Im Gespräch mit: Arne Birkenstock

FREITAG, 31. OKTOBER 2014

#curt München, #Film, #Interview, #Kino, #Regisseur

Eigentlich wollte curt München Wolfgang Beltracchi interviewen. Der aber sitzt noch seine sechsjährige Haft in der JVA Köln wegen bandenmäßigen Betrugs ab, hat er doch unter dem Namen anderer Kunstwerke produziert. Viele Kunstwerke! Wie viele ist selbst nach dem Prozess nicht gewiss. Mit Arne Birkenstock wurde aber ein mehr als adäquater Gesprächspartner gefunden. 

Der Regisseur hat sich anlässlich seiner Kino-Dokumentation „Wolfgang Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ intensiv mit der durchaus charmanten Hauptfigur des größten Kunstfälscherskandals der Nachkriegszeit auseinandergesetzt. Seine Dokumentation erschien mittlerweile als DVD.

Im Beipackzettel zu der erschienenen DVD steht: ein „höchst amüsanter Dokumentarfilm“. Haben sie dem Ernst des Themas genüge getan? Immerhin wird der Gesamtschaden auf rund 34 Mio. Euro beziffert.


Arne Birkenstock: Es geht hier eben nicht um Waffenschieber, Mädchenhändler oder Flüchtlingsschlepper, sondern um einen Kunstfälscher, der über vier Jahrzehnte die wichtigsten Akteure im weltweiten Kunsthandel betrügt. Dabei legte er zweifellos eine hohe kriminelle Energie, aber eben auch Charme, Chuzpe, Kunstverständnis und handwerkliches wie strategisches Know-how an den Tag. Ich wäre ein schlechter Filmemacher, wenn ich diese Gaunerkomödie nicht auch unterhaltsam erzählen würde. Beltracchi ist eine sehr ambivalente Persönlichkeit und somit eine perfekte Filmfigur. Und so ambivalent wie er ist, zeichnet ihn auch mein Film.
Interessant ist die Frage, warum der Kunstfälscher unter den Betrügern der beim Volke Beliebteste zu sein scheint. Das hat erstens etwas mit dem Wohlstand der Opfer zu tun, die durch den Betrug weder um ihr Haus noch um ihre Rente gebracht werden. Zweitens sind seine Kenntnisse und Fertigkeiten – anders als zum Beispiel bei einem Finanzbetrüger, der ebenfalls über hoch spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss – beim Kunstfälscher für jedermann nachvollziehbar: Er kann gut malen. Drittens bedient der Kunstfälscher sicher gewisse Vorurteile gegenüber dem Kunstmarkt und der zeitgenössischen Kunst insgesamt. Das alles macht seine Taten nicht weniger verwerflich, aber es erklärt, warum viele Menschen bei dieser Geschichte immer auch mal grinsen müssen und manche den Fälscher sogar ein wenig bewundern.

In Ihrer Dokumentation zeigen Sie viele Seiten einer Medaille: wütende Kunstsammler, genarrte Experten, akribische Ermittler, ihn bewundernde Freunde … Welche überwiegt für Sie? Ist Beltracchi ein krimineller Hochstapler oder ein moderner Till Eulenspiegel, der einem profitgierigen Kunstmarkt den Spiegel vorhält?


A.B.: Beltracchi hat eigene Werke als Originale der klassischen Moderne verkauft und sich damit sehr viel Geld ergaunert. Das ist Betrug und wird völlig zu Recht strafrechtlich geahndet. Sein Motiv war die Gier und nicht die Aufklärung. Und doch hat Beltracchi mit seinen Taten – ohne dass es seine ursprüngliche Absicht gewesen wäre – zur Aufklärung beigetragen. Der Beltracchi-Skandal hat uns viele Defizite und Absurditäten im internationalen Kunsthandel offengelegt, der Fälscher hat dem Markt in diesem Sinne auch einen Spiegel vorgehalten. Das war nicht das Motiv, aber ein Nebeneffekt seines Tuns. Insofern ist er beides: Hochstapler und Eulenspiegel.

