Kleiner Ausflug von Egi und Herrn Jordan: Deckersberg und Schupf

DONNERSTAG, 22. DEZEMBER 2022, HERSBRUCK

#Happburg, #Hersbruck, #Kleine Ausflüge, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Notizen zu einer Exkursion in der Hersbrucker Schweiz am Dienstag, den 26. Juli 2022. Teil 1

Der Obersee auf dem Deckersberg

Spitz stach die Sonne, während Kuratorin, Geograph, Grafiker und Kabarettist zum Oberbecken hinaufliefen. Aus einem dunklen Gewölk blickten zwei kleine weiße Wolkenaugen auf den großen Krater. Dame und Herren schauten einem großen Hubschrauber mit zwei Rotoren nach, der in der Himmelsferne verschwand. Gedanken an den Krieg in der Ukraine tauchten auf in der Hitze des Nachmittags, wurden aber nicht ausgesprochen. Auf einem Teerweg umrundeten die drei Männer und die Frau im Uhrzeigersinn das steinerne Becken. Hinter einem verschlossenen Tor führte eine Fahrbahn auf den Grund. Sandige Wege mit ausgedorrtem Mittelstreifen schlängelten sich in verschiedene Richtungen und endeten in Büschen und Wiese. Dort unten wurde an verschiedenen Stellen auf Pfählen in regelmäßigen Abständen schwarze Schläuche in sanften Kurven entlanggeführt. Vereinzelte Tische gaben Rätsel auf. Am ansteigenden Rand wuchsen schwarze Moose zwischen den grauen Steinbrocken. Grüne Büsche, Disteln, Dorngewächse mit wolligen Knospen, ausgedörrte Grashalme und braune Zweige umwuchsen den steil abfallenden Rand neben vereinzelt gelb und weiß blühenden Blumen. Das Zwitschern von unsichtbaren Vögeln erklang. Der Grafiker begann in der Hocke die künstliche Vertiefung zu zeichnen. Geograph und Kuratorin liefen mit kurzen Schritten. Der Kabarettist schaute auf einen der vielen Transformatoren-Kästen. Daneben stand auf einem Schild:

Betreten des Betriebsgeländes
auf eigene Gefahr
Baden verboten
Grosskraftwerk Franken AG

