Tibors Kopfkino #05

FREITAG, 7. DEZEMBER 2018

#Film, #Kino, #Kolumne, #Tibor Baumann, #Weihnachten

Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann hat sich zwischen Spekulatiusschnäpsen und obligatorischen Oblaten in Berlin versteckt – und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: inszenierter Schnee und das Geschenk der Bilder. Und im Wundermonat riecht sogar das Popcorn ganz besonders – zwischen Breitscheitplatz und Hauptmarkt, ist die Frage, was der Weihnachtsmann für eine Filmrolle dem Christkind dieses Jahr auf seinen Coke-Schlitten packt. Und daher heute im Programm: 

„SAG MAL, SCHNEIT’S IN KALIFORNIEN?“
ODER: OH, DU SCHÖNE NOSTALGIE, WIR SEHEN UNS (NIE) WIEDER!


Sollte es der „Wimsche“, oder dann doch eher der „Wendersche“ Engel heißen? Dem Engel ist das wohl egal. Er breitet seine Flügel über das glitzernde Berlin aus. Der Schnee lässt auf sich warten und Ella, Bela und ich sitzen in meiner Küche, es duftet nach meinem Spezial-Popcornrezept und Lebkuchenkonfekt. Den richtigen Sound-track liefert eine Mischung aus Howard Shore, der die Hobbits losschickt, ein paar schnulzigen Halbitaliener-Songs, die sich mit Mafia und einem kleinen, vernachlässigtem Kevin verbinden und das Klavier, das wegen der Leidenschaft und den Legenden über Montana erklingt und das macht uns gar rührig. Bela singt dazwischen ein paar Hits aus den 80ern und ich warte auf die Lady, von der ich weiß, dass die 90er ihr genauso die lächelnden Tränen in die Augen treiben wie mir. Ella erzählt vom Weihnachtsmärchen, dass sie immer am Nachmittag sehen durfte – das ist Weihnachten! Und natürlich die Vanillekipferl von ihrer Oma. Bela schnoddert dazwischen, dass er als Dreikäsehoch die tschechischen Märchenfilmen an Weihnachten sehen durfte. Denen hafte diese eigenartige, mystische Schönheit an, die kaum nachzuahmen ist. Und der Duft von Bratäpfeln. 
Ich denken darüber nach, ob ich weiß, wie Bratäpfel riechen und denke mir, auf dem Stuhl stehend, die Bilder dirigierend, zur Erheiterung meiner Freunde, Weihnachtsspecials aus:
„Eine Tanzrevue! ANDY KAUFMAN, endlich von den Toten auferstanden, inszeniert mit Größen wie JACK SKELLINGTON und dem LEBKUCHENMANN, auf dem Eis zu jazzigen Rhythmen. Und danach kommt der Expandables-Chor; all die alten Action Heros singen und verteilen an traurige Menschen Milch und Kekse. Ich verkleide mich als dicker Weihnachtsmann und leite eine Mash-up-Show unserer Fantasyhelden: da tanzt GANDALF mit HARRY, WOLVERINE ist schon sehr betrunken und flirtet grimmig und herzig mit FUCHUR, worauf MONONOKE ein bisschen eifersüchtig ist und sie sich dann eben doch für FANTAGIRO entscheidet, die natürlich ihrem sprechenden STEIN die Bühne für einen brillanten Stand-up mit JOHN MCCLANE und INDIE über Gleichberechtigung und Nächstenliebe überlässt. DONNIE spricht mit den Kids, die mit ihren Fahrrädern die ganze Zeit eine gewisse ELEVEN suchen. Alle sind glücklich mit dem zimtigen Punsch, erzählen von einem WUNDER IN DER 8ten STRASSE und wie man DIE GEISTER, DIE ICH RIEF wieder los wird .“
Es klingelt an der Türe und draußen steht unter einer großen Bommelmütze Larissa und sie hat eine große Schale mit Äpfeln und Nüssen und Orangen dabei, die leuchten im schummrigen Hausflur wie ihre Augen.
Ein schönes Weihnachten ist das! Alle sind zusammen und es ist ein bisschen Kerzenschein und keiner weiß mehr, worum es bei dem Fest geht und jeder hat eine andere Kritik daran und jeder wünscht sich etwa Besonderes – aber das Besondere steckt nur in unserer Erinnerung. Wir vier sitzen zusammen und schwelgen bis die Nacht vorbei ist. Dann sehen wir noch einen Film und während der Abspann läuft, da denke ich an ein Weihnachten, an dem ich mit meinem besten Freund Herrn Kaiser, das erste Mal DIE HARD gesehen habe; denke an das Gefühl, nachts, nach dem gemeinsamen Fest, zu schmökern, während alle schon schliefen. Und ich erinnere mich an einen Moment, da habe ich ganz rote Wangen und ich stehe an einem Weihnachtsfeiertag auf und drücke mir die Nase am Fenster meines Kinderzimmers platt. Draußen schneite es dicke, schwere Flocken, langsam, wie in Zeitlupe, und die Straße war weiß gepudert und die blinkenden Lichter machten alles heimelig und mein kleines Ich dachte: „Es ist in den Filmen so schön, weil sie versuchen dieses Gefühl einzufangen, an das man sich zurückerinnert. Und man weiß, dass es nie wieder kommt – und das man sich doch bald wieder sieht.“ (Ich war schon sehr früh,sehr seltsam.) Wir sehen uns nächstes Jahr, Freunde. 

