"ROUTINE HILFT GEGEN LAGERKOLLER", so die KINDERPSYCHOTHERAPEUTIN

DONNERSTAG, 19. MäRZ 2020

#Corona, #coronasucks, #Erziehung, #Familie, #Interview, #Kinder

curt im Gespräch mit Britta Kolberg, Kinderpsychotherapeutin. Hurra, hurra, die Schule ist zu. Was sich für viele Kids nach unerwarteten Ferien anhört, bedeutet für Eltern momentan zusätzlichen Betreuungsaufwand und, ja, Stress. Was kann man tun, um sich als Familie daheim sinnig und spaßig miteinander zu beschäftigen, anstatt sich den Schädel einzuhauen? Wir haben bei Britta Kolberg nachgefragt, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Fürth.

Viele Eltern sind jetzt mit ihren Kindern daheim. Wie erkläre ich gerade kleinen Kindern, warum, ohne ihnen dabei Angst zu machen?

Unserer Einschätzung nach ist es am besten, das den Kindern so offen und ehrlich wie möglich zu erklären, natürlich mit kindgerechten Worten. Außerdem sollte man überprüfen, was die Kinder schon selber wissen, was sie aus ihrem Umfeld mitbekommen haben. Wenn man merkt, da gibt es teilweise falsche Vorstellungen, sollte man die berichtigen. Mit etwas älteren Kindern kann man auch gut gemeinsam nach seriösem Wissen schauen, zum Beispiel der Homepage des Robert-Koch-Instituts. Alles offen und ehrlich aber Ruhe dabei bewahren. Ich würde auch die Schutzmaßnahmen, an die wir uns jetzt halten, gut erklären und natürlich selbst als Vorbild agieren: Wie macht man das nochmal mit dem Händewaschen …?

Daneben halte ich es für wichtig, einen strukturierten Tagesablauf und Routinen beizubehalten. Wenn sich ganz viel ändert, sorgt das für Sicherheit.


Was ist der beste Tipp gegen Lagerkoller und die Langeweile?

Grundsätzlich alles, was an positiven Aktivitäten machbar ist: Ganz viel Bewegung, möglichst Sport, wenn das geht, frische Luft gehört dazu. Man kann sagen, alles was gerade gut tut und den allen Familienmitgliedern Spaß macht. Die Gesellschaftsspiele, für die man sonst keine Zeit hat, Basteln, Backen, gemeinsame Projekte in Haus und Garten. Wir haben zum Beispiel eine Limobar aufgebaut und bemalt. Das sind teilweise Sachen, für die man im Alltag sonst nie Zeit findet.

Dabei sollte, wie gesagt, die Tagesstruktur nicht den Bach runter gehen. Es ist wichtig, einen Wechsel zu finden zwischen gemeinsamen Aktivitäten und Ruhephasen, in denen die Eltern etwas arbeiten können und die Kinder vielleicht Hausaufgaben machen. Auch feste Schlafenszeiten, feste Essenszeiten - dass solche Routinen nicht durcheinander geraten ist gegen Lagerkoller wichtig. Indem man außerdem geistige Herausforderungen sucht, sorgt man dafür, dass die Kinder auch mental ausgelastet sind.

 

Gibt es Produkte, die Sie wärmstens empfehlen können, also: Bücher, Fernsehsendungen, Online-Angebote, ...?

Der WDR hat grundsätzlich tolle Angebote, die Sendung mit der Maus läuft ja jetzt täglich oder andere Wissenssendungen wie PUR+. Darauf kann man guten Gewissens zurückgreifen. Man kann sich auch ein Videospiel herunterladen, das man schon lange spielen wollte. Natürlich kein Aggro-Spiel, sondern ein Schönes, mit dem es einem auch gut geht. Auch so etwas kann man gemeinsam spielen und da würde ich die Zeitgrenzen jetzt auch nicht mehr so eng sehen.

Bücher sind grundsätzlich etwas Tolles. Es gibt auch ganz viele gute Knobel- und Rätselbücher, Bastelbücher mit Anregungen für Familien. Ich würde aber auch die Sozialen Medien nicht verteufeln. Das ist jetzt auch wichtig, um mit Freunden und Klassenkameraden in Kontakt zu bleiben.

