Theobald O.J. Fuchs: Hexen-Crêpes
#Crepes, #Frankreich, #Story, #Theo Fuchs
Als langjähriger Kolumnist lehne ich es kategorisch ab, über alldieweil persönlich erlebte Trivialitäten zu berichten. Bzw. diese auf Elefanten-dimension aufzublasen bis irgendwer »Stopp!« murmelt. Das überlasse ich den Großen dieser Welt, den Weilers, Heidenreichs, Hackes, Stockowskis, Lobos sowie Hubba-Bubba, dem Plapper-Monster. Go for it, ich feiere euch! Und verzichte selbst.
Vielmehr möchte ich die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, über eine kürzlich erfolgte Reise auf diese kleine Insel im Atlantik nicht weit vor der französischen Küste zu berichten. Denn es war sehr schön da. Kaum Autos, absolut keine Wohnmobile, ein paar tiefenentspannte Druiden und ein paar Hunde, die sich aber allesamt flott in der Landschaft verliefen. Doch davon kein Wort. Mein kolumnistischer Erguss ist jetzt schon widersprüchlich genug.
Beim lässigen Wandern auf der Hauptstraße in Richtung des Hauptortes der Insel, welcher sich über die höchste Erhebung des Eilandes verteilte, welche sich auf sage und schreibe neun Komma fünf Meter bemisst, wovon die ersten sechs die steileren, während der Rest ... wo war ich stehen geblieben? Richtig! Kaum der Fähre entstiegen beging ich umstandslos und ohne zu zögern den ersten und hauptsächlichen Fehler. Ich passierte spazierend den Stand einer Crêpes-Hexe. Also die Freiluft-küche einer Zauberin, die selbst als Hexe* gelesen werden wollte. Unverzeihlicher Weise verzichtete ich auf den Kauf eines Crêpes . Der Blick auf das in nachgerade phantastischer Gestaltung lückengespickte Gebiss der die Crêpes verkaufenden Person mit magischem Hintergrund hielt mich echt stark davon ab. Ich ging wortlos vorbei und weiter, doch der dentale Kolonialismus stand wohl deutlich auf meine Stirn geschrieben.
Niemand möchte davon lesen, es nicht einmal selbst erleben. Doch so war es: Ich diskriminierte die Hexe, weil ich vom Zustand ihrer Kau- und Beißwerkzeuge quasi mit irrationaler Belämmerung auf die Qualität ihres Nahrungsmittel-To-Eat-Angebots schloss. In vollem Bewusstsein meines Zahngesundheitsprivilegs. Dies zeitigte Folgen, aber Hallo!
Wie ein vertrottelter Schachspieler musste ich wohl im Vorübergehen ein paar Haare oder auch nur Schuppen verloren haben – die Hexe kam in Besitz meiner DNS und schickte vermittels derselben ganz klassisch ihren Fluch in den keltischen Äther. Dieser erreichte mich eine Stunde später, genau im empfindlichsten Augenblick. Am fernen Ende der Insel, nach einem leckeren Meeres-Imbiss am Strand, in der Mittagshitze unter einer wohlduftenden Pinie liegend, fiel ich völlig unerwartet in einen tiefen Schlummer.
Als ich erwachte, hatte sich um mich herum die Dunkelheit breit gemacht. Nun war billiger Rat teuer, denn natürlich war die letzte Fähre zurück zum Festland schon lange abgedampft und hinter der (natürlich nur gedachten) Erdkante verschwunden. Wir alle kennen diese Situation und wissen, was in solchen Fällen dem verirrten Wanderer seit Urzeiten übrigbliebt: ich musste einen sturzbetrunkenen Dorfjugendlichen auftreiben, der mich trotz Finsternis, Gewittersturm, Wellengang und Schiffspatrouillen zurück zum Festland brächte.
Ich stolperte im Mondlicht durch die harzig duftenden Kiefernwäldchen, vorbei an Menhiren aus unvordenklichen Zeiten. Wind brauste um die felsigen Klippen, das Meer brodelte und schwappte, als wollte jemand die große Badewanne mitsamt dem Kinde ausschütten. Doch die Insel war schmal, ein Verlaufen so gut wie unmöglich, und als die Uhr im einzigen Kirchturm, der aus den Steinen geplünderter neolithischer Königsgräber errichtet worden war, Mitternacht schlug, stand ich wieder an der Landerampe zur Überfahrt über den schmalen Ärmel zwischen hier und Festland.
