Dem Egers sei Welt #62: Wiederaufbereitungsanlage

DONNERSTAG, 1. FEBRUAR 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne, #Künstlerhaus

Irgendwann in den 80er Jahren entstand dieser Gedanke in meinem Kopf: Man kann sich alle weiteren Diskussionen über Ladenöffnungszeiten, Zauberwürfel und Feminismus ersparen, wenn man die Luft nicht mehr atmen kann und das Wasser vergiftet ist. Kriegt der Mensch es nicht hin, dass es der Natur gut geht, geht es dem Menschen bald selbst nicht mehr gut, und dann ist Schicht im Schacht.

Aus diesem Grund schloss ich mich einer Jugendgruppe von Naturschützern an. Wir bauten Vogelkästen und hängten sie an Bäume. Gemeinsam gruben wir Gartenteiche und trugen Kröten über die Straße. Aus Obstkisten haben wir einmal einen blattlosen Baum zusammengenagelt und an der Stelle aufgestellt, wo einmal eine Weide stand, die von der Stadt gefällt worden war. Dazu haben wir einen Aufsatz geschrieben, dass wir jederzeit weitere Kunstbäume produzieren könnten und sie gerne überall dort aufstellen würden, an denen die Stadt echte Bäume abhacke. Über diese Aktion wurde sogar in der Zeitung berichtet. Ich hatte es nicht beabsichtigt, trotzdem wurde ich zum ersten Vorsitzenden des Vereins gewählt. In regelmäßigen Abständen kam der übergeordnete Bezirksvorsitzende des Naturschutzvereins bei unseren Zusammentreffen mit seinem Adjutanten vorbei. Wenn sie ihre Kalender auf den Tisch legten und öffneten, konnten wir sehen, dass ihre Tage in halbstündige Einheiten unterteilt und in kleiner Schrift mit Themen und Absichten eng beschriftet waren. Der Bezirksvorsitzende drängt mich oft, ich müsse die Gruppe mehr anleiten, direkt in Aktion zu treten. Ich vertrat die Meinung, dass die Maßnahmen aus der Gruppe heraus entstehen müssten, statt von einer Person vorgeschrieben zu werden.

In dieser Zeit des gemächlichen Aktionismus und der Diskussion über Leitungsfragen begann die Bayerische Staatsregierung in der Oberpfalz mit dem Bau einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe. Man hatte vorher schon an mehreren Orten im Land versucht, das Projekt umzusetzen, war dort aber auf erbitterten Widerstand gestoßen. Von den gottes- und CSU-fürchtigen Oberpfälzern erwartete man Dankbarkeit für die vielen Arbeitsplätze, die entstehen würden, und eine Nachsichtigkeit, wenn atomarer Feinstaub über einen hohen Schlot über das Land sanft verteilt würde. Der Staat hatte sich aber verrechnet. In und um den Taxöldner Forst begann der Widerstand der Bevölkerung und deren Unterstützer schnell zu wachsen.

Einige aus unserer Jugendgruppe waren schon in Wackersdorf gewesen und hatten vor dem Zaun demonstriert. Christian hatte sogar einige Nächte im Hüttendorf übernachtet. Er zeigte uns Fotos, die er dort gemacht hatte. In grob gezimmerten Behausungen schliefen die Demonstranten, kochten gemeinsam und demonstrierten gegen die Staatsmacht. Eine ältere Bauersfrau brachte ihm in ihrer Einkaufstasche Steine, die sie vorher aufgesammelt hatte. In ihrem schönen Oberpfälzer Dialekt habe sie ihn gebeten, die Steine zu schmeißen, weil ihre eigene Wurfkraft zu schwach sei, wusste Christian zu berichten. Nur zu gerne wäre ich mit Christian einmal dorthin gefahren, um meiner Meinung gegen das Bauvorhaben Ausdruck zu verleihen. Ich hatte sogar einen Schlafsack und hätte nichts dagegen gehabt, neben einer Demonstrantin mit bunten Haaren im Stroh zu liegen oder mir von ihren zarten Fingern das CS-Gas mit einem feuchten Tuch aus den Augen wischen zu lassen. Aber aus meinen Träumen wurde nichts. Meine Mutter verbat mir mit all ihrer Macht nach Wackersdorf zu fahren. Ich könnte sonst was anstellen. Die Mutter erlaubte mir nicht Widerstand zu leisten.

