Dem Egers sei Welt #63: Die Lateinlehrerin

MONTAG, 2. APRIL 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne, #Kultur

Ihrer Aura haftete die Zeitlosigkeit einer Eisenbahnschiene an. Denk-bar ist auch, dass auf den Regalböden ihres Geschirrschrankes unter den Tassen und Tellern Geschenkpapiere mit Blumenmotiven ausgelegt waren. Ihre Haarfarbe wechselte im Licht zwischen sandfarben und einem fröhlichen Grau. An einem Gründonnerstag vor siebzehn Jahren war ihr beim Lachen ein Stiftzahn aus der oberen Zahnreihe gefallen. Seitdem hielt sie sich bei Bekundungen des Amüsements vorsorglich zurück.

Ihre Handschrift war von einer sportlichen Rundlichkeit geprägt und die Buchstaben zeichneten sich außerdem durch eine leichte Neigung nach rechts aus. Sie drückte die Feder des Füllers nie fest auf das Papier. Ihre Kleider waren leicht und in gedeckten Farben gehalten. Ihr ständiger Begleiter war eine Handtasche. Die Schreibstifte darin befanden sich in einem karierten Etui. Eine kleine silberne Dose mit schwarzen Halspastillen und ein Stofftaschentuch mit einer aufgenähten Rose lagen immer griffbereit. Ein kleiner Zettel wurde auch in der Tasche aufbewahrt, den der Mann der Lateinlehrerin einmal auf dem Küchentisch zurückgelassen hatte und der in aller Kürze die Begrifflichkeiten Glück und Liebe charmant zusammenfinden ließ. Ihre Stimme war mild wie ein Mühlbach und sie blickte einen an mit den Augen einer Schönwetterwolke.

Wie bei allen Lehrern, die den Versuch unternahmen, mich zu unterrichten, zielte mein ganzes Bestreben auch gegenüber der Lateinlehrerin darauf, ihre persönliche Sollbruchstelle zu finden. Ich war von einer inneren Unruhe erfasst und bemühte mich in leichter Besessenheit wie einer, der mit allen Mitteln die Erdanziehungskraft reduzieren möchte. Mit regelmäßigen Provokationen und absichtlichem Falschverstehen, Verdrehungen des Sinns und dem Entzünden von Witzchen wollte ich die gefasste Person in Rage bringen und die Lautstärke ihrer Stimme zumindest einmal drastisch erhöhen. Sie schmolz meinen destruktiven Eifer wie ein Fön einen Eiswürfel. Ich blubberte noch ein wenig aufgeregt und dann war ich erledigt ohne Loch im Kopf oder Stich ins Herz und übersetzte geduldig vom Lateinischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Lateinische.

Eines Tages übersetzten wir „Das Gastmahl des Trimalchio“ von Petronius Arbiter. An einer Stelle endete der Text abrupt. Danach kam eine Reihe von Punkten. Und erst nach dieser Leerstelle ging der Text weiter. Ich fragte die Lehrerin, warum an dieser Stelle der Text unterbrochen sei und wollte von ihr wissen, ob denn der ursprüngliche Text nicht vollständig überliefert wäre. Sie antwortete mir darauf, dass das „Satyricon“ des Petron, aus dem dieser Ausschnitt stamme, in der Tat nur fragmentarisch erhalten sei. Dann setzte sie ein mildes Lächeln auf, so als würde sie einen kleinen Tropfen Sahne in eine Teetasse fallen lassen und in aller Ruhe warten, wie sich die verschiedenen Flüssigkeiten vermischen, und ergänzte ihre Ausführung mit dem Hinweis, dass im Original die Geschichte an dieser Stelle freilich erhalten wäre und weiter erzählt würde, aber aus Gründen von Drastik und Schilderungen von expliziten Details nicht mehr jugendfrei und deshalb in einem Schulbuch nicht abgedruckt wäre. Erst viel später wurde mir bewusst, dass die gefasste Frau sehr genau wusste, welche Sätze da ausgelassen wurden. Sie hatte alles gelesen, übersetzt und ausgekostet. Sie genoss den Triumph ihres Wissens ganz bescheiden und sanftmütig. Jahre später begriff ich, dass sich die Lehrerin sehr leidenschaftlich mit der lateinischen Sprache und Zeit beschäftigte und sich darin eine Unabhängigkeit zu den Geschehnissen im Unterrichtsbetrieb erhielt.

