Matthias Egers Egersdörfer: Weihnachtsmarkt

MITTWOCH, 16. DEZEMBER 2020

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Vor drei oder vier Jahren muss das bei der Frau angefangen haben. Mir blieb es immer ein Rätsel, was dafür ausschlaggebend gewesen sein sollte. Ohne Angaben von Gründen oder eine direkte Veranlassung musste sie plötzlich den Weihnachtsmarkt in unserer Stadt aufsuchen. Gegen diese Aktivität hatte ich freilich nichts einzuwenden. Meine Frau ist ja ein freier Mensch. Es ist durchaus als sinnvoll zu bewerten, wenn die Frau in der kälteren Jahreszeit auch einmal eine gewisse Zeit an der frischen Luft verbringt.

Der springende Punkt bei dieser sonderbaren Neigung war jener, dass die Frau ihren unerklärlichen Drang nicht allein und für sich ausleben konnte oder mochte. Sie nötigte mich, mit ihr gemeinsam auf diesen Weihnachtsmarkt zu gehen. Als sie mich vor etwa zwei oder fünf Jahren das erste Mal fragte, ob ich sie auf den Weihnachtsmarkt begleiten wolle, sprach sie die Worte mit einer subtilen Strenge aus. Zwar formulierte sie einen Fragesatz. Dennoch deuteten Tonfall, Körperhaltung und Gesichtsausdruck darauf hin, dass mir nichts anderes als eine Einwilligung übrig blieb und mir im Falle der Verweigerung eine nicht formulierte Strafe drohen würde. Vielleicht resultierte die darauf folgende Annahme meines oktroyierten Schicksals wie so oft aus meinem phlegmatischen Charakter. Sich anbahnenden Konflikten gehe ich aus dem Weg wie ein ängstlicher Wanderer, der lieber einen weiten Bogen um Grundstücke macht, hinter deren Zaun ein leises Hundegebell zu vernehmen ist.

Um etwaige böse Konsequenzen zu vermeiden, konnte ich nichts anderes tun, als die Frau zu begleiten. Jedes Mal, wenn wir in der Adventszeit zum Weihnachtsmarkt liefen, störte sich die Frau an meiner Schrittgeschwindigkeit. Viel zu langsam würde ich mich hinter ihr bewegen. Sie habe das Gefühl, dass ich mit Absicht hinter ihr herschleiche. Und wenn sie sich in meiner Geschwindigkeit fortbewege, laufe sie Gefahr, sich schwer zu erkälten und die Feiertage mit Fieber und Schnupfen im Bett verbringen zu müssen. So klagte die Frau regelmäßig. Die Kausalität meines mäßigen Tempos mochte möglicherweise darin begründet liegen, dass ich während der Fortbewegung schon in innerlichen Überlegungen verstrickt gewesen bin, was ich zu den Freundinnen der Frau sagen sollte, die wir zu einem vereinbarten Zeitpunkt treffen und mit denen wir dann gemeinsam über den Weihnachtsmarkt schlendern würden. Es bestand, meines Erachtens, demnach nicht nur eine Gefahr im Vorfeld der Unternehmung, den Besuch des Weihnachtsmarktes grundsätzlich zu verweigern, oder bloß eine Unwilligkeit daran ruchbar werden zu lassen, sondern darüber hinaus Argwohn bei der Herzensdame zu erzeugen, aufgrund einer Taktlosigkeit gegenüber den ausgesuchten Begleiterinnen.