Der Gruppe gegenüber musste ich mich herausreden. Eine Fahrt nach Wackersdorf gehörte inzwischen zum Katechismus eines fränkischen Naturschützers. Die Angst der Mutter öffentlich eingestehen, konnte ich freilich nicht. Zusehends verdrehte ich mich in immer mehr verschwurbeltere Ausreden. Die ganze Situation war unangenehm und fatal. Ich war der erste Vorsitzende der Naturschutzjugendgruppe und kannte das Gelände nur von Bildern. Die Auseinandersetzungen in der Oberpfalz nahmen an Dramatik zu. Der Druck auf meine Person stieg. Aus der Not änderte ich meine Taktik. Wenn die Mutter mich nicht zur WAA fahren ließ, weil die Gefahr für mich dort zu groß sei, musste die Mutter mich eben dorthin begleiten und selbst aufpassen, dass nichts passierte. Also unterbreitete ich meinen Eltern diesen Vorschlag. Mein Vater unterstützte mein Ansinnen. Er vertrat die Meinung, dass man sich die Welt ansehen müsse, um sich selbst ein Bild machen zu können.

An einem Sonntag Vormittag fuhren wir los nach Wackersdorf. Der Vater steuerte das Automobil. Die Mutter brütete vorne neben ihm und ich saß mit leichter Aufregung auf dem Rücksitz. Irgendwann begann die Mutter mit einer vehementen Rede und stellte das gesamte Vorhaben der Fahrt grundsätzlich in Frage. Es sei ihr schleierhaft, dass man auf die billigste Propaganda hereinfiele und sich vor den Karren schlimmster Querulanten und Quertreiber spannen ließe. Wissenschaftler und Fachleute hätten da jahrelang zusammengearbeitet und nicht irgendwelche unseriösen Trickbetrüger. Brennstäbe noch einmal zu verwenden, statt sie strahlend zu vergraben, sei doch keine dumme Idee. Es sei ihr mehr als begreiflich, dass es ein Leichtes sei, den gutgläubigen Sohn zu verwirren, auszunützen und hinters Licht zu führen. Dass sie aber einen Kommunisten und obendrein noch vaterlandslosen Gesellen geheiratet habe, könne sie nur schwer ertragen. Sie wurde zunehmend lauter und unsachlicher. Der Vater brummte ruhig, dass man sich das einmal ansehen müsse, schließlich spiele sich das Ganze in direkter Nachbarschaft ab. Ich schwieg, um nicht noch Öl in die Wortflammen der Mutter zu gießen.

Das Gelände war sehr groß. Ein Waldstück in der Fläche von mehreren Fußballfeldern war gerodet worden. Wir brauchten einige Zeit, bis wir um den Bauzaun, der oben mit Stacheldraht zusätzlich gesichert war, gegangen waren. Hinter dem Stahlgitter standen hunderte Polizisten, Einsatzfahrzeuge und Wasserwerfer. Vor dem Zaun gingen und standen und liefen Familien, Alte und Junge, Alternative und Menschen, die in der Nähe wohnten. Wir trafen viele Leute, darunter auch einige Bekannte, von denen wir gar nicht gewagt hätten zu glauben, dass wir sie hier treffen würden. In einem ruhigen Ton, in dem man sich unterhält, wenn man am Sonntag im Wald spazieren geht, wurden uns Geschichten von unerbittlichen Einsätzen mit Hubschraubern und der rücksichtslosen Verwendung von CS-Gas erzählt. Dort vor dem Zaun wurde uns die Dimension der Idee bewusst und die Gewalt, mit der dieses Vorhaben vom Staat gegen den Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgesetzt werden sollte.

Als wir wieder im Auto saßen und nach Hause zurückfuhren, war die Mutter wie verwandelt. Sie sprach davon, dass es ein unerträgliches Unrecht sei, wenn die Politik derartig rücksichtslos die Interessen des Volkes missachte. Ängste würden in einem unfassbaren Ausmaß ignoriert. Sie konnte gar nicht mehr aufhören sich zu empören. Mein Vater, nehme ich an, amüsierte sich im Geheimen über den Gesinnungswandel seiner Frau und ließ das durch ein paar Bemerkungen durchblicken. Ich schaute froh zum Fenster in die vorbeifahrende Landschaft hinaus.


UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM FEBRUAR?
Viel, aber leider nicht so viel auf den hiesigen Bühnen. Nach dem Besuch mit seiner Bühnenmuse Carmen beim Frankenfernsehen (01.02.) macht der Wahl-Fürther mit seinem Programm EIN DING DER UNMÖGLICHKEIT einen weiten Tour-Bogen um die Metropolregion und kommt nur am 11. Februar in die Nürnberger Tafelhalle auf eine Unmöglichkeit zurück. Etwas ungewohnt am Monatsende heißt es am 20. Februar wieder EGERSDÖRFER & ARTVERWANDTE im Künstlerhaus zu Nürnberg. Noch mehr Egers unter www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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