Theobald O.J. Fuchs: Mit den 7 Zwerginnen im Untergrund

DIENSTAG, 19. NOVEMBER 2024

#Theo Fuchs, #Theobald O.J. Fuchs

Auf und hin, sagte ich mir, selbst die Ortsangabe vermochte nicht, mich abzuschrecken: Garagenhof 19b irgendwo im Nordstadt-Vieleck zwischen Groland-, Uhland-, Rollner- und Meuschelstraße. Für mich im Stadtgebiet ein weißer Fleck der Unauskenntnis. 
Vor Ort hatte ich dann eine voll weirde Begegnung mit den sieben Zwerginnen, die mich in einen dunklen Tunnel führten. Und mit Tunnel meine ich hier nichts weiter als einen langgezogenen Hohlraum unter der Erdoberfläche, in dem man sich von einem Ort zum anderen bewegen kann. Nichts Metaphysisches, keine Lichter am fernen Ende, auch keine Freud‘sche Tiefenpsychologie oder erotisch aufgeladenen Metaphern. Ein stinknormaler Allerweltstunnel zwischen zwei vollgesperrmüllten Garagen. 
Doch der Reihe nach. 

»Zweiundzwanzig elektrisch beleuchtete Sektkelche« stand letzthin ins Internet hineingeschrieben. Könnte bei eBay gewesen sein. Oder quoka. Oder garbage24. Man suche sich al-gusto-mäßig eines aus. So jedenfalls tat ich. Ich fand völlig problemlos zu der Garage, die beleuchteten Sektkelche wiesen ein tadelloses Preis-Leistungs-Verhältnis auf und waren geschmacklich einwandfrei. Die Verkäuferin allerdings war extrem strange. 

Es wäre krass unfair von mir zu sagen, ich hätte mich von Anfang an unwohl gefühlt. Nur als ich mich wenig später schätzungsweise unter dem Nordklinikum wiederfand, am Eingang zu einer weiß glänzenden Höhle, deren Gewölbe wie mit Salz ausgekleidet leuchtete und in deren Zentrum ein Kristall-Sarg thronte, in dem eine sehr giftbleiche, sehr ebenholzschwarzhaarige, sehr in Schneewittchen-Klamotten gekleidete Person lag – nun, da flatterte ein kleinfitzibissiwenig der Kranich des Fürchtens unter meinem Skalp. 
Doch der Reihe nach ... stand das nicht soeben schon einmal da? Gut, jetzt aber wirklich!  
Kleine rosa Polstersessel standen in einem Halbkreis angeordnet, darüber ragte wie ein Baldachin ein Trampolin-Kadaver. Ein Dutzend Teelichter flackerten auf einem brandlöchrigen Orientteppich, in den Kissen lümmelten ziemlich exakt sechs Wesen, die für mich beim besten Willen nach nichts anderem als nach Gartenzwergen aussahen. Rote Zipfelmützen, blaue oder grüne Hosen und Westen, wallende graue Bärte. 