Ich stehe noch mal auf und mache noch ein bisschen Spekukatius-Zimt-Popcorn für die Menschen, mit denen ich den nächsten Weihnachtsfilm ansehe:

Von A wie „Ali, das andere Rentier“ bis z wie „Zauberbart - der Santa-Barbier“ (beide Projekte in Arbeit…) – Weihnachtsfilm ist, was Ihr nostalgisch liebt.

Und weil CURT ja dieses Jahr so rund und schön, so 20 geworden ist und sich immer top liebevoll um Euer Wohl kümmert, erinnern wir uns passend zur Weihnachtsnostalgie: 1997 – was für ein Jahr! Genügend Stoff, um es sich mit einem Marshmellows bestücktem Kakao gemütlich zu machen:
Da tummelte sich Katja Reiman mit ihren Mädels durch BANDITS  (R: Katja von Garnier) und Leo und Kate auf der TITANIC (R: James Cameron), die COMEDIAN HARMONISTS (R: Joseph Vilsmaier) sangen sich gegen eine undurchsichtige Welt. Die Wahrheit über Aliens gab es in MIB (R: Barry Sonnenfeld) serviert – und dann noch einmal schön und ernst in CONTACT (R: Robert Zemeckis). Und unvergesslich vereinte die Visionen aus Zukunft und Botschaft der Liebe, Luc Besson in DAS FÜNFTE ELEMENT. Es gab die düsteren und verstörenden kleinen Randerscheinungen, wie den brillanten CUBE (R: Vincenzo Natalie) oder EVENT HORIZON (Paul W.S. Anderson) und den Kampf um unsere Seele im Gericht der Welt mit einem brillanten Pacino in IM AUFTRAG DES TEUFELS (R: Taylor Hackford). Es gab Gemälde wie Kitanos HANA-BI und den unvergleichlichen FUNNY GAMES von Haneke, während sich unterschätze Männer wie Sylvester Stallone in COPLAND (R: James Mangold) auf Verbrecherjagd bei den vermeintlich Guten machte. Es gab GOOD WILL HUNTING (R: Gus Van Sant) und BESSER GEHT’S NICHT (R: James L. Brooks) und für diejenigen, die zu spät geboren waren, geschah es: THE EMPIRE STRIKES BACK lief noch einmal über die Leinwände unserer Kinos. (Über die Ausrutscher von Joel Schumacher breiten wir mal den Mantel der Nächstenliebe an dieser Stelle … Nein, es gab KEINEN Batman Film in diesem Jahr … Was heißt hier doch? Rennschelle?)
Aber es gibt natürlich auch im aktuellen Kino was zu sehen. Und vielleicht wird das Eine oder Andere dann zum neuen Nostalgiefilm. 
Der Meister der skurrilen Schönheit und tiefen Abgründe spielt in seinem neuen Film mit dem Höhepunkt und den Erwartungen und wie wir ihnen, im wahrsten Wortsinn, entgegentanzen: CLIMAX von Caspar Noë (KS: 06.12). Anlässlich dieses neuen Werkes zeigt das KOMMKINO am 07.12. Noës Film IRREVERSIBLE und am 08.12. (den weniger bekannten) DIE HEXENJÄGER – beide in originalen 35mm Kopien.
Mit UNDER THE SILVER LAKE (R:  David R. Mitchell) emanzipiert sich Andrew Garfield weiter und spielt in einem Film, der an den skurrilen Humor von INHERENT VICE (R: Paul Thomas Anderson) und der Paranoia eines Philip K. Dick erinnert (KS: 06.12.).
