Tafelhalle: Warum soll neu denn immer besser sein?

SONNTAG, 1. OKTOBER 2023, TAFELHALLE

#Friederike Engel, #Interview, #Kultur, #Kulturpolitik, #Tafelhalle, #Tanz, #Theater

Es ist, das muss man immer wieder mal hochhalten, etwas Besonderes, ein solches Haus in der Stadt zu haben, das der freien Szene, insbesondere Tanz- und Theaterszene, einen Ort gibt für die anspruchsvollen, die experimentellen und seltsamen Produktionen. Gleichzeitig ist die Tafelhalle natürlich sehr viel mehr: städtischer Gala-Raum, Kabarettbühne, Konzertsaal. Seit 2020 wird sie geleitet von Friederike Engel. Die Tafelhalle hat die Pandemie abgeschüttelt, aber: Es wird nie mehr so sein wie zuvor.

CURT: Du hast die Leitung der Tafelhalle im April 2020, also im ersten Lockdown, übernommen. Was war das für ein Beginn für dich, wenn man eigentlich gar nicht weiß, wie es weitergehen wird?
FRIEDERIKE ENGEL: Es war ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite natürlich die Sorge, seine Arbeit nicht machen zu können. Auf der anderen Seite war es ohne Veranstaltungsdruck einfacher, sich kennenzulernen und herauszufinden, wie wir miteinander arbeiten. Wir mussten als Team neue Wege finden, was uns extrem zusammengeschweißt hat. Team bedeutet hier in der Tafelhalle natürlich immer auch die freie Theaterszene. Sprich, wir haben geschaut, wie geht es den Künstler*innen und wie können wir trotz der Gegebenheiten Produktionen umsetzen. In kleineren Gruppen, digital oder in anderen Formaten.

An welchem Punkt steht ihr jetzt?
Die Tafelhalle funktioniert nicht wie ein Stadttheater, das ein Programm beauftragt, sondern es gibt Kooperationen, die lange gewachsen sind. Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, einen Generationenwechsel zu moderieren. Das wird spannend, da manche Boomer so langsam ins Rentenalter kommen. Wie viel Szene wächst nach und wen kann man zusammenbringen? Wir stellen uns die Frage nach einem neuen Verteilungssystem: Wer kann überhaupt wie oft produzieren und wie schaffen wir es, nachhaltiger zu produzieren und Dinge länger sichtbar zu machen? Während der Pandemie wurde vom Bund enorm viel Geld in die Szene gegeben. Jetzt stehen wir umgekehrt vor dem Problem, dass gefühlt alle Förderungen von heute auf morgen auslaufen und die Hähne zugedreht werden. Das heißt, die Künstler:innen waren während der Pandemie besser finanziert als vorher. Jetzt dürften sie wieder spielen, sind aber finanziell wieder so limitiert, dass es kaum funktioniert. Es ist absurd und wirft natürlich auch die Frage nach Grundeinkommen und solchen Dingen wieder auf.

Trotzdem stauen sich bei euch wahrscheinlich die Produktionen.
Genau. Vorher wurde jährlich produziert, jetzt haben wir grob auf ein Zweijahressystem umgestellt. Auch, damit neue Künstler:innen nachkommen können. Es kommt aber auch unseren etablierten Künstler:innen entgegen, die das jährliche Produzieren gar nicht immer als sinnvoll empfinden. Manchmal gibt es Dinge, die mehr Zeit brauchen, die man erst einmal aufarbeiten muss. Strukturen ändern sich aber und alle wissen, dass die Kulturlandschaft nicht mehr so sein wird wie 2019. Ich sehe das nicht nur negativ. Davor war viel von allem und ständig – und dadurch teilweise auch beliebig.

