölofen kriechen und mir ansehen werde, wie es inzwischen draußen aussieht.

* in-einer-anderen-Welt-aufwach-Geräusch *

Im Prinzip wird draußen alles beim Alten geblieben sein. Nice. Außer dass in der Luft ein rosa gefärbter Duft schwebt, der alle Menschen so macht, als wäre ihr Schädel mit Holzwolle ausgestopft. Sie werden friedlich, satt und zufrieden, wenngleich wahnsinnig langsam und begriffsstutzig sein. Offenbar eine bessere Menschheit.

Auf viele Details kann ich leider nicht eingehen, nur so viel sei gesagt: die Leute (Obacht! Futur 2 voraus!) werden verlernt haben, wie man Kleidung trägt und daher im Wesentlichen unterhalb der Schultern nackt herumrennen. Eine Beschreibung der allerdings üppig gebrauchten, diversen Kopf- und Gesichtsbedeckungen würde den Rahmen dieses Berichts sprengen.

Was man allerdings wissen sollte, ist, dass die meisten Passanten Außerirdische sein werden und auf der ganzen Erde nur noch eine einzige Sprache gesprochen werden wird: ein Mischmasch, bei dem jedes zweite Wort Isländisch, die andere Hälfte dem Oberpfälzer Dialekt entlehnt ist.

Den Grund dafür will ich allerdings nicht verschweigen: Ein verliebter Isländer, der jahrelang vergeblich versuchte, mit einer Amateurfunkerin in Weiden/Waldnaab Kontakt aufzunehmen, hatte versehentlich auf der exakt richtigen Wellenlänge gesendet, die auch von den Außerirdischen abgehört wird. Die Aliens beobachten die Erde schon seit Jahrzehnten, doch ein dummer Zufall hat dafür gesorgt, dass wir diese einzige Frequenz, auf der die Aliens funken, nie angehört haben. Bis der verliebte Isländer im Äther auftauchte, der übrigens beruflich Kriminalromane mit einem Walfisch als Kommissar verfasste.

Dass auch noch eine künstliche Superintelligenz, die schon länger unerkannt im Microsoft-Office-Paket nistet, ihre Finger im Spiel gehabt haben wird, muss ich wahrscheinlich gar nicht erwähnen. Sie übernahm die Kommunikation mit den Aliens, denen sie leider nicht ausschließlich nur Gutes über uns erzählte.

Wie schon gesagt, würde es zu weit führen, ausgerechnet in dieser popeligen Kolumne die Zukunft noch ausführlicher zu dokumentieren, daher werde ich gar nicht weiter darauf eingehen und weder die wirklich äußerst seltsamen zukünftigen Ernährungsgewohnheiten beschreiben, noch die definitiv unfassbar raffinierte Technologie der Aliens, die quasi alles können – außer Hit-Radio mit den größten Top-Hits aus den 60ern, 70ern UND 80ern, was ja schlussendlich ein Grund dafür gewesen sein wird, dass sie ... aber nein, Schluss damit jetzt.

Wirklich exklusiv für den Herausgeber dieses Blättchens und weil es sich einfach für Kolumnen so gehört, selbst Aug in Aug mit einem außerirdischen Leser, kommt jetzt zum allerhintenrausesten Schluss aber noch eine niedliche Wendung:

Ein kleines Mädchen stand da neulich neben dem Tresen des asiatischen Suppenlokals an die Wand gelehnt und wartete auf ihre Bestellung. Um zu bestellen, schnappt man in diesem Laden einen kleinen Zettel und markiert sein Wunschgericht. In der letzten Spalte des Vordrucks steht ein großes »K«, dahinter drei Punkte. Die Frau, die vor mir ihren Zettel ausfüllte, kannte die Bedeutung nicht und fragte in die Runde. »Das K steht für Koriander«, erklärte ich, weil ich Stammgast bin. »Man kann ankreuzen, wenn man welchen haben möchte. Manche Leute finden, dass Koriander nach Seife schmeckt. Das stimmt ja auch ein bisschen, der Geschmack ist ähnlich, aber ich mag es.«

Das kleine Mädchen hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt und sah mich nun mit großen Augen an. In ihrem Gesicht eine Mischung aus Schrecken und Neugier.

»Woher wissen Sie, wie Seife schmeckt??!«

Tja – ich würde sagen, hier hätten wir eine Königin unter den klugen Fragen.
Stante pede erblickte ich mich selbst in der Vorstellung des Kindes, wie ich zu Hause im Schutze eines Badevorhangs aus einem Stück nasser Seife lustvoll einen dicken Brocken herausbeiße und schmatzend kaue. Was ein verrückter Typ ich doch bin! Dem darf man noch viel schlimmere Sache zutrauen.

Die richtige Antwort freilich weiß die Künstliche Intelligenz, an die ich diesen schwierigen Fall vertrauensvoll abgeben will. Ich entscheide für mich, dass ich einfach schlecht geträumt habe, da ich vor dem Schlafengehen zu viel gegessen habe. Sollte ich in meinem Alter aber auch langsam besser wissen. Wobei: immerhin war keine Seife dabei ...
 




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