Tibors Kopfkino - Die B-Rolle 01

FREITAG, 5. APRIL 2019

#Festival, #Film, #Kino, #Kolumne, #Tibor Baumann

Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann wandelt zwischen Geschichte(n) und geschichtlichem – und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: was die Geschichten erzählen und wie sie die Geschichte spiegeln. Bisher war das Kopfkino immer auf eine kleine Geschichte ausgerichtet, Nun wird es Zeit, die andere Art des Kopfkinos durch den Projektor zu jagen. Wir wechseln die Filmrolle – und daher diesmal im Programm ...

... Was das Werk für den Preis bedeutet, oder: Die alte Schule – ein Kommentar

Dieses Jahr folgte ich der Einladung zur Eröffnungsgala des 24. FILMFESTIVAL TÜRKEI DEUTSCHLAND und besuchte am Tag darauf das Festivalgespräch. Das in vielerlei Hinsicht wichtige und kulturpolitisch beachtenswerte Filmfestival, ist – ich unterstelle: versehentlich – mit dem diesjährig vergebenen Ehrenpreis, trotz aller politischer Fürsorge, über ein diffiziles Problem gestolpert.
Das FF- T/DT ist fester Bestandteil der Nürnberger, aber auch der bundesweiten Filmkultur, insgesamt noch zu wenig beachtet für das, was es leistet. Und, nahliegend, eo ipso, politisch aufgeladen. Dialog zwischen den Nationen, zwischen den Kulturen und zwischen den verschiedenen Sehgewohnheiten: durchaus eine schwierige Aufgabe. Im Mittelpunkt der Eröffnungsgala steht außer dem Sponsoren-OB-Loblied die Verleihung des Ehrenpreis. Es wird geehrt, wer mit ihrem/seinem Werk und Schaffen in besonderer Weise Film und (Film)Kultur beeinflusst hat. Also eine eher methusalemsche Ehrung, wenn man von wenigen Ausnahmen wie Fatih Akin absieht.