Und hast du das Gefühl, dass das Publikumsverhalten sich auch verändert hat?
Die Leute entscheiden viel spontaner. Das macht die Einschätzung manchmal schwierig. Grundsätzlich ist uns das Publikum aber erhalten geblieben und die Zahlen sind stabil. Das Verrückte ist nur: es reicht einfach nicht mehr. Alles ist teurer geworden: die Gagen, die Technik, die Hotels, das Catering. Selbst ein volles Haus kann die Kosten für vieles nicht mehr auffangen und die Tafelhalle funktioniert ja so, dass ein Teil des Programms Gewinn abwerfen muss, um anderes querzufinanzieren. Du siehst das Dilemma? Klar könnte man jetzt die Ticketpreise in die Höhe treiben, aber man will ja auch kein Publikum verlieren.

Sind während der Pandemie viele Künstler:innen weggebrochen, oder wurde das durch Geld aufgefangen?
Ich glaube leider, das wird sich jetzt erst noch zeigen. Aber ich habe tatsächlich während der Pandemie teilweise die bislang spannendsten Arbeiten von Künstler:innen aus der freien Szene gesehen. Die Pandemie hat da auch Gutes bewirkt, einfach durch den Fokus, den sie ermöglicht hat und das Geld, das zur Verfügung stand. Aber klar, am Geld wird es sich jetzt zeigen, da wird es Abstriche geben. Und wenn man dann wieder kurzfristig unterfinanziert produzieren muss, geht bei manchen vielleicht die Puste aus. Man kann nicht davon ausgehen, man könnte immer schön kürzen und trotzdem das Gleiche dafür bekommen.

Wird man beobachten, dass die Ästhetiken von Tanzproduktionen reduzierter sein werden?
Das ist jetzt schon so und das ist tragisch, denn wir haben einen wahnsinnig schönen Bühnenraum. Der ist sehr besonders, gerade durch diesen industriellen Charme, und die Bühne ist sehr breit. Das heißt, man kann da durchaus große Produktionen machen, das ist aber schon eine ganze Weile vorbei. In der freien Szene gibt es die Möglichkeit eigentlich nicht, dass man viele Tänzerinnen oder Spielerinnen finanziert kriegt. Mehr als vier sind selten drin. Da würde ich mir mehr ästhetische Freiheit wünschen.

Wie sehr ist die Tafelhalle von den Budgeteinsparungen der Stadt betroffen?
Zehn Prozent Budget sind seit Corona weg. Dazu kamen jetzt im laufenden Haushaltsjahr noch mal heftige Einsparungen in der Öffentlichkeitsarbeit, was grundsätzlich völlig sinnlos ist, weil es am Ende zu weniger Einnahmen führt. Was die Personaleinsparungen anbelangt, ist es noch nicht ausgemacht. Bis 2026 sollen stadtweit 500 Stellen eingespart werden. Der Geschäftsbereich Kultur muss wie alle Bereiche der Stadt­verwaltung die Sparquote erfüllen. Man wird also Aufgaben streichen müssen. Es wird immer versucht, das unter den Teppich zu kehren, aber: Wenn Gelder und Stellen gestrichen werden, wird das Konsequenzen haben. Dann wird der Service schlechter werden, dann werden bestimmte Sachen nicht mehr machbar sein. Sparflamme eben. Und das wirklich Ärgerliche daran ist: Würde man unser Budget in der Tafelhalle nur ein bisschen anheben, uns etwas umsatzunabhängiger machen, die Kulturausgaben weniger als Subvention und viel mehr als Investition begreifen, könnten wir echt was bewirken für die Strahlkraft der Stadt. Die freie Szene und wir als Haus haben das Potenzial. Wir sind da und sofort bereit – da wäre wirklich was zu erreichen!

Euer Ansatz, nachhaltiger zu produzieren, zeigt sich auch im re:festival für Wiederaufnahmen, in diesem Jahr aus 2015.
Die freie Szene hangelt sich meist von Neuproduktion zu Neuproduktion. Die werden dann nur wenige Male aufgeführt und vorbei. Nächste Produktion. Das ist absolut nicht nachhaltig. Mit dem Festival können wir der bundesweiten Szene die Möglichkeit geben, sich über Produktionen, die zurückliegen, noch einmal Gedanken zu machen: Was sagen die heute noch? Empfinde ich das noch als aktuell oder heute sogar noch relevanter? In diesem Jahr haben wir uns 2015 vorgenommen, weil das in politischer Hinsicht schon eine Zeitenwende war. Da lohnt es sich nochmal hinzuschauen.

