Dem Egers sei Welt #75: Es gut mit jemandem meinen

DONNERSTAG, 29. AUGUST 2019

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Die Mutter sprach oft davon, dass sie sich aufopfern würde. Sie sagte mir, ihrem einzigen Sohn, dass sie keinen anderen Wunsch im Leben habe, als den, alles zu tun, damit es mir wohl ergehe. Die Frau mit dem großen Herzen offenbarte ihre Lebensabsicht in einem Ton, als würden dabei Dornen tief in ihre Stirn stechen.

Der Schmerz im Klang rührte von der Befürchtung, dass man ihren guten Willen und ihre Selbstlosigkeit in Abrede stellen könnte. Oft sagte die Mutter, dass sie es doch nur „gut meine“. Unbedingt verhindern wollte sie, dass ich ihrem Handeln irgendetwas anderes unterstellte. Das Bemühen der Mutter erreichte aber das Gegenteil und machte mich misstrauisch.

Die Mutter sagt auch oft: „Betrübe Dich nicht. Für Dich ist einmal gesorgt.“ Wie ein großer Mühlstein war dieser Satz mit einer schweren Kette um meinen Hals befestigt und zog mich hinab in die bodenlose Finsternis des Zweifels und des mangelnden Selbstvertrauens. Ich sah den ungeschickten dummen Prinzensohn, wenn ich mich im Spiegel betrachtete. Zwei linke Hände hatte ich. Dünne Haut und dünne Knochen wurden vom Fett des Müßiggangs und der vollständigen Nutzlosigkeit kaschiert. Meine sämtlichen Bemühungen waren nichts weiter als kurzatmige Witze. Für mich war gesorgt bis an mein Lebensende. Alle Bemühungen irgendetwas zu tun oder zu erlernen, führten nicht weit und endeten schnell in Sackgassen. Wie ein Kind, das überhäuft war mit einer riesigen Auswahl an Spielzeugen, war jedem Interesse nur eine kurze Dauer und Halbherzigkeit beschieden. Allein mit den besten Absichten würde es dem tragischen Vogel niemals gelingen, das goldene Nest zu verlassen. Öffnete er nur kurz den Schnabel und piepte, wurde ihm schon ein Wurm in den Rachen geschoben. Schlucken hatte er gelernt. „Ich möchte nicht mehr, dass es jemand mit mir gut meint“, sagte ich mit schwachem Mut zu der Mutter. Die Mutter nannte mich undankbar und hüllte sich in das schwere Tuch des Falsch-verstanden-Seins. Freilich gelang es mir nicht, mich aus der innigen Umarmung zu befreien. Die Mutter konnte nicht ablassen vom innigen Wunsch, dass ihr jemand dankbar wäre für ihr gutes Tun.

Neben der Gängelei meiner Person galt das Augenmerk der Mutter finanziell schwach gestellten Personen, die sie in der Umgebung ausfindig machte. Diese Personen unterstützte sie, indem sie Kleidung, Möbel und Diverses, grob gesagt, umverteilte. Um ein Beispiel zu sagen, transportierte die Mutter nicht mehr benötigte Kleinkinderbekleidung ungefragt in Haushalte, die nach ihrer Ansicht der Unterstützung bedurften. Nichts wollte sie haben für ihren Einsatz. Einen regelrechten Tanz führte sie auf, wenn jemand fragte, was er ihr schulde. Sie drehte und überschlug sich in der Darstellung der absichtslosen Reinheit ihres Tuns. Einer Eingebung sei sie gefolgt, wie die Zugvögel dem Weg in den Süden folgen. Nichts erwarte sie. Ihren Lohn sah sie nur darin, eine Annehmlichkeit bereitet zu haben.