„Museen sind nichts weiter als ein Haufen Lügen, und die Leute, die aus der Kunst ein Geschäft machen, sind meistens Betrüger“, so wird Picasso zitiert. Wer ist Ihrer Meinung nach nun der Betrüger: der Maler oder diejenigen, die seine Werke bereitwillig gegen bare Münze für bare Münze hielten?
A.B.: Bei aller berechtigten Empörung über manche Gepflogenheit im Kunstmarkt: Man darf die Opfer nicht zu Tätern machen! Es steht außer Frage, dass es der Fälscher war, der betrogen hat, und die Sammler und Händler diejenigen waren, die betrogen worden sind. Einige Betrogene in dieser Geschichte müssen sich allerdings die Frage gefallen lassen, ob sie es dem Betrüger nicht allzu leicht gemacht haben. Der Kunstmarkt selbst beschreibt Beltracchi gerne wahlweise als Genie oder als Teufel. Das Praktische daran: Gegen beide – Genie und Teufel – ist man machtlos und muss sein Geschäftsgebahren auch nicht ändern. Würde man Beltracchi hingegen als das ansehen, was er ist, nämlich als einen zwar besonders pfiffigen und talentierten, aber am Ende des Tages doch ganz normalen Kunstfälscher, so müsste man im Kunstmarkt darüber nachdenken, wie man sich künftig vor ihm und seinesgleichen besser schützen kann. Ob die betroffenen Akteure aus dem Skandal gelernt und ihre Konsequenzen gezogen haben – daran habe, nicht nur ich, meine berechtigten Zweifel.

Ihre Dokumentation trägt den Untertitel „Die Kunst der Fälschung“: Ist Beltracchi für Sie folglich ein eigenständiger Künstler? Oder doch nur ein talentierter Fälscher?


A.B.: Ihre Schlussfolgerung ist sprachlich ungenau. Der Begriff „Kunst“ ist wesentlich weiter gefasst und bezieht sich auch auf Dinge wie zum Beispiel Handwerkskunst. Genau so ist der Untertitel gemeint. Der Kunstfälscher betreibt ein kriminelles Geschäft und doch benötigt er besondere Fertigkeiten, um dieses Geschäft so „erfolgreich“ auszuüben wie Beltracchi. Dieser konnte nicht nur außergewöhnlich gut malen, sondern wusste auch seine Kenntnisse über Materialien und Alterungsprozesse praktisch umzusetzen, um Fälschungen herzustellen, die auch die kompetentesten Experten nicht als solche erkannten. Dazu kam sein großes Wissen über Kunstgeschichte und Kunsthandel, das er für eine außerordentlich erfolgreiche Verkaufsstrategie nutzte. In diesem Sinne erzählt uns seine Geschichte etwas über die „Kunst“ der Fälschung. Ob Beltracchi darüber hinaus auch ein Künstler ist und als solcher erfolgreich bestehen kann, wird sich zeigen. Dieser Punkt wird im Film ja auch von dem Kunsthistoriker Henry Keazor angesprochen und eher bezweifelt.

Frage an Sie als Regisseur und somit Künstler: Was ist Kunst?