 

Was können Eltern machen, deren Kinder großen Bewegungsdrang haben und die sich nicht lange auf ein Buch, eine Fernsehsendung, ein Spiel konzentrieren können?

Wenn man noch die Möglichkeit hat, in den Garten zu gehen, kann man da kreativ werden und zum Beispiel Parcours aufbauen. Wenn man wirklich auf die Wohnung begrenzt ist, muss man gut überlegen, wie man dort Möglichkeiten schaffen kann. Ich kann mir gut vorstellen, als Familie Workouts mit Übungen mit bestimmter Dauer durchzuführen, regelmäßig und jeden Tag: Hampelmann, Kniebeugen, solche Sachen. Solange es möglich ist, würde ich aber rausgehen, an die frische Iuft. Ideal ist es, wenn man ein Trampolin im Garten hat. Oder man veranstaltet kleine Wettrennen. Alles, wo man als Familie gemeinsam Bewegung stattfinden lässt, wirkt auch gut gegen Angst und Wut und Anspannung. Davon so viel wie möglich.

 

Wie kann man der Situation als Familie vielleicht etwas Gutes abgewinnen?

Natürlich ist es jetzt so, dass alle Termine wegfallen. Man hat also Zeit, sich auf sich als Familie zu konzentrieren. Das ist im Alltag sonst nicht so der Fall, wenn jeder seiner Wege geht. Mein Sohn hat sich zum Beispiel schon lange gewünscht, mal wieder Monpoly zu spielen und ich habe ihm immer gesagt, das dauert stundenlang, dafür habe ich jetzt keine Zeit. Jetzt ist die Zeit da. Da sehe ich jetzt schon eine Chance. Wobei ich das natürlich nicht schön reden möchte: Es ist emotionale Belastung für alle, auf so engem Raum zusammenzuhocken und deshalbt auch wichtig, sich Freiräume zu schaffen.

 

Worauf müssen die Eltern bei ihren Kindern denn jetzt achten, gibt es so etwas wie Alarmsignale?

Das kann man pauschal nicht sagen, weil jeder seine Gefühle anders ausrückt. Es ist aber grundsätzlich wichtig, dass man offen und ehrlich miteinander spricht, auch über die eigenen Gefühle und nachfragt, wie es den Kindern geht. Es ist voll in Ordnung zu sagen, jetzt brauche ich eine Pause, gib mir mal eine halbe Stunde und dann treffen wir uns wieder. Das geht natürlich nur, wenn die Kinder in einem Alter sind, in dem sie das verstehen.

Es ist immer damit gewonnen, wenn man als Erwachsener einerseits seine eigenen Gefühle ausdrückt und sich andererseits für die seines Kindes interessiert und Verständnis zeigt. Wenn das Kind genervt und wütend ist und sagt, mich kotzt es an, dass ich meine Freunde nicht sehen kann, sollte man beispielsweise sagen, das kann ich total gut nachvollziehen, mir geht es ähnlich. Wir können es nicht ändern, aber ich verstehe dich. Und dann kann man gemeinsam schauen, wie man die Situation besser gestalten kann. Oft haben die Kinder da selbst ganz kreative Ideen.


Sollte man jetzt umgehend versuchen, am Lernstoff dranzubleiben oder das ganze erstmal als gewonnene Ferienzeit ansehen?

Was ich ja schon gesagt habe, ist, dass ich einen geregelten Tagesablauf wichtig finde. Es sollte feste Lernzeiten geben, zum Beispiel eine am Vormittag, dann Pause und dann nochmal eine danach. Das gibt Sicherheit, weil es an gewohnter Routine festhält, das brauchen die Kinder gerade ganz stark. Zum anderen hilft es dabei, uns mental auszulasten, was uns auch einfach gut tut.

Natürlich ist es aber total individuell, wie Kinder das bewerkstelligen. Manchen fällt es leicht, es gibt aber auch Familien, wo das zu Konflikten führt, dass zu Hause gelernt werden muss. Da muss ich schauen, was kann man leisten und mir dann keinen Stress machen, wenn nicht alles hundertprozentig erledigt ist. Also: Ja, ich würde etwas für die Schule machen, in welchem Umfang ist aber davon abhängig, was die Familie leisten kann.




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