Da! Aus schattigem Gebüsch tretend eine vermummte Gestalt. Schwankend und streng riechend nach Schnaps. Ein mit schwerer Zunge gelalltes Angebot für die Überfahrt, ein unverschämter Preis inklusive. Das musste er sein, der lokale Tunichtgut – risikobereit und waghalsig. Ich bestieg das auf den anflutenden Wogen schaukelnde Wasser-Moped, der Motor heulte weißen Qualm hustend in die blautrübe Nacht, mit einem kräftigen Ruck zog es nach vorne. Leinen los! hieß es da, kein Zurück, nimmer mehr und nie! Jede einzelne Minute des teuren Spaßes auszukosten gesonnen, klammerte ich mich aufrecht an den Masten, der mir gerade mal bis zum Knie ging. Doch den weißen Wal würde ich nicht übersehen, echt nicht. Mein Charon raste wie ein Gestörter über den holprigen Acker der aufgewühlten See.
Plötzlich: eine nassforsche Welle schwappte herbei, schmiss mich beinahe über die Reling. Begannen die Ereignisse nun, sich zu überstürzen? Bange verklammerte ich mich mit dem jugendlichen Bootslenker, riss ich ihm den schwarzen Umhang vom Leib. Und nun: alles andere als Überraschung, genau! Es war die Crêpes-Hexe, die nur auf diesen Moment gewartet hatte, um in lauthals höhnisches Gelächter auszubrechen. Ich war ihr hier auf diesem schwankenden Fleckchen Schiffsdeck wehrlos ausgeliefert, doch wie das eben so ist mit Blättern, sie wenden sich gerne einmal. Und zwar sofort: aus ihrem weit aufgesperrten Mund löste sich ein Zahn, der über die Planken polterte und direkt in meine Hand abprallte. Dass ich über blitzschnelle Reflexe verfüge, muss ich wohl nicht extra erwähnen.
O wie wütend wurde sie da! Gab mir der Zahn doch umfängliche Macht über sie – generell vielleicht für viele Lesende noch eine neue Erkenntnis: Zauberei und Magie, das fanden amerikanische Wissenschaftler vor erst recht kurzer Zeit heraus, funktionieren und funktionierten schon immer mittels zellulärer Erbsubstanz. Was man im Mittelalter noch für die Wirkmächtigkeit von rückwärts geraunten, lateinischen Flüchen hielt, ist eigentlich nichts als triviale Biochemie. So einfach ist das: mit dem Zahn hielt ich nun das Mittel in der Hand, um dessen Verliererin nach Lust und Laune singen und springen zu lassen.
Da halfen ihr auch nicht mehr die zwei unglaublich korpulenten Bassets, die sie von irgendwoher an Deck rief. Nichts hatte mich auf den Anblick dieser Wesen vorbereitet, dass es solche Tiere gibt, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können. Diese beiden Hound-Dogs glichen vom Umfang her Fernwärmerohrleitungen, standen aber auf Beinen, die so kurz waren, dass daneben selbst meine Birkenstock-Sandalen wie Stöckelschuhe wirkten. Jeder von ihnen besaß so viel überschüssige Felllappen, dass es auch für drei oder vier straffer konstruierte Kurzhaar-Nashörner ausgereicht hätte. Fas-zi-nie-rend!
Die beiden Hunde trappelten hin und her, von Steuer- nach Back- und zurück nach Bord, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen – alleine vergeblich. Ich stand fest auf meinen Beinen wie ein Hünengrab, dem 4000 plus Jahre lang auch das stärkste Erdbeben nichts anhaben konnte. Die Rache der Crêpes-Hexe fiel in sich zusammen wie Bierschaum im Platzregen. Sie konnte nicht anders als mich wohlbehalten ans Festland bringen. Trinkgeld gab es natürlich keines.
Nun, und jetzt kommt, was ich eigentlich hatte berichten wollen. Ich bitte, die ausschweifende Vorrede zu entschuldigen! Denn eine wirklich relevante Entdeckung machte ich, als ich nämlich auf dem Nachhauseweg den ausgefallenen Zahn achtlos ins Gebüsch am Wegesrand feuerte. An der Stelle, wo er den Erdboden berührte, begann es unmittelbar zu rumoren, ein kleines gelbes Flämmchen loderte auf und es begann bestialisch nach heißer Zugbremse und grüner Tonne zu stinken. Dann tat es einen Donnerschlag und wie aus dem Boden gewachsen stand dort ein otzen Dolmen. Auch fetter Hinkelstein genannt (vgl. Bild). So also entstehen die Dinger! Ich muss zugeben: das erklärt dann schon einiges, und ich hoffe, der wissenschaftlichen Steinzeitkunde einen großen Felsbrocken der Erkenntnis geliefert zu haben!
Ansonsten gab‘s keine besonderen Vorkommnisse.
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Theo Fuchs, Kulturpreisträger 2024, jetzt auch mit eigener Homepage:
www.theobald-fuchs.de
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