Moby Dick: Ein schauriger Wal in der Sparkassenfiliale

20. NOVEMBER 2025 - 22. NOVEMBER 2025, MAXI.KUNST

#Franziska Detrez, #Installation, #MAXI.kunst, #Moby Dick, #Performance

Franziska Detrez inszeniert Moby Dick als performative Installation und Hörspiel in der MAXI.kunst. Rezension von Andreas Thamm, zuerst erschienen bei freiszenenbg.de

Eigentlich ist das Ding ja ikonisch: Die stillgelegte Sparkasse mit U-Bahn Maxmiliansstraße. Wuchtig und braun ragen ihre runden Dächer in Richtung Fürther Straße, auffällig, aber nicht im klassischen Sinne schön. Ein bisschen wie ein gestrandetes Schiff, oder? Möglicherweise dachte sich eben das auch die Regisseurin Franziska Detrez hier vorbeikommend und entwickelte eine Vision: Moby Dick, genau hier, im Off-Space Sparkasse, mittlerweile bekannt als MAXI.kunst.

Ein kalter, weißer Raum, eine runde Bank steht noch, ein Tisch. Eine rote Wendeltreppe führt durch ein Loch in der Decke in den ersten Stock. Das Publikum wird abgeholt von einer schwarzgekleideten, gesichtsvermummten Performerin mit Taschenlampe, die bereits als Hinweis gelesen werden kann: Gleich wird's duster. Oben folgt die Gruppe dem einzelnen Lichtpunkt nach, einen Gang entlang, Vorsicht Stufe, bis in den eigentlich Raum der Performance, Nantucket, Schiffsbauch der Pequod, weiter Ozean. Der Raum, durchschnitten von Betonsäulen, ist mit Nebel gefüllt. Teilweise ist nahezu gar nichts zu sehen, nur Schemen einer Gruppe, die sich im Wellengang wiegt.

Franziska Detrez' Moby Dick nach dem Weltroman von Herman Melville wurde als Performance/Installation/Audio-Kunst angekündigt. Konkret bedeutet das: Das Publikum ist mittendrin. Ein paar Papphocker am Rand bieten sich als Sitzgelegenheit an, ansonsten ist man angehalten, durch den Raum zu streifen und den Performenden dabei nicht in die Quere zu kommen. Gemeinsam mit sieben Sprecher:innen hat Soundkünstler:in Andii Weber ein Hörspiel produziert, das in schauriger Atmosphäre von der schwarz gewandeten Gruppe in Bewegung übersetzt wird.

Und so begleiten wir vom ikonischen ersten Satz an – "Nennt mich Ismael" – eben jenen Walfänger auf seinem wellen- und blutrauschenden Abenteuer mit dem rachsüchtigen Ahab. Sukzessive kehrt mehr Licht in den Raum ein, die Taschenlampen tasten und Webers flirrende und marschierende Sounds treiben die Suche nach der Besatzung auf der Insel Nantucket an. Wer wird sich diesem Himmelfahrtskommando anschließen wollen? Während wir eben jene kennenlernen, fliegen, nahezu akkurat getaktet, weiße Sandsäcke durch die Luft. Die sparsame Kulisse wird umgeschichtet, das Schiff eingerichtet, die Musik wabert in Tönen, die an Schiffshörner erinnern und aus dem präzisen Werfen entwickelt sich ein Balgen, Rangeln, Werfen und Prügeln.

Gerade in diesen Momenten, in denen aus Ordnung ein choregrafiertes Chaos wird, geht die installations-mäßige Anlage besonders gut auf. Man hat natürlich permanent das Gefühl im Weg zu stehen. Man will niemanden zum Stolpern bringen und keinen Sack an den Kopf bekommen, man spürt wie der kühle Atlantik einem die Wangen anhaucht und ist auf einmal ganz anders involviert.

Melvilles Originaltext wurde von Detrez klug zurechtgeschnitten. Lange Passagen werden am Stück gelesen. Eva Paulina Loska ist eine charismatische Erzählerin und Tobias Hacker aka. Gymmick ein bedrohlicher Ahab. Der tritt auf unter bretternden Gitarren. "Wie ein Mann, den man vom Scheiterhaufen gezogen hat." Die Gruppe erstarrt und schwört ihm chorisch, den weißen Wal zu jagen. Diese Momente sind akustisch teilweise leider schwer zu entziffern. Auch im Hörspiel gehen später, ausgerechnet, wenn es um den Moby Dick geht, zu viele Ebenen durcheinander, als das man noch den einzelnen Bewegungen dieser Schlacht folgen könnte.

Ansonsten aber haben Detrez und Team vor allem das: Ein hervorragendes Hörspiel auf professionellem Niveau produziert, das die ganze sprachliche Wucht und Brutalität des Romans auf umwerfende Weise zur Geltung bringt. Auch wenn Andii Webers Blastbeats und Post-Rock-Riffs die Erzählerinnenstimme tendenziell zu häufig begraben, ist das eine eindrucksvolle und abwechslungsreiche Soundkulisse. Hinzu kommen dezent gesetzte Lichteffekte. Ein heftig überforderndes Blitzlichtgewitter während der Jagd, bevor das Meer und also der ganze Raum in Rot getaucht ist.