Auf hohen Masten hingen im regelmäßigen Abstand große Lampen. An anderen Pfosten blickten installierte Kameras über das Gelände. Die vier Personen liefen im gemäßigten Tempo weiter im Kreis. In der Ferne über dem abgetragenen und ausgehöhlten Berg befand sich der hohe umzäunte Steinablauf. Darüber stand hinter Stacheldraht ein schlanker Eisenturm mit gelber Seilwinde auf vier Beinen, die am unteren Ende auf mehreren eisernen Rädern standen, welche auf zwei kurzen parallelen Schienen nach links und rechts bewegt werden konnten. Der Geograph wies darauf hin, das in der Welt nichts ungeeigneter sei als Kalksteinkarst, um einen künstlichen See zu erschaffen. Mit Ton und mit Folie müsste man ständig das Becken abdichten, und die Bemühungen würden nie ein Ende finden. „Mit billigem Nachtstrom wurde hier Wasser hochgepumpt, um es dann, wenn man Strom brauchte oder der Strom knapp war, hier an dieser Stelle durch große Röhren hinunter zu lassen. Aber seit elf Jahren macht man das gar nicht mehr. Und deshalb haben die das Problem, dass das hier ständig zuwächst. Mein Vater hat vorhin g’sagt, die ham eh erst kürzlich alles wieder frei g’macht. Die müssen ständig die ganze Vegetation da beseitigen, weil’s sonst zuwächst“, erklärte der Geograph. Von 1956 bis 1958 fanden die Bauarbeiten statt. Südöstlich von Happburg wurde die Talsperre angelegt. Das Oberbecken diente zum Speichern des sogenannten Betriebswassers.
Die Speichermenge betrug 1,8 Millionen Kubikmeter Wasser. Der Höhenunterschied zwischen den beiden Becken betrug circa 200 Meter. Der Geograph sagte zu seinen Begleitern: „Sie wollen’s etz tatsächlich reaktivieren. Das ist zwar umstritten, ob’s sich überhaupt wirtschaftlich rechnet. Bis 2026 soll das wieder funktionsfähig sein. Das ist schon ein Wahnsinn. Unten dieser Stausee mit der Staumauer. Da ist ein Kraftwerk und dieses Kraftwerk muss ja laufend in Stand gehalten werden. Sonst kannst Du es auch gleich abbauen. Und offenbar macht des jetzt durchaus wieder Sinn.“ Ein lauer Wind wehte in das einsetzende Schweigen der Gruppe. Blicke schweiften über die bewaldeten Hügelketten und die sich bläuenden Höhen in der Ferne. Rote Hausdächer waren im Tal erkennbar. Von dort, wo die vier standen, konnte man auch gut auf die Houbirg hinüber sehen. Oberhalb der versumpften Täler hatten sich dort die Kelten eingerichtet. Das Oppidum soll angeblich so groß gewesen sein wie Nürnberg innerhalb der Stadtmauern. Auch den Rand des Happburger Stausees konnte man von hier aus erkennen. An der Stelle, wo heute Menschen badeten und mit Booten über die Wellen paddelten, befand sich im «Dritten Reich» das KZ-Gelände und das Krematorium.
Die Gruppe war fast wieder am Ausgangspunkt angekommen. Auf einem Schotterweg jenseits des Kessels stand eine einsame schwarze Taube mit roten Füßen und rührte sich kaum. Nach der Umrundung ging die Gruppe wieder zum Auto auf dem Parkplatz zurück. Unter den Bäumen stand ein anderes Fahrzeug, in dem ein Mann telefonierte. Weiter hinten hörte man leise Musik aus dem Inneren eines weiteren  Wagens. Der Grafiker befand, dass sich diese Stelle sehr gut für geheime Rendezvous eignen würde. Der Kabarettist gab ihm sofort recht und musste sich daraufhin einige Fragen von der Kuratorin gefallen lassen. Die beiden sind verheiratet und haben zwei Töchter und einen Sohn.