Eines Tages hatte ihr Drang zur Güte sie gezwungen, der Mutter eines kleinen Mädchens aus einer Unpässlichkeit zu helfen, in dem sie dem Kind für ein paar Stunden Obhut gewährte. Doch die unübersichtlichen Obliegenheiten der Mutter hatten es ihr nicht selbst erlaubt, mit dem Menschlein Zeit zu verbringen. Die Wege der Mutter waren verschlungen und unergründlich. All ihr Tun und ihre rätselhafte Raserei dienten einem höheren Zweck, der nur ihr allein einsichtig war. Aus Gründen übergeordneter Verpflichtungen sollte ich deshalb um das Wohlergehen des zarten Wesens Sorge tragen.
Das empfindsame Kindlein trug ein hellblaues Kleid, auf das ein kleiner Vogel in Brusthöhe draufgestickt war. Artig stellte es sich mir vor und sagte: „Ich heiße Sabine, wohne in der Rosenstraße 8 und bin 4 Jahre alt .“ Dazu reichte sie mir die kleine Hand, und ich schüttelte sie mit freundlicher Bedachtsamkeit. Die Mutter sah das gern und entschied, uns beide einem holden Schicksal überlassen zu dürfen und rauschte von dannen. Die Haustür schepperte. Dann war ich mit dem Mädchen allein. Freundlich sagte ich zu ihr: „In dem Augenblick als Du dich vorgestellt hast, befand ich mich in Gedanken ganz woanders. Wärst Du so gut und würdest das alles noch einmal für mich wiederholen?“ Nichts lieber als das wollte das Mädchen tun und sie sagte: „Ich heiße Sabine, wohne in der Rosenstraße 8 und bin 4 Jahre alt .“ Stolz hatte sie ihre Angaben wiederholt und freute sich, das Werkzeug der Sprache in sinnvoller Weise benutzen zu können. Während sie den Satz wiederholt hatte, begann ich meine Stirn zu runzeln, die Augen zusammenzudrücken und mein Ohr übertrieben in die Richtung ihres kleinen Mündchens zu bewegen. Dann schüttelte ich entschieden meinen Kopf und sagte: “Meine Ohren sind heute anscheinend noch nicht ausgeschlafen. Ich glaube ich habe mich verhört. Heißt Du mit dem Vornamen tatsächlich „Stuhlbein“?“ Das Mädchen lachte ein fröhliches Lachen und schüttelte ihren kleinen Kopf. „Ich heiße doch nicht Stuhlbein“, sagte sie amüsiert. „Wärst Du dann so gütig und würdest mir bitte noch einmal laut und deutlich Deinen richtigen Namen und die anderen Sachen sagen“, fragte ich darauf. „Ich heiße Sabine, wohne in der Rosenstraße 8 und bin 4 Jahre alt.“ Ganz froh sagte sie das, und es erschien ihr ganz und gar nicht blödsinnig, den Satz wiederholt zu haben. Ich nickte mehrere Male mit dem Kopf, senkte denselben immer tiefer und brummte vieldeutig dabei. Dann sagte ich streng zu dem Mädchen: „Das stimmt ja hinten und vorne nicht, was Du da erzählst. Deine Aufzählung ist leider komplett durcheinander geraten. Deine Gedanken sind zerzaust wie Haare vom kalten Mistral. Mit dem Kamm der Logik müssen wir jetzt die Unordnung aus der Frisur wieder herauskämmen und den irrigen Quatsch vertreiben.“ Die kleine Sabine sah mich mit großen Augen an. Ich fasste sie bei den Händen und munterte sie auf: „Was Du sagst ergibt keinen Sinn. Manche Wörter sind durch einen Irrtum an die falsche Stelle gerückt. Hör mir genau zu was ich Dir jetzt sage: Es ist einfach verkehrt und unlogisch, wenn Du behauptest: Ich heiße Sabine. Es muss heißen: Ich heiße vier Jahre alt. Bitte spreche mir gleich nach, damit der Fehler sofort verschwindet.“ Das Mädchen sagte darauf: “Ich heiße vier Jahre alt.“ Auf mein Geheiß hin wiederholte sie es einige Male. Anfangs sperrte sie sich noch gegen die sprachliche Unterweisung. Ich war oftmals gezwungen sie mit leichter Strenge zu ermahnen. Immer wieder sprach sie den neuen Satz bis er ihr leicht über die Lippen kam. Dann erfolgte die nächste Lektion. „Ich wohne in der Rosenstraße 8 ist großer Quatsch. Kein normaler Mensch behauptet so eine Verrücktheit“, sagte ich und erhob milde lachend den Zeigefinger. „Natürlich muss es heißen: Ich wohne in der Sabine.“ Einige Male sprach ich ihr den neuen Satz vor und forderte sie auf mir nachzusprechen, bis sie ihn fehlerfrei und im Brustton der Überzeugung sagen konnte: „Ich wohne in der Sabine!“ Zuletzt brachte ich ihr noch bei, klar und deutlich festzustellen: „Und ich bin Rosenstraße 8.“ Immer wieder wiederholte sie, meinen stetigen Aufforderungen entsprechend, die einzelnen Sätze. Zu guter Letzt setzten wir alles zu einem ganzen und neuen Satz zusammen. „Ich heiße vier Jahre alt, wohne in der Sabine und bin Rosenstraße 8“, sagte sie mit roten Backen und Ohren. Ich selbst hatte auch errötete Ohren und Backen. Das Erlernen des neuen Satzes hatte auch mich aufgeregt und angestrengt. Insgesamt hat die Übung wohl mehrere Stunden in Anspruch genommen.