Natürlich weist sowohl die Auswahl der Textstellen als auch die martialische Umsetzung auf die rohe Gewalt hin, mit der der Mensch sich an der Natur vergeht. Im Moment als im Text ein Wal zerlegt wird und in der Performance ein schwarz Vermummter andere schwarz Vermummte mit präzisen Griffen abtransportiert, scheinen aber auch Bilder von gegenwärtigen Polizeieinsätzen durch. Eine Kontinuität der menschlichen Gewalt, die nicht ausformuliert werden muss. Die Natur immerhin hat das bessere Ende für sich. "Der mächtige Gott offenbarte sich." Und von seinen Jägern blieb nicht viel übrig. Auf wackeligen Beinen nimmt man die Wendeltreppe wieder in Angriff.


Moby Dick von Franziska Detrez

Weitere Termine:

21. und 22. November, 19 Uhr

22. November, 15 Uhr




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#Franziska Detrez, #Installation, #MAXI.kunst, #Moby Dick, #Performance

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TAFELHALLE. Es gibt ein neues Kunstkollektiv in Town, das einen tatsächlich sehr radikal eigenen Ansatz der Performance wählt: roams (wohl bekannt aus der Nürnberger Szene: Harald Kienle, Michaela Pereira Lima, Veith von Tsotzhousn und Maria Trunk) verbinden bildende und darstellende Kunst in einem drei Tage andauernden Tanz ums Holz.

Konkret handelt sich bei der Aufführung roams: adventures um ein Bühnenstück mit einem wachsenden Bühnenbild, das selbst Kunstwerk und Protagonist ist. Dieses Bühnenbild von Harald Kienle wiederum setzt sich aus Klanghölzern zusammen, die von Veith Michel bespielt werden, gibt also auch einen Sound ab und verändert sich unterm Einfluss der Choreografie der Performenden Pereira Lima, Markl und Bess. Inhaltlich dreht sich das experimentelle Stück um das Ursprüngliche, das die Gesellschaft zusammenhält, symbolisch verbildlicht im Holz. Das Spiel drum herum ist auch eines mit dem Risiko, die Performenden setzen ihr eigenes Bühnenbild aufs Spiel: Wird es zusammenkrachen wie ein Jenga-Turm? “Das Fallen, das Zusammenkrachen, das Ungeplante ist stets Teil des Prozesses”, sagt Maria Trunk aus dem Produktionsteam. 

Die drei Aufführungen von roams_adventures bauen aufeinander auf und funktionieren jeweils für sich. Sie sind sind in allen Sprachen, Kulturen und Generationen verstehbar. Das Publikum wird Teil eines skuplturalen Erlebens und eines Dialogs zwischen Raumkörpern, Menschen, Hölzern und Klängen. 

Spannendes Projekt, alle Infos hier:

roams: adventures
20.-22.11., Tafelhalle


Konzept, künstlerische Leitung & Produktionsleitung: Michaela Pereira Lima & Harald Kienle
Regie: Nicole Schymiczek
Soundkunst: Veith von Tsotzhousn
Performance: Michaela Pereira Lima, Miriam Markel, Barbara Bess
Video: Linda Havenstein
Lichtdesign: Gunnar Tippmann und Saša Batnozic
Grafik: Steffi Probst
Klangstapler:innen: Moritz Kienle, Natacha Cayrol, Chan Bess, Lola Pereira Lima
Ground Control: Maria Trunk
Coaching: Katharina Tyllack
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ZUKUNFTSMUSEUM / AEG. Das Brachland-Ensemble zieht bei seiner neuesten Produktion alle technischen Register, sie findet nämlich im Zukunftsmuseum statt. Interspecies Families ist vieles: ein Theater-Performance-Talk, Infotainment, TechNovela. Bezugspunkt ist die Familie, die sich nicht mehr nur aus Mensch und Tier zusammensetzt, auch die KI ist Teil des Haushalts. Wir haben Theo Fuchs zur Premiere geschickt, er schreibt: "Es bleibt letzten Endes der Mensch und seine Körperlichkeit im Mittelpunkt. Der bodennahe Ausdruckstanz, den Sarah Plattner im Duett mit einem der Regenwürmer auf dem Körper improvisiert, während Ludger Lamers das Winden und Wälzen filmt, hinterlässt wohl den stärksten visuellen Eindruck der Vorführung." Ganze Besprechung HIER. Weiter geht's mit der TechNovela am 26.04. Dann monatlich bis Oktober. Gäste und Inhalte wechseln, es lohnt sich also, jede Folge zu sehen.

Etwas wieder ganz Anderes präsentiert Brachland in der Kulturwerkstatt auf AEG. Am 09.05. feiert dort The Beginning Premiere, ein inklusives Projekt in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe, das Science Fiction und Dokumentation, Performance und Film vermischt. Das Projektteam hat sich mit dem Ende der Menschheit auseinandergesetzt, mit dem Weiterleben der Spezies auf fernen Planeten, mit realen Szenarien für die Erde. Auf der Leinwand werden Expert:innen-Interviews zu sehen sein. Auf der Bühne setzt sich die Gesellschaft zusammen, eine mixed-abled Gruppe, die eine Zukunft eerdenkt und vielleicht neue konstruktive Lösungen entwerfen kann. Weitere Aufführungen am 10. und 11.05.

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Brachland-Enssemble
Im Zukunftsmuseum und in der Kulturwerkstatt Auf AEG
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