Der brillante Steve McQueen meldet sich ebenfalls zurück – mit einem Trailer zu WIDOWS (KS: 6.12.), der mich ob seines Sujets sehr überrascht hat – mit Darstellerinnen wie Viola Davis und der Frau, die mir immer als „Vasquez“ in Erinnerung geblieben ist. Vasquez, die harte Marine-Frau (ALIENS, R: James Cameron), macht zum Aufwachen Klimmzüge, ein anderer Marine: „Ey, Vasquez, fühlst du dich eigentlich manchmal als Mann.“ Vasquez zeiht sich wieder an muskulösen Armen hoch: „Nee … du?“ Emanzipation à la 80er-Raumschiff-Vietnam-Horror-Bearbeitung.
Der Versuch, die Unterdrückung zu zeigen, könnte auch in dem MARY SHELLEY (R: Haifa Al Mansour, KS: 27.12.) Thema sein, der das Erschaffen des „Frankenstein“-Romans durch die titelgebende Schriftstellerin beleuchtet. Ob das dann wiederbelebend oder eher endgültig wirkt, bleibt abzuwarten.
In KILLING GOD – LIEBE DEINEN NÄCHSTEN wird zu Silvester eine Gruppe feiernder Freunde von einem kleinen Mann heimgesucht – der behauptet, Gott zu sein und sie als einzige Überlebende der Vernichtung der Menschheit auswählt. Prost, Neues! – Stolpern Sie nicht über den Tiger! Und damit ist dann das Jahr auch vorbei.
Dann können wir uns ja schon mal auf nächstes Jahr freuen, wenn dann bald die 3. Staffel STRANGER THINGS zu unserem zukünftigen Nostalgie-Repertoire gehören wird.

Bleiben nur die schlauen Fragen, um die Zukunft der Filme Voraussagen zu können: Was ist Euer Lieblingsnostalgie-Filmjahr? Welche Filme braucht Ihr unbedingt zu Weihnachten? Besucht mich auf Instagram und kommentiert dort den nächsten #tiborskopfkino Post – oder schreibt mir einen Brief, eine Postkarte an die Redaktion des Stadtmagazins von Welt.

AH, JA! SPEKULATIUS-POPCORN
Süßes Popcorn machen (wirklich süß, nicht sparen!), in den Zucker Zimt und Cardamon mit beigeben. In das warme Popcorn mindestens eine, aber in jedem Fall ebenso viel Spekulatius wie Corn, kleingekrümelt beigeben. Den letzten Rest Butter mit Zucker drüber geben. Mit einem oder mehreren Lieblingsmenschen teilen und ganz klebrige Finger und Bäuche bekommen und den Zuckerhigh genießen.

Feiert schön, seht Euch das Schönste an und habt Euch lieb!

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TIBOR BAUMANN
Der Nürnberger Regisseur und Autor ist in Imbissbudenland gestrandet - und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: entscheidende Bilder und bildende Entscheidungen. Alles in seinem Kopf. Und mit einem Herz, wie eine Filmrolle. Wer wählen muss, soll erst nach genauer Wahl Platz im (ja im!) besten Ort der Welt nehmen - Kinosessel!




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