Dann schepperte die Haustür. Die Mutter war zurückgekehrt. Man konnte es nicht überhören. Wie ein Wind fuhr sie ins Zimmer, in dem ich mit dem Mädchen an dem neuen Satz geübt hatte. „Ihr amüsiert Euch ja offensichtlich prächtig, meine lieben Kinder. Keine Spur von Langeweile ist in Euren frohen Gesichtern zu erkennen“, sprach die Mutter und entglitt durch eine Tür, nur um kurze Zeit später durch eine andere wieder zu erscheinen und zu verlautbaren: „Es ist spät. Ich habe die Zeit vollkommen vergessen. Deine Mutter wird sich schon Sorgen machen. Schnell Sabine, nimm Dein Mäntelchen, verabschiede Dich vom Matthias und bedank Dich bei Ihm, dass er so schön mit Dir gespielt hat.“ Sabine glühte noch im Gesicht, sie hatte Mühe ihr Jäckchen zu finden. Ihre Hand war heiß. Zur Verabschiedung gab ich ihr meine Hand und spürte die Erhitzung. Im Kielwasser der geschwinden Mutter wurde das zarte Kindchen aus dem Haus geschwemmt.

Als meine Mama und ich später die Teller vom Abendessen abtrugen, klingelte das Telefon. Sabines Mutter sprach am anderen Apparat. Sie gab an, dass die Tochter ganz durcheinander sei und Sachen spräche, die nicht nachvollziehbar wären. Von meiner Mutter wolle sie wissen, ob etwas vorgefallen wäre. Ich war im selben Raum, als die Mutter telefonierte. Sie wiederholte die Frage ins Zimmer hineinsprechend und sah mich dabei an. Ich hob und senkte kurz die Schultern und schüttelte den Kopf nach rechts und links. Soweit sie wüsste, sagte meine Mutter, hätten sich die Kinder prächtig amüsiert ohne sich auch nur einen Moment zu langweilen. Nach dem die Mutter das Gespräch beendet und den Hörer aufgelegt hatte, sagte sie mehr als dass sie mich fragte: „Die Sabine und Du, Ihr habt Euch doch prächtig verstanden. Ihr habt doch schön miteinander gespielt. Ihr habt Euch doch kein bisschen gelangweilt die ganze Zeit. So eine Undankbarkeit. Da nehm’ ich der Frau die Tochter ab, um sie zu entlasten und als Dank werden mir Vorwürfe gemacht. So eine Frechheit hab ich wirklich noch nicht erlebt.“ Ich schüttelte wieder meinen Kopf ganz sachte nach beiden Seiten und schmiegte mich ganz nah an die Mutter. Sie kraulte ganz sanft meinen Nacken und ich genoss das angenehme Prickeln, das ich bis unter die Haut spürte.


DER SEPTEMBER MIT EGERS ...    
Mit seinem neuen Programm „Ein Ding der Unmöglichkeit“ bespaßt der Egi am 12.09. das JUZ in Eckental. Und am 13.09. liest er im Hugendubel in Fürth aus seinem neuesten Buch „Vorstadtprinz“.
Infos und noch mehr Termine, jedoch weiter weg: www.egers.de





 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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