Dem Egers sei Welt #60: Der Affe von Frau Langstrumpf

FREITAG, 27. OKTOBER 2017

#Comedy, #E-Werk, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne, #Künstlerhaus, #Staatstheater Nürnberg

Sie ließ sich von niemandem etwas sagen. Weder der eigenen Mutter noch dem Vater gelang es jemals, dem Willen der Tochter auch nur den Hauch eines Etwas entgegenzusetzen. Die Lehrer, denen das Schicksal einen bösen Streich gespielt hatte, als sie mit der vermeintlichen Aufgabe betraut wurden, die hübsche Teufelin in der harmlosen Verkleidung der Schülerin zu unterrichten, hatten genau zwei Möglichkeiten. Entweder fügten sie sich widerspruchslos dem Diktat der Unbezwingbaren, oder sie wurden von dieser ganz einfach zwischen zwei wohlgeformten Fingern zerrieben.

Freunde und Freundinnen wurden bei unerlaubter Eigenwilligkeit schneller ihres Amtes enthoben, als eine Taube gurrt. Die Männer, die sie allesamt mit der opulenten Wirkmacht ihrer Schönheit hypnotisierte, bekamen an ihrer Seite eine Nebenrolle zugewiesen und ertrugen ihre Bedeutungslosigkeit wahlweise in Trunksucht, Sarkasmus oder einer Mischung aus beidem. Polizisten, Juristen, Pfarrer, Generäle und Beamte scheiterten zahlreich und oft an ihr. Ärzte, die meinten Medizin studiert zu haben, um Menschen im Krankheitsfall Linderung der Symptome und Heilung zu verschaffen, drehte sich diese Frau in den Kopf wie ein Weinöffner in den Korken. Sie war es, die den Ärzten Befunde und Behandlung diktierte. Als ein kleines Wunder dürfte man es ansehen, dass sie den Weißkitteln nicht den Rezeptblock aus der Hand riss und sich selbstständig die Medizin verschrieb.

Für Menschen, die nicht mit dieser Frau verwandt und auch nicht gezwungen waren, mit selbiger unter einem Dach zu wohnen, konnte diese Frau freilich ein fulminantes Ereignis darstellen wie ein plötzlicher menschlicher Wirbelsturm oder die Kurzfassung von Wagners Walküre mit tausend zusätzlichen Späßen. Mir persönlich fehlte manches Mal der Abstand zu diesen ausufernden Inszenierungen im öffentlichen Raum. Ich war das dritte und jüngste Kind dieser radikalen Regisseurin und gleichzeitigen Hauptdarstellerin. Meine beiden älteren Schwestern verkörperten ihrerseits zwei völlig konträre Haltungen gegenüber der Mutter. Opposition und Koalition. Blond und schwarz. Ich versuchte mich in einer Mischung aus beidem. In diesem unmöglichen Bestreben mag der Grundstein für meinen schon länger anhaltenden Irrsinn liegen. Aus dieser Gemengelage mag es auch begründet sein, dass ich nie übergroße Sympathien gegenüber Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf hegte. Auch mag man mir es nachsehen, wenn ich nicht ein glühender Verfechter von Frauenrechten und Gleichstellung bin. Ich habe mir oft gewünscht, dass mein Vater auch mal seine Meinung äußern hätte dürfen mit einer kleinen Möglichkeit der Relevanz.

Obwohl man meine Mutter als freies Radikal bezeichnen konnte, wurde ich von ihr in größter Angst und Sorge groß gezogen. Vielleicht ist das aber kein Widerspruch, sondern tatsächlich die Ursache. Niemand, der so resistent gegenüber anderen Meinungen und Warnungen und so ungehemmt und ungebremst durch die Weltgeschichte raste, wie meine Mutter, erkannte die Dimensionen der Lebensgefahren so zahlreich und detailliert. Meine Mutter fürchtete besonders Krankheiten, die mich, wenn nicht vernichten, so doch dauerhaft beschädigen könnten. Darüber hinaus gefährdeten aber auch alle erdenkbaren Stürze und Unfälle aus ihrer Sicht meine zerbrechliche Existenz. Von allem wurde ich ferngehalten, und wie durch ein Wunder verstarb ich nicht im zarten Kindesalter durch einen Wind, der mich unvorbereitet zerblies.

Plötzlich war ich in die Jugend gefallen, wie man eine Münze in einen Brunnen hineinwirft. Ich rutschte nicht mehr mit den Kinderfreunden am Boden herum und schob kleine Spielzeugautos an Teppichkanten entlang, sondern wir standen und saßen an Tischen und führten Gespräche und schnupperten im Vorbeigehen am Rauch von Zigaretten. Am Wochenende gab es Partys in den Kellerräumen von neugebauten Häusern. Neben den Häusern waren weite Flächen mit graubraunen Erdhügeln. Es war die ausgebaggerte Erde, die aus den Löchern stammte, in die sie die neuen Häuser hineingestellt hatten. Hinter der Haustür mussten wir unsere Schuhe ausziehen, weil der Boden neu war. Manchmal wurde ich zu einer Party eingeladen. Ich trank Bier und fragte mich, ob mir das schmeckte. Ich schaute ein Mädchen an und fragte mich, ob sie mir gefiel. Die Wirkung des Bieres und des Mädchens mischten sich angenehm. Ungefähr um 22 Uhr begann ich mich darauf vorzubereiten, von der Party abzuhauen. Die Mutter hatte gefragt, wohin ich gehen würde. Und ich hatte ihr die Adresse gesagt. Sie hatte mir befohlen, spätestens um 23 Uhr solle ich daheim sein, sonst hole sie mich ab. Ich hätte ihr eine falsche Adresse sagen können. Aber meine Mutter hätte herausbekommen, wo ich mich befand. Sie hätte so lange telefoniert, bis sie es wusste. Sie wäre in diesen Keller gekommen. Nichts hätte sie davon abgehalten. Sie ließ sich von niemandem etwas sagen. Ich wusste es. Ich haute vorher ab und versuchte, es ein bisschen geheimnisvoll und rätselhaft hinzudrehen.

UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM NOVEMBER?
„Bei Egersdörfers unterm Sofa“ heißt das neue Format, bei dem der Kabarettist mit seiner Partnerin Claudia Schulz (Carmen) zu Talk und Comedy ins Opernhaus einlädt. Auf der Bühne ist die Wohnung der „Egersdörfers“ aufgeschlagen mit Wohnzimmer, Küche, Bad und Klo.  Carmen kocht und Egersdörfer grantelt vor sich hin, man empfängt Gäste. Nach der Premiere im Mai geht es diese Spielzeit weiter mit Matthias Egersdörfer (Matthias Egersdörfer), Claudia Schulz (Carmen), Ottmar Hörl (Gast), Christine Prayon (Gast), WRONGKONG (Gäste). curt ist Medienpartner und mindestens in der Abstellkammer dabei! Nächste Termine, nächstes Jahr: 19. Januar und 16. Mai 2018.
Am 7. November gibt es auch wieder ein Egersdörfer & Artverwandte im Künstlerhaus Nürnberg, wie immer präsentiert von curt! Einen Tag später probt die fränkische Boy-Band Egersdörfer und Fast zu Fürth öffentlich für ihre „Fürchtet Euch nicht“-Tour in der Galerie Bernsteinzimmer. Nach einem Ausflug in die Umgegend ist der Virtuose der charmanten Ansprache am 29. November wieder zurück im E-Werk mit seinem neuen Programm Ein Ding der Unmöglichkeit. Wir auch. Noch mehr Egers unter www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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