Jedes Jahr, wenn meine Frau und ich uns an dem Treffpunkt einfanden, dauerte es einige Zeit, bis die Gruppe vollständig versammelt war, weil die verehrten Damen offensichtlich unterschiedliche Auffassungen von Pünktlichkeit vertraten. Um so bitterer habe ich es bereut, meine Laufgeschwindigkeit im Vorfeld erhöht zu haben, um dann gezwungen zu werden, auf der Stelle zu verharren. Wenn sich dann alle Personen endlich eingefunden hatten, folgte die Fortbewegung in kurzen Schritt-chen und das notgedrungene Stillstehen in der dichtgedrängten Menschenmenge. Musik wehte einem in die kalten Ohren. Auch dicke Wollmützen konnten einen davor nicht schützen. Würde solche Musik aus einer Unachtsamkeit aus dem Radio in den eigenen vier Wänden erklingen, sähe sich auch die Frau veranlasst, sofort den Sender zu wechseln oder das Gerät für einige Stunden auszuschalten. Eine Linderung des Gehörganges konnte sich darauf auch nicht einstellen als dann im nächsten Augenblick in nächster Nähe eigenartig gewandete Akteure Töne auf Instrumenten erzeugten, deren Platz in der Musikgeschichte weit in der Vergangenheit ein begründetes Ende gefunden hatten. Die Damen und ich verbrannten unsere Zungen an rücksichtlos erhitzten, im Preis-Leistungsverhältnis fragwürdigen Heißgetränken. Wir konnten in  all diesen Jahren niemals beurteilen, ob es sinnvoll sein könne, gesüßten Wein zu kochen, weil wir neben der Verbrühung der Speisröhre und der daraus in Mitleidenschaft gezogenen inneren Organen, damit beschäftigt waren, Glühweinflecken, die wegen des Stoßens und Rempelns der rücksichtslosen Mitmenschen über unsere Jacken gegossen worden waren, großflächig zu verreiben in der irrigen Annahme, damit eine Reinigung zu erwirken. Aus der Not der Enge und der stringenten Ausweglosigkeit aus dieser glotzte man in Buden, in denen unerklärbare Dinge feilgeboten wurden, deren Verzehr den Blutzuckerspiegel drastisch erhöhen oder kurz nach deren Erwerb sich die dringliche Frage nach einer sinnvollen Entsorgung stellte.

Selbst jemand, dem es an Einfühlungsvermögen mangelt, mag meine Erleichterung nachvollziehen, als mir letztens mitgeteilt wurde, dass der jährliche Gang in die Budenstadt ausfallen müsse aufgrund der gerade stattfindenden Pandemie und der derzeitigen Gefahr, sich nicht nur äußerlich zu verflecken und innerlich zu verbrennen, sondern gegenseitig anzustecken. Gestreckt habe ich mich vor innerem Wohlsein, und so strecke ich mich nur selten. An dem Patz, auf dem der Weihnachtsmarkt noch letztes Jahr aufgebaut wurde, bin ich in letzter Zeit des Öfteren vorbei gegangen. Von Mal zu Mal wurde mir die Tatsächlichkeit des Faktischen bewusster. Immer mehr begriff ich die Totalität, mit welcher der Besuch des Weihnachtsmarktes mit der Frau und ihren Freundinnen nicht stattfinden würde. Immer höher stieg die Erleichterung wie das Wasser in einer Badewanne, bei der man vergessen hatte, das zulaufende Wasser abzustellen. Aber kurz vor dem Überlaufen der Freude hat sich dann der große Trost verwandelt in eine plötzliche Ernüchterung.

Die begehrliche Erinnerung stieg in mir auf, wie huldvoll und gnädig mich die Erleichterung seit Jahren umarmte, wenn ich die Weihnachtsmarkt-Strapazen erfolgreich hinter mich gebracht hatte. Erleichtert lies ich mich dann immer im tiefen Sessel im Zimmereck nieder, nachdem ich meine Füße vom Schuhwerk befreit hatte. Wie gern atmete ich sodann die reine Luft des Raums ohne die Ausdünstungen der beklemmenden Mitmenschlichkeit und der gebrühten und erhitzen Lebensmittel. Immer empfand ich die Erkenntnis als wohltuend, diesem geistfernen Gerangel entronnen zu sein und salbte mich mit der Freude darüber ein, als wäre diese ein Öl auf der abgeschabten Haut. Plötzlich aber wurde ich gewahr, dass dieses Hochgefühl der vorausgehenden Strapaze unbedingt bedurfte. Eine Kälte empfand ich, der aber keine Erhitzung vorangegangen war. Die Erlösung fällt dieses Jahr aus.

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Dezember/Januar mit Egers
Nunja, obwohl er der Chef der örtlichen Rockerbande im siebten Eberhofer-Krimi „Kaiserschmarrndrama“ ist, wurden auch bei Matthias die Auftritte abgesagt. Wann und wie es weiter geht, findet man bei curt und auf www.egers.de

Stattdessen: „Matthias Egersdörfer erzählt Betthupferl“
14 fränkische Geschichten zur Nacht für große und kleine Ohren.  
Format: Audio CD, Laufzeit ca. 60 Minuten
Infos: www.br.de/betthupferl




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