Habt ihr das Gefühl, es ist schwieriger, das Publikum zu überreden, Dinge anzuschauen, die ja schon mal gelaufen sind?
Das Publikum springt viel mehr auf Neues an. Ich verstehe das nicht. Wir lieben Vintage in jeder anderen Facette unseres Lebens, aber da tun wir plötzlich so, als würden wir merken, dass es kein brandneues Stück ist. Warum soll neu denn immer besser sein? Nicht immer nach dem Neuen jagen, dafür aber wirklich neugierig bleiben. Das wäre schön.

Was uns zu eurer anderen neuen Reihe Ins Blaue bringt.
Ja. Das ist der Versuch, für diejenigen etwas anzubieten, die leicht überfordert sind von der breiten Auswahl an Kulturveranstaltungen. Wir sagen mit dieser Reihe: Die Tafelhalle ist ein Ort, da könnt ihr sicher sein, ihr kriegt qualitativ hochwertige Kunsterlebnisse unterschiedlichster Sparten und Ausprägungen. Ihr bekommt einen Überraschungsabend, der auf jeden Fall etwas Tolles liefert und ein Glas Sekt ist auch noch dabei. Ob es dann ein Theaterstück, eine Lesung, ein Konzert oder eine Performance ist … da überraschen wir euch. Gerade für Sparten, die als schwieriger wahrgenommen werden, wie zeitgenössischer Tanz oder Performance, kann das enorm gut funktionieren und Menschen begeistern, die sich das nie selbst ausgesucht hätten. Um Hemmschwellen und Berührungsängste mit darstellender Kunst abzubauen, gibt es bei uns jetzt auch Perlentauchen.

Was ist das?
Das ist ein Vermittlungsformat. Wir versuchen, uns wirklich wieder damit auseinanderzusetzen, was ist Zuschauen eigentlich? Und wie können wir es den Zuschauenden vor und nach dem Stück leichter machen, das Gesehene zu verarbeiten? Es gibt das Eintauchen, also die Vorbereitung auf den Theaterabend. Da haben wir zum Beispiel mal eine Entspannungsmeditation gemacht, um den Stress vom Arbeitstag loszuwerden und wirklich im Theater anzukommen. Oder wir haben im Bühnenraum gezeigt, wie Theaterlicht funktioniert. Es ist immer anders. Nach dem Stück kommt das Auftauchen, wo man vielleicht aufarbeitet, was da thematisch gerade passiert ist, oder wir bieten den Rahmen, das die Menschen untereinander ins Gespräch kommen. Einmal haben wir ein Lagerfeuer vor der Tafelhalle gemacht und dann sitzt man da erst mal zusammen. Es geht darum, Vertrauen herzustellen, dass das ein Ort ist, wo man eine gute Zeit hat und wo man wirklich etwas erlebt und teilhat.

Müsst ihr bei Ins Blaue, wenn Menschen mit etwas Unbekanntem konfrontiert werden, mit Triggerwarnungen arbeiten?
Wir haben damit angefangen, aber die Triggerwarnung ist ein Fass ohne Boden. Auf unserer Homepage gibt es eine Trigger-Unterseite, da sind die Produktionen dann entsprechend getaggt. Vor Ort machen wir es wirklich nur bei körperlichen Sachen wie Stroboskop oder wenn es sehr laut wird. Wir diskutieren darüber aber auch intern, weil das ja auch eine Form der Vorwegnahme ist. Und ich würde hart streiten, ob Theater immer ein Safe Space sein muss. Weil Kunst natürlich auch die Aufgabe hat, etwas mit dir zu machen, dich vielleicht auch mal aufzuwühlen. Das ist nicht nur positiv.