A.B.: Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten. Was „Kunst“ ist oder nicht, entscheidet am Ende ja auch der Betrachter. Für mich ist der künstlerische Prozess entscheidend. Der künstlerische Prozess hat sehr viel mit Zweifeln und Fragen zu tun. Das kenne ich aus dem Schneideraum. Es dauert ewig, bis man aus den vielen im Drehmaterial schlummernden Möglichkeiten die eine Fassung geschnitten hat, die dann dem Film zugrunde liegt. Das ist eine ewige Suche mit zahllosen Umwegen. Der direkte Weg führt hier selten zum Ziel.
Deshalb war mir die Sequenz aus dem Max-Ernst-Film von Peter Schamoni so wichtig. Hier sehen wir den Künstler in seiner Verzweiflung vor der weißen Leinwand. Max Ernst weiß in diesem Augenblick eben nicht, was er als nächstes tun soll. Er brütet und wartet, entdeckt die Maserungen in einer Holzdiele, experimentiert damit herum und entwickelt so die Frottagetechnik, ohne zu wissen, ob und wie diese bei Kritik und Handel ankommt. Beltracchi nutzt diese Frottagetechnik zu einem Zeitpunkt, zu dem sie von Kunstkritik und Kunsthandel bereits anerkannt und geadelt ist. Anders als Max Ernst in seiner Verzweiflung vor der weißen Leinwand oder ich in meiner Verzweiflung im Schneideraum weiß der Fälscher immer, wie es weitergeht, er macht sich nicht selbst auf die Suche, sondern greift auf etwas Bewährtes zurück. Das ist für mich dann eher Handwerk als Kunst.

Sechs Jahre Haft für Beltracchi: Wie werten Sie persönlich das Urteil? Ihr Vater hat Beltracchi ja auch verteidigt.
A.B.: Das Wunderbare an unserem Rechtsstaat ist doch, dass jeder Fall individuell, nach feststehenden Regeln und mit offenem Ausgang verhandelt wird. Ausschlaggebend für das Strafmaß ist nicht Volkes Stimme oder die vom Beobachter „gefühlte“ Gerechtigkeit, sondern auch Faktoren wie Schadenshöhe, Beweislage und Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten. Da sich Anklage, Gericht und Verteidigung einvernehmlich auf dieses Strafmaß geeinigt haben, gehe ich davon aus, dass es dem Fall und den verhandelten Straftaten angemessen war. Sechs Jahre Haft sind nun wirklich kein Pappenstiel, auch wenn mancher Feuilletonist das anders sieht.

Provokante Frage zum Schluss: Ist Ihre Dokumentation nicht auch ein wenig Schmücken mit fremden Federn, ein Mitreiten auf der lukrativen Vermarktungswelle rund um den Skandal?
A.B.: Provokante Gegenfrage: Ist ihre Berichterstattung das dann nicht auch? Wollen wir künftig keine Geschichten mehr erzählen über Menschen und Ereignisse, die uns und unsere Leser bzw. Zuschauer interessieren? Streng genommen schmücke ich mich dabei immer mit fremden Federn, egal ob ich einen Film über Volksmusiker, Elefanten, Tangotänzer oder eben über einen Kunstfälscher mache. Ohne starke Figuren mit starken Geschichten entsteht kein starker Dokumentarfilm. Und wenn ein Protagonist dann noch so sehr polarisiert wie Beltracchi, dann ist das für den Film umso besser. Im Übrigen: Die mediale Vermarktungswelle und die vielen Talkshow-Auftritte rund um das Buch der Beltracchis haben unserem Film mindestens soviel geschadet wie genutzt. Wir wurden als Teil einer PR-Kampagne wahrgenommen, obwohl wir das zu keiner Zeit waren. Andererseits ist es völlig nachvollziehbar, dass ein solcher Film ins Kino gebracht wird, wenn die Aufmerksamkeit für das Thema möglichst hoch ist.


Das Interview führte Miriam Karasek, curt München.

 




BELTRACCHI – DIE KUNST DER FÄLSCHUNG (D, 2014, 97 min., Dokumentarfilm)
Buch & Regie: Arne Birkenstock
Kamera: Marcus Winterbauer
Mitwirkende: Wolfgang und Helene Beltracchi, Franziska Beltracchi (Tochter), Manuel Schnee (Sohn), Renè Allonge, Nicholas Eastaugh, Henrik Hanstein, Henry Keazor, Sofia Komarowa, Niklas Maak, Micheline Plasman, James Roundell, Bernard Van Ommeslaghe




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