In der letzten Stunde der elften Klasse vor den großen Ferien fragte uns dann die Lateinlehrerin, für welche Leistungskurse wir beabsichtigten, uns in der Kollegstufe einzutragen. Ich hatte schon sehr lange über diese Frage gegrübelt. Immer schon war ich geplagt gewesen von einer naturwissenschaftlichen Legasthenie. Diese vollständige Humorlosigkeit und kompromisslose Eindeutigkeit von Zahlen und Formeln hatte mich schon von Anbeginn meiner Schulzeit verschreckt und sämtliche Berechnungen waren immer im Nebulösen geblieben. Meine Stärke im Schulfach Latein war aber auch kein wuchtiger Eckschrank mit Intarsien verzierten Türchen, sondern eher ein gestrickter Wandschmuck, der bei einer Alkoholentziehungskur in der Basteltherapie unter äußerster Anstrengung verfertigt worden war. Mein Spielraum bei der Wahl der Leistungskurse war nicht groß. Auch im Englischen schwante mir ein Waterloo mit erbärmlicher Pronounciation. Der Deutsch-Leistungskurs blieb eine ferne Illusion, weil Rechtschreibung und Interpunktion ein unlösbares Rätsel blieben. Mit fester Stimme sagten meine Klassenkameraden nach der Reihe ihre Kurse, für die sie sich entschieden hatten. Dann sollte ich meine Wahl verkünden. Wie ein Ritter mit Lanze auf dem schnaubenden Ross sagte ich: „Kunst werde ich wählen.“ Und fügte halblaut hinten dran: „Und Latein nehme ich dann als zweiten Leistungskurs.“ Als die Lateinlehrerin dies vernahm, wurden ihre Augen groß. Ihr Mund öffnete sich weit und ein lautes Lachen erschallte, das man der zarten Person gar nicht zugetraut hätte. Ihr ganzer Leib wurde geschüttelt von dem Gejauchze. Es dauerte seine Zeit, bis sie sich wieder erholt hatte. Mit ihrem Stofftaschentuch wischte sie sich die Tränen von den Augenrändern und Wangen.

Den Latein-Leistungskurs leitete dann niemand anderes als eben jene Frau mit der Handtasche. Sie lachte aber nicht, als sie meiner in dem Leistungskurs ansichtig wurde und duldete meine sparsamen Kenntnisse mit einer milden Freundlichkeit.

Nicht unerwähnt möchte ich an dieser Stelle die seltsame Verwirbelung und Verdrehung von Tatsachen lassen, die dazu führten, dass ich kleines Bremslicht des Leistungskurses sogar eine Zeit lang Nachhilfe in der alten Sprache gab. Ein junges Mädchen traf sich einmal in der Woche mit mir, um besseren Halt auf dem Geröllfeld des Lateinischen zu finden. Was ich der Schülerin ermöglichte, war ein unverstellter Blick in einen gähnenden Abgrund aus Unvermögen und Unkenntnis. Unerklärlich dabei war der Umstand, dass die Wandertipps eines Beinlosen auch noch von den Eltern finanziell honoriert wurden. Ich selbst konnte es nicht fassen, dass man mir tatsächlich echtes Geld überreichte. Die Konfrontation der jungen Dame mit einem Mitglied des Latein-Leistungskurses und dessen wüstenbreiter Unkenntnis verfehlte aber nicht seine Wirkung. Ich glaube, ich habe der Frau mit meiner kompletten Untauglichkeit einen derartigen Schrecken eingejagt, dass sie aus einer tiefen Angst heraus konzen-
triert gelernt hat. Ihre Zensuren verbesserten sich jedenfalls.


UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM APRIL?
Mit seinem Dauerbrenner-Programm Ein Ding der Unmöglichkeit läuft er sich die Hacken von Berlin bis München und Worms bis Zwickau ab – lässt aber diesen Monat seine fränkische Heimatregion einfach links liegen.
Ganz im Gegenteil zum 17. April, denn da tritt er wieder als galanter Gastgeber bei Egersdörfer & Artverwan dte im Künstlerhaus zu Nürnberg in Erscheinung. Gäste werden u.a. der Kabarettist Horst Schulze Entrum sowie das Quartett Fo Latta sein, die, Achtung!,ausschließlich auf Oberpfälzisch singen. Vielleicht kommt ja ein Michael Köllner noch als Dolmetscher dazu?
Großes Kino dann am 22. April, denn da ist er zu Gast bei Puffpaff‘s Happy Hour auf 3sat – und somit multinational gleichtzeitig in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen. Wie macht der Tausendsassa das nur? Noch mehr unter www.egers.de.




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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