KZ-Mahnmal Schupf

Beim Mittagessen in der Michelmühle hatte der Geograph von dem Gelände der KZ-Außenstelle in Hersbruck erzählt: „Das ist eigentlich genau das Gelände, wo die KZ-Häftlinge in Baracken untergebracht waren. Wo sich jetzt das Finanzamt befindet, stand der Galgen. Und von dort haben die sogenannten Todesmärsche nach Happburg stattgefunden. Hunderte, Tausende von Menschen sind da zur Houbirg getrieben worden, wo sie in dem Berg für ein unterirdisches Flugzeugmotorenwerk diese Doggerstollen aushöhlen sollten. Das wurde aber nie fertiggestellt. Dort sind unglaublich viele Leute bei der Arbeit gestorben. Und die Leichen haben sie auch rund rum in der Gegend an verschiedenen Standorten in den Wäldern auf Scheiterhaufen verbrannt. Meine Eltern sind 1968 nach Hersbruck gezogen. Die ham’ erst Anfang der 80er Jahre davon gehört, dass es damals so etwas hier gab. Da hat damals niemand darüber geredet. Das war dann ein Gymnasiast, der hat seine Facharbeit mit dem Titel „KZ-Hersbruck“ geschrieben. Die ist dann veröffentlicht worden. Der Stadtrat Hersbruck hat versucht das zu verhindern mit dem Argument, dass es nie ein KZ-Hersbruck gegeben hätte. Es wäre nur in Flossenbürg ein Konzentrationslager gewesen. In Hersbruck selbst wäre nur ein Außenlager gewesen. Auch wenn da mehr Leute umgekommen sind.“
Der Geograph fuhr mit seinen Begleitern auf der Landstraße. Da kamen sie auch durch Mosenhof. „Das gibt es ja wirklich, dieses Mosenhof“, sagte die Kuratorin überrascht. Und der Geograph antwortete ihr: „Ja freilich gibt es Mosenhof. Schon lange gibt es das, genau an dieser Stelle. Warum sollte es denn Mosenhof nicht geben?“ Dann hat die Kuratorin erzählt, dass die eine Tochter immer erzählte, dieses oder jenes käme aus Mosenhof. Immer wenn sie das gehört hätte, hatte sie angenommen, das Mosenhof eine Phantasie sei oder vielleicht einmal in einem Märchen vorgekommen wäre. Der Kabarettist gab dann aber an, dass er in Mosenhof schon einmal einen Nachmittag mit der Tochter verbracht hätte.
Die Gruppe fuhr weiter Richtung Schupf. „Mosenhof-Schupf und dann immer weiter geradeaus ist übrigens die direkte Verbindung nach Leoben“, sagte der Geograph und lachte dabei. Ein kleines Schild mit der Aufschrift „KZ-Gedenkstätte“ tauchte am Fahrbahnrand auf. Man hätte das Schild sehr leicht übersehen können. Der Geograph bog nach links auf einen Feldweg ab, der nach einer Kurve in ein Waldstück führte. Dort lag ein Platz, von einer niedrigen, bemoosten Mauer umgeben und zu allen Seiten flankiert von hohen Tannen. Der Wind raunte und bewegte die Äste der Bäume. Aus dem kühlen Schatten zwischen den schwarzdunklen Stämmen zwitscherten die Waldvögel. Einzelne Zweige leuchteten hell und schaukelten grün. Aus der Ferne rauschten Autos. In der Mitte des Gedenkraums führte eine breite Fläche mit winzigen grauen Steinchen zu drei Stufen, die ein Podest umrundeten. Darauf thronte ein steinerner Kubus um dessen Füße man an allen Seiten kleinere Kiesel und eine Schale mit drei roten Geranien abgelegt hatte. Zudem hatte der Wind wohl noch einige verdorrte Blätter dazu gelegt. Ging man im Kreis um die geschlossene Steinschale konnte man am Rand folgende Worte ablesen: “Errichtet 1956 - Was Hass blind zerstreut - Treue fromm vereint“. Zu beiden Seiten des Gedenksteins standen im Licht und Schatten der Waldung zwei zarte Bäumchen. Zwei Schmetterlinge tanzten durch die Luft. Auf der vermoosten, kurz geschnittenen Wiese sprossen vereinzelt Löwenzahn und Klee. Eine Fliege rastete auf einem Grashalm im hellen Licht. Einsame Stängel wuchsen aus geriffelten Blättern und streckten die beige-grünen Dolden empor. Der Grafiker packte seine Sachen zusammen. Blicke wurden ausgetauscht. Dann ein Nicken. Die Frau und die drei Männer gingen zum Auto zurück. Über der Lichtung zogen sachte die Wolken im blauen Himmel dahin.

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Matthias Egersdörfer    
www.egers.de
Michael Jordan    
www.ansichten-des-jordan.de

Der Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Der Egers schreibt, was er erblickt.

EGIS TERMINE DEZ/JAN     
 22.12. Matthias ist zu Gast bei „Kabarett aus Franken“ um 21 Uhr im BR // 12.01. „Carmen oder die Traurigkeit der letzten Jahre“ in der Luna Bühne in Weißenburg // 21.01. „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ in Hersbruck in der Geru Halle   

Michael Jordan
Neue Ausstellung in seiner Galerie Ex-Pfeiffer: Musik in meinen Augen.
Ausstellung von Gabriela Jimenez Falch & Ana Streng. Die KünstlerInnen zeigen Arbeiten aus Keramik, Emaille und mit Naturfarbstoffen gefärbte Textilien.
 




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MAGAZIN  23.02.2024
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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