Dieses Jahr wurden (in dieser Reihenfolge auf der Bühne) Ediz Hun und Margarethe von Trotta mit diesem Ehrenpreis ausgezeichnet. Ebenfalls ausgezeichnet, aber nicht anwesend, wurde die Schauspielerin Filiz Akin. Die Laudation für die anwesenden PreisträgerIn hielt Klaus Eder, namenhafter Filmkritiker einer kanonisch zu nennenden Generation von Filmwissenschaftlern und selbst Träger des selbigen Preises. MARGARETHE VON TROTTA ist eine Ikone des eurpoäischen, linken Kinos; Filme einer Schauspielerin, die in einer Zeit zur Regisseurin wurde, da dieser Stuhl den männlichem Hinterteil quasi angeklebt war und man konstatieren kann, das noch so manch anderes (daher) am Arsch war. Mit ihren Filmen beleuchtet sie Zeitgeschehen aus weiblicher, aus linker Perspektive auf hohem cineastischen Niveau und mit menschlichem Gespür. 
EDIZ HUN ist hierzulande kaum bekannt, in der Türkei dagegen eine Ikone. Der renommierte Wissenschaftler und ehemalige Politiker der rechts-konservativen „Mutterlandspartei ANAP“ ist ein großgewachsener Star der in (wirklich) über hundert Filmen und einer Vielzahl von Soaps mitgespielt hat. Laut Festivaltext verkörperte Herr Hun 
„… in seinen Rollen ein Vorbild mit Werten der Humanität und Modernität, (…) für die aufstrebende Gesellschaft der Türkei in den 60er und 70er Jahren“. Der Filmzusammenschnitt des Festivals hinterließ aber, ebenso wie der Auftritt, diesen Eindruck: Die männliche Rolle immer im Vordergrund, Galanterie bis über die bond’sche Schmerzgrenze hinaus, die Frauen allesamt bedürftig, ihm verfallen; etwas vom Mann lernen, zum Beispiel das Schießen, oder durch die Ehe mit ihm gerettet werden. 
Herr Hun galanterierte die Festivalleiterin Frau Ayten Akyldız auf die Bühne. Als er vor Freude sich selbst mit 58 statt seinem Alter von 78 angab, lachte er, machte eine dankbare Geste mit betenden Händen und den Blick zum Schöpfer gerichtet. Und zeigte, dass er noch jung-
männlich ist: er zog Frau Ayten Akyldız von der Seite der Bühne hinzu und vollführte Tanzschritte. Es folgte u.a. ein etwas eigenartig platzierte Schopenhauer Zitat – und die Schlussfolgerung, dass nur die Schöpfer großer Werke in solchen Kreisen erlaubt werden. Den türkischen Teil seiner Rede übersetzte für die deutschen Gäste der Dolmetscher des Festivals – und wurde für seine gute Arbeit von Herrn Hun mit patenhaften Gesten, sanftem Tätscheln im Gesicht und auf den Kopf des sehr viel kleineren Mannes, honoriert. Herr Hun wurde flüsternd dann etwas gebremst; oder an die Zeit erinnert. Bei der Übergabe des Preises waren es große Umarmungen und sehr nahe, wieder die patenhaften Gesten – den Frauen auf der Bühne gegenüber. Ab einem gewissen Punkt, war es schwierig, ohne peinlich berührt zu sein, auf die Bühne zu sehen.
Während des Ehrenzusammenschnitts von Frau von Trotta rief Herr Hun In die Dunkelheit, man müsse das noch mal anhalten, er möchte noch etwas sagen. Darüber wurde hinweggeschwiegen. 
Insgesamt fühlte sich der Auftritt und das Verhalten, im Lichte des Einblicks und in das filmische Werks, peinlich und deplatziert an. Nicht nur ein Abend nach dem Internationalen Weltfrauentag.

