Mehr Berghain als Schwanensee im Staatsballett
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Radikale Volte: Richard Siegals Einstand als neuer Ballettdirektor am Nürnberger Staatstheater
von Andreas Radlmaier
Wer sich als neuer Ballettdirektor bei der offiziellen Einstiegsfeier im Nürnberger Opernhaus-Foyer, also in Zentralfranken, den Premieren-Fans im bayerischen Oktoberfest-Kostüm präsentiert, hat vermutlich ein starkes Selbstbewusstsein oder ist Amerikaner. Oder beides. Richard Siegal, der 57-jährige Wahl-Deutsche aus USA mit Karrierestationen in Frankfurt (bei William Forsythe), Köln und München, hat mit dem getanzten Dreisprung „Noise Signal Silence“ das Erbe von Goyo Montero angetreten. Das gerät zur radikalen Volte, stilistisch näher am Berghain als am Schwanensee angesiedelt.
Nach der Premiere notierte das Fachmagazin „Tanznetz“, was als Kompliment gemeint war: Das Gesehene „schlägt auch im Nürnberger Opernhaus ein wie eine Bombe“. Die Nürnberger Nachrichten entdeckten „bestechende Frühform“. Während bei anderen Beobachtern Skepsis durchschlug: „Ohne die Dramaturgie eines Handlungsballetts, radikal abstrakt und exaltiert, verliert auch die höchste Tanzkunst an Reiz, droht beliebig zu werden“, notierte Jazz-Fun. Und die Süddeutsche Zeitung empfahl Abwarten: „Ob Nürnberg demnächst ein neues Ballettwunder erleben wird, ist schwer zu sagen.“
Richard Siegal hat für sein Choreographie-Konzept, in dem Neoklassik mit Techno-Beats und Streetdance-Furor gekreuzt wird, auch in Nürnberg seiner etwa 20-köpfigen Compagnie das Marketing-Etikett „Ballet of Difference“ angeheftet und startet zum Kennenlernen unter dem Titel-Recycling „Noise Signal Silence“ mit einem Blick in sein Werkschaufenster. Drei Halbstunden-Stücke und zwei ebenso lange Pausen ergeben reichlich Zeit zum Einblick. Auf der Bühne regiert kühle Signallicht-Regie und ebensolche Klangspuren aus der Kraftwerkstatt von Carsten Nicolai aka Alva Noto.
Das 2013 für München entstandene „Unitxt“ wird gerahmt von „Oval“ (2019) und der Uraufführung „Lilac“ und forciert am konsequentesten den Kontrast zwischen Bumm-Tschak-Tschak und Spitzenschuh. Groove-Einsprengsel, kantige Körperbewegungen. Dreiecksbeziehungen, die sich dem vereinenden Gesamtbild verweigern. Knaller-Elektronik, die in dröhnendes Schweigen mündet und sich – auch wenn der Ausdruck Eindruck macht und im Opernhaus heftig beklatscht wird – etwas erschöpft. Die athletische Bewegungsästhetik erscheint manchmal wie mit Nahrungsergänzungsmitteln angefüttert. Das Zarte und Verspielte ringt in diesem Kraftraum um sein Überleben.
Die Neukreation „Lilac“ am Ende präsentiert sich dagegen fast wie die romantische Synthese mit Stille und Slo-Mo-Bewegungen, der fragileren Musik von Lorenzo Bianchi Hoesch und einem Spiel mit der Erdanziehungskraft. Die Tänzerinnen tragen Korsett mit Halteschlaufen, die ein faszinierendes Schweben und Sinken erlauben. Am Ende fallen die einengenden Stoff-Wände und zu repetitiven Akkorden weitet sich kurz der Blick. Und auch eine vieldeutige Gebrauchsanweisung flammt irgendwann auf: „Wir müssen die Vergangenheit nicht zerstören. Sie ist vorbei.“ Kleiner Hinweis auf Monteros Emotionsspuren?
So viel scheint klar: Unmögliches wird sofort getanzt, nur Wunder dauern etwas länger. Nürnberger Ballettwunder auch. Ob hinter dem radikalen Stilwechsel nun faszinierende Entwicklungssprünge warten, wird die nächste Zukunft zeigen.
Infos: www.staatstheater-nuernberg.de
Weitere Termine:
Di, 02.12., 19.30 Uhr
Do, 04.12., 19.30 Uhr
Fr, 12.12., 19.30 Uhr
Sa, 20.12., 19.30 Uhr
Mo, 22.12., 19.30 Uhr
Do, 25.12. 18.00 Uhr
Mi, 07.01., 19.30 Uhr
So, 11.01., 15.30 Uhr
Fr, 23.01., 19.30 Uhr
Sa, 31.01. 19.30 Uhr
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