Was ist unabhängig von diesen besonderen Formaten wichtig in der kommenden Spielzeit?
Nach dem Festival haben wir mit dem Brachland-Ensemble, Cutty Shells und Henrik Kaalund wieder spannende Eigenproduktionen, die in diesem Jahr sehr viel um Mensch und Technologie kreisen werden. Gesellschaftlich relevante Themen spiegeln sich natürlich in den Arbeiten der Künstler:innen. Kulturpreisträgerin Eva Borrmann wird die letzte Arbeit innerhalb ihrer Impulsförderung zeigen. Da geht es um Esoterik und Kitsch. Premiere ist am 9. November.
Wir freuen uns sehr über das 10 Jahre NUEJAZZ-Jubiläumskonzert mit dem European Jazz Companions Orchestra, einer jungen deutsch-französischen Bigband, am 21. Oktober. Mit David Lodhi und dem Club Stereo haben wir eine neue Reihe mit bis zu vier Abenden, wo in der Tafelhalle auch mal wieder getanzt werden darf und das ensemble KONTRASTE hat ein aufregendes Klassik-Programm der Extreme unter dem Motto Gegen den Strich aufgelegt.
Im Frühjahr planen wir für alle Sparten eine Kreativmesse. Hier soll sich die Nürnberger Creative Crowd vernetzen können - Haltet euch das erste Maiwochenende frei! Und wir werden wieder ein EveryBody-Weekender für mixed abled Tanz und Performance mit internationalen Gästen haben. Denn Inklusion bleibt für uns weiterhin zentrales Thema.

Was möchtest du auf der Bühne sehen, um weggeblasen zu werden?
Ich sehne mich ganz oft nach dem Einfachen. Ich mag die ganz simplen Sachen, wo gar nicht so viel Materialverschleiß auf 1000 Ebenen stattfindet. Wir hängen teilweise in einer Nachahmung der Netflix-Ästhetik fest und buttern ganz viel rein, raus kommt dann irgendwie nur highend Atmo. Ich vermisse oft die echte thematische Tiefe und den dionysischen Rausch. Was mich dann letztes Jahr bei uns am meisten berührt hat, war das Solo Un Amor oder Die Erfindung meiner Mutter von Eva Borrmann mit einem tollen Text von Urs Humpenöder. Das packt einen, das ist ästhetisch aber auch total konsequent und hat tolle Bildelemente. Und das schafft es, mit sehr wenig Einsatz zu berühren und aufzuwühlen. Am 23. November zeigen wir eine Wiederaufnahme. Würde ich mir nicht entgehen lassen.

Wie oft macht man sich in deiner Position unbeliebt oder begibt sich in Konflikt mit der freien Szene, die sagt "Ihr seid für uns da, wann darf ich jetzt endlich mal auf diese Bühne?"
Prinzipiell will ich Dinge möglich machen, muss aber auch das Ganze im Blick behalten, auf die Ressourcen schauen und Entscheidungen treffen. Alle können einfach nicht vorkommen. Also sich unbeliebt zu machen, gehört dazu und ich finde, der Ton macht die Musik. Vom Prinzip her haben wir gerade ein sehr gutes Klima miteinander. Und ich glaube auch und hoffe, dass wir so wahrgenommen werden: Uns kann man immer anschreiben oder anrufen und wenn wir bei einer Einreichung merken, das wird bei uns nichts, dann machen wir uns Gedanken, wo das vielleicht möglich wäre und reichen das weiter. Und andersherum lassen wir uns auch gerne Sachen empfehlen.

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Tafelhalle

Friederike Engel   ist Theater-, Medien- und Literaturwissenschaftlerin. Sie war Dramaturgin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Theater Münster und am Staatstheater Nürnberg und arbeitete für verschiedene Festivals, u.a. für die Internationalen Gluck-Festspiele und den Heidelberger Stückemarkt. Friederike Engel ist regelmäßig als Dozentin tätig, moderiert und schreibt. Seit 2020 ist sie künstlerische Leiterin der Tafelhalle im KunstKulturQuartier Nürnberg.




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