Das Verhältnis von Männern und Frauen im Film ändert sich – langsam. Vorzeigeposten der Branche sind nicht länger eine Männerdomäne; Rollenbilder in der Besetzung und in Genres werden nicht nur einem Geschlecht vorbehalten, langsam etablieren sich Filme über Frauen. Vom strukturellen, langsam einsetzenden Wandel, der Degradierung und Missbrauch nicht nur aufdeckt, sondern auch der Salonfähigkeit zu entziehen versucht, einmal abgesehen, zeigt sich im Film selbst, wie sich unsere Gesellschaft verändert: langsam – und bisher noch nicht bis in die Feinheiten hinein. Und genau um eine solche Feinheit geht es.
Denn man kann mit konservativem und (pseudo)integrativem Argument sagen, dass es sich um Gesten aus einer anderen Kultur handelte – was mit Verlaub in sich schon wieder rassistisch ist. Ferner, das es sich um Filme aus einer anderen Zeit handelt und dass die Gesten, das Zeigen, der Gesamtauftritt und das, was an Werk geehrt wurde, eben „alte Schule“ ist. Auch weiß ich nicht, in welchem Verhältnis Herr Hun zu den Damen der Festivalleitung steht. Allerdings: Ob solche Gesten, egal in welchem Kontext, angemessen sind, bleibt bestenfalls fraglich. Diese „alte Schule“ und diese Gesten einer „anderen Kultur,“ die aber auch einer anderen Zeit angehören und nicht intrinsisch jedem aus irgendeinem Kulturkreis unterstellt werden können – es ist Teil der alten, weißen, gottesfürchtigen, konservativen, männlichen Elite.
Am interessantesten und befremdlichsten ist aber zu beobachten, wie diese „alte Schule“ wie von selbst das Zentrum übernimmt. 
Frau von Trotta sah sich bemüht, in der Dankesrede ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und sich dem vorangegangenen Preisträger mit zu erwähnen. Der die Laudatio haltende Klaus Eder konnte sich auch nicht ganz entziehen und stellte Frau von Trotta in die Vergleichsreihe mit den vielen schönen Frauen, mit denen Herr Hun vor der Kamera stand. 
Es geht nicht darum, dieses wichtige und passionierte Filmfestival zu diskreditieren. Aber es ernst zu nehmen, bedeutet, auf dieses Symptom zu verweisen: Der konservative, weiße Mann immer noch da. Er ist da und fordert, mit Verweis auf seine Leistung, Aufmerksamkeit. Ein Filmfestival, dass sich so sehr der Kultur und vor allem der problematischen Verständigung zwischen diesen widmet, das sich mit dem „beliebtesten Oberbürgermeister“ (Rede des Vorsitz Adel Kaya) und der Unterstützung ideal-links-sozialer Ideen stützt, muss sich fragen lassen, ob ein bepreistes Werk nicht nur Gültigkeit, sondern auch weiterhin Wert besitzen soll. Denn Preise schaffen einen solchen Wert.
Und dieser Wertezugriff ist weitreichend: Manchmal, hat es der Arthaus schwerer sich diesem Zugriff zu entziehen als die Popkultur, die einfach spiegelnd, erzählt. So proklamiert folgerichtig Frau von Trotta im Festivalgespräch, dass sie nie „Entertainment“ gemacht habe. 
Als Eröffnungsfilm wurde der neueste Film von Frau von Trotta gezeigt: In FORGET ABOUT NICK (2017) versuchen sich die frische Ex und die Ex-Ex des weißbebarteten, namensgebenden Modegurus von eben diesem zu lösen – oder doch wieder mit ihm zusammenzukommen. Der Film fällt mit fliegenden Fahnen durch den Bechdel-Test, drehen sich doch die Frauen und dann die noch dazukommende Tochter ausschließlich um den Mann. In diesem Fall hätte der Screwbal-Kömödien-Dramaturgie, die am Ende eine  Entwicklung gefordert hätte, geholfen. Aber zu viel Entertainment. Sich loszusagen wird leider verpasst. Das wird auch nicht besser dadurch, dass sich mal in einem Nebensatz darüber ausgetauscht wird, dass er nichts im Bett tauge. 
Bei dem sonst so großartigen Werk von Frau von Trotta und als Abschluss des Abends nach der Preisverleihung wirkt das doppelt peinlich – oder wie ein sehr ausgeklügelter Witz, über den zu lachen man sich aber so lange überlegen muss, dass es einem im Gesicht gefriert. 
Ein altes Linken-Problem, sich dem Charme der „alten Schule“ nicht entziehen zu können: Frau von Trotta bedauerte im Festivalgespräch, Herrn Hun erst jetzt kennengelernt zu haben. Das mag menschlich und echt sein, aber der Kontext zementiert die Stellung, wer wieder wen dominiert. Und wird wieder mit Gebetshänden und Blick zum Schöpfer quittiert. 

Was bleibt am Ende? Es bleibt diesem Festival, den Macherinnen und Machern zu danken, dass sie die Plattform für solche Freilegungen bieten. Es bleibt aufzufordern, das Festival zu besuchen, sich nachdenklich am Diskurs zu beteiligen. 
Und natürlich Filme zu gucken – mit Blick für die Feinheiten!

www.tiborbaumann.de

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GEWINNER DES 24. FILMFESTIVAL TÜRKEI DEUTSCHLAND​
Bester Spielfilm: „Kardesler“ (Brüder)  // 2018, TR/DE/BGR) von Ömür Atay
Bester Hauptdarsteller: Carlo Ljubek / „Kill me today, tomorrow I´m sick“
Beste Hauptdarstellerin: Gizem Erman Soysaldı  / „Içerdekiler“ (Der Insasse)
Publikumspreis: „Sandstern“ von Yılmaz Arslan
www.fftd.net
 




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