Ich probierte Spannungsabbau mittels plumper Begrüßung: »Hola, Jungs, ihr habt es Euch ja zwischen dem ganzen Sperrmüll super gemütlich ein-gerichtet.« 
»Gemütlich: check! Alter«, meldete sich eine der kleinen Gestalten zu Wort und nahm dafür sogar das Pfeifenrohr aus dem Mund. »Nur Jungs: NO GO! Männchen haben hier keinen Zutritt.« 
Die siebte Zwergin, die mich hierhergeführt hatte, nachdem ich unter dem nur einen Spalt breit angehobenen Garagentor hindurchgekrochen war, klärte die Situation. »Kein Grund zur Eskalation, Mädels, das Mensch ist wegen der Sektkelche hier.« 
Und sie versorgte mich umgehend mit den absolut drei grundlegendsten Basics des Parallelzwerguniversums. Erstens: Zwerginnen sehen genauso aus wie irgendwie alle Zwerge. Graue Rauschebärte, runde Bäuche, bunte Zipfelmützen. Zweitens: Pfeife rauchen und Schubkarren schieben gelten als typisch weibliche Tätigkeiten. Drittens: Die männlichen Zwerge sind für nicht viel mehr als zum Einkaufen zu gebrauchen*. 
Das Hauptproblem: Männliche Zwerge schleppen zwanghaft gewaltige Mengen Sonderangeboten nach Hause, keinen verbilligten Plunder können sie stehenlassen, ein steter Strom preisgünstiger Aktionsware und Schnäppchen drückt rein ins Zwergheim. 
»Und weißt Du auch weshalb?« fragte mich die Boss-Zwergin rhetorisch. »Weil sie sich auf den Moment vorbereiten wollen, in dem dieses bekackte Kack-Schneewittchen endlich erwacht und dann wahrscheinlich monstermäßig hungrig ist.«
Ich schaute mich zwischen all dem Geraffel um, das bis zum Dach der Garage gestapelt war. »Schneewittchen? DAS Schneewittchen?« gatzte ich. 
»Ja, DAS Schneewittchen. Keine Ahnung, was die Typen mit diesem Wesen anfangen wollen«, schimpfte die Anführerin. »Aber wegen ihr neigen unsere Herren Zwerge leider dazu, sinnlos Müll herbei zu schleppen und in der Garage aufzutürmen – willst‘s sehen?« 
So kam es, dass ich durch den Tunnel geführt wurde und nach einer Viertelstunde strammen Marsches vor dem gläsernen Sarg stand, der von der aufgeklärten Gegenwart ins Reich der Märchen verwiesen wurde.  
»Diese scheußliche Kiste steht schon seit Jahrhunderten nur im Weg herum«, schimpfte die Anführerin. »Als ob wir nicht eh schon viel zu wenig Platz in den Garagen hätten!«
»Garagen? In der Mehrzahl?« 
»Ach, wusstest du nicht?«, fragte sie mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht und zog genüsslich an ihrer Maiskolbenpfeife. »Die Regierung schätzt, dass gut 70% aller Garagen in der Bundesrepublik nicht genutzt werden, um darin ein Kraftfahrzeug unterzustellen. Was gemäß gesetzlicher Regelung der einzige Zweck von Garagen ist!« 
»Aber weshalb parken alle auf der Straße?« 
»Weshalb, fragt er! Das musst du schon selber herausfinden! – WIR sind doch nicht so blöd und hängen uns so ein idiotisches Auto ans Bein. Wozu gibt’s bitte eine U-Bahn?« 

Ich erinnerte mich an meine Begegnung mit den Zwergen (männlich) in der Angebotszone der Norma. Die waren zu guter Letzt einfach in einem U-Bahn-Tunnel verschwunden. 
»Ich will dir ein Geheimnis verraten«, fuhr sie fort, »weil Du es sowieso nicht für Dich behalten können wirst. Was aber egal sein wird, denn niemand wird‘s dir glauben: alleine in den Garagen dieser Stadt leben zehntausende Zwerg*innen. Niemand bemerkt uns, weil wir unter dem ganzen Gerümpel und Sperrmüll perfekt versteckt sind. Wir bewegen uns durch Fernwärme-Schächte und U-Bahntunnel, wir sind die Ursache, wenn sich Leute spät in der Nacht auf der Straße unwohl fühlen – wenn ihnen eiskalte Schauer über den Rücken laufen, weil sie denken, sie seien nicht allein – wenn Fahrräder und Katzen spurlos verschwinden, wenn am nächsten Morgen plötzlich verschimmelte Kühlschränke und verpisste Sofas an der Straßenecke stehen – dann waren das wir!«
Ihre Stimme hallte im Gewölbe mit immer bedrohlicherer Lautstärke: »Wenn wir erst einmal genügend Zwerg*innen sind, werden wir herauskommen und die Menschheit überwältigen! HAHAHAHAHA!!« 
»Wann wird das soweit sein?« wagte ich mich zu erkundigen. 
»Tja, das ist ein Problem: wir vermehren uns nur sehr langsam. Sehr, sehr langsam. Bis ein neuer Zwerg fertig ausgebrütet ist, dauert es eine ganze Weile.« 
»Hundert Jahre?« schlug ich vorsichtig vor. Die Chef-Zwergin seufzte tief. 
»Zweihundert?« legte ich nach. Die Chef-Zwergin seufzte noch tiefer. 
Dabei beließ ich es. Was das Thema Fortpflanzung anbelangt, ist das beim CURT eh Chef-Sache. Für mich waren die Fakten gecheckt, der Kauf getätigt, der Rückweg kein Hexenwerk. 
Nur die Sache mit den Garagen werde ich noch weiter verfolgen. Rein zufällig hat bei meinen Schwiegereltern seit 15 Jahren niemand mehr hinter das Schiebetor gelinst ... 

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Übrigens: Wer Theo live beim (un)klugen Denken zuhören will, kann das demnächst bei Radio Z. Dort ist er Premierengast des neuen philosophischen Talkformats „Gemeinsam Denken“ von und mit Michael Spiegel. Termin: tba.




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