Matthias Egersdörfer + Michael Jordan: Beben

MONTAG, 1. SEPTEMBER 2025, ERLANGEN

#Erlangen, #Johannes Felder, #Kleine Ausflüge, #Kunstverein Erlangen, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Vor der Ausstellungseröffnung bekam der Zeichner Jordan eine Nachricht vom Egersdörfer auf Instagram: „Guten Tag. Ich habe eine Premium-WhatsApp-Gruppe erstellt, der du kostenlos beitreten kannst. Antworte einfach mit ‚ja‘“. Jordan war nur ein klein wenig überrascht. Eine Premium-WhatsApp-Gruppe. Dabei konnte es sich gut um den etwas seltsamen Humor vom Egersdörfer halten. Der Jordan antwortete also mit „ja“. Kurz darauf wollte der vermeintliche Egersdörfer vom Jordan sein Alter wissen und seine WhatsApp-Nummer, „damit ich dich der richtigen Gruppe zuordnen kann“. Da begann der Jordan aber doch verblüfft zu sein. Also schrieb er dem Egersdörfer auf der anderen Leitung, ob der ihn gerade in eine „Premium-WhatsApp-Gruppe“ eingeladen habe und warum er seine Telefonnummer haben wolle, die ihm doch schon seit einigen Jahren bestens bekannt sei. Wiederum der Egersdörfer wunderte sich sehr, was ihm der Jordan da schrieb. Er antwortete diesem, dass er von einer „Premium-WhatsApp-Gruppe“ in keiner Weise etwas wüsste. Außerdem müsste er ihm die Telefonnummer nicht noch einmal verraten, weil er diese Nachricht ja gerade direkt an selbige versendet habe.

Dann schüttelte der Kabarettist ein wenig seinen Kopf und las von einem eng beschriebenen Zettel, was er über den Künstler Johannes Felder aufgeschrieben hatte. Zu einem Künstlergespräch mit jenem war er geladen worden. Deswegen saß er jetzt aufrecht im Bett und war gerade dabei, sich Fragen auszudenken, die er dem Meister Felder stellen könnte. Schwül war der Tag und in graues Blau gehüllt. Das Fenster stand offen. Aber man hätte es genauso gut schließen können. Es machte keinen Unterschied, weil die Luft reglos im Hinterhof stand wie ein Dom. Die Tage vorher waren sehr heiß gewesen. Und wenn die Menschen nicht wussten, was sie einander sagen könnten, oder ihnen auch sonst nichts einfiel, weil die Temperatur so hoch war, sprachen sie immer und überall über die schreckliche Hitze. Die Ausstellung mit Gemälden von Johannes Felder im Erlanger Kunstverein trug den Titel „Beben“. Fast sah es so aus, als gäbe es ein Gewitter. Das hätte dem Maler gewiss gut ins Konzept gepasst, wenn pünktlich zur Vernissage Blitze den Himmel zerschnitten, der Donner grollte und Regen prasselte. Indes musste er sich mit einer drückenden Schwüle begnügen.

Als der Egersdörfer alle Fragen beieinander hatte, trank er eine Tasse Kaffee und zog sich Hemd und Hose an. Das Hemd ließ er über die Hose hängen. Es war schließlich Sommer. Wenn überhaupt, stopft man das Hemd nur dann in die Hose, wenn man darüber ein Sakko trägt, dachte sich der Egersdörfer. Dann ging er aus dem Haus.

Im Kunstverein Erlangen wurden letzte Vorbereitungen getroffen. Zum Beispiel wurden Weinflaschen in bunten Tragetaschen bereitgestellt. Eine Lautsprecherbox mit Mikrofon wurde herangeschafft. Gekühlten Sekt und andere Getränke stellten emsige Mitarbeiter nebst Gläsern auf einen großen Tisch. Die Hauptperson des Abends zog sich noch um. Umfänglich begrüßten sich die Freunde der Kunst gegenseitig. Besucher waren schon dabei, in ein Staunen zu geraten vor den Ölgemälden in großen und kleineren Formaten. Gespräche ergaben sich über das, was man in der Malerei entdeckte. Eine Frau wollte ein Schiffswrack erkannt haben. Der Kritiker von der Zeitung sah auf einem anderen Gemälde Flüchtlinge im Sturm. Immer mehr Menschen drängten in luftiger Garderobe durch die Tür. Man lächelte einander freundlich zu. In kleinen Schritten durchmaß man den Ausstellungsraum. Ein Blick erhaschte einen Bildausschnitt. Man beabsichtigte, Sekt zu trinken und stellte sich vor, wie er kühl den Hals hinunter prickelte. Man lachte und erkannte Gesichter, stand beieinander und löste sich aus den duftenden, drehenden Menschentrauben.

Nach der kurzen Begrüßung der Vereinsvorsitzenden, Jutta Keller, sprach schon der Mann von der Bank, Andreas Heinzel. Und zwischen den ganzen Leuten stand nahezu unerkannt der Jordan und zeichnete, was er sah, auf das Papier, welches vom Klemmbrett festgehalten wurde. Nahezu unbemerkt ging das vor sich. Aber das Bild auf dieser Seite ist der beste Beweis, dass er anwesend gewesen ist, weil es genauso und nicht anders ausgesehen hat bei dieser Veranstaltung. Bei dem, was der Mann von dem Bankinstitut so ausführlich über den Künstler sprach, dachte sich der Egersdörfer, dass er eigentlich den Felder gar nichts mehr fragen musste, weil schon alles gesagt worden wäre. Und dann haben die Frauen und die Männer nach der Rede und der Übergabe des Geldpreises in Herzform erst einmal angestoßen, Sekt getrunken und durcheinander gesprochen. Nach einer Weile hat dann aber die Vereinsvorsitzende an ein Glas geklopft. Dann wurde es ruhig.

Anschließend hat der Egersdörfer gesagt, dass er eigentlich gar nichts mehr zu sagen bräuchte, weil ja der Mann von dem Kreditinstitut schon alles gesagt hätte. Aber weil es halt nichts hilft, sagt er alles noch einmal. Dann kann man es sich auch besser merken. Der Egersdörfer erzählte, dass er den Johannes Felder in seinem Atelier besucht hätte. Dort habe der ihm viele Bilder gezeigt und viel dazu gesprochen. Und gestern habe er sich obendrein hier die Ausstellung noch einmal komplett angesehen, und da habe sich dann herausgestellt, dass der „Saukrüppel“ fast gar keines von den Bildern in den Kunstverein hineingehängt habe, die er dem Egersdörfer vorher gezeigt habe und über die er so viel erzählt hatte. Insofern habe er sich die ganze Mühe umsonst gemacht, ergänzte dann der Egersdörfer leicht grummelnd den Gedanken.

Dann stellte er dem Felder die ersten Fragen. Und der Felder antwortete darauf immer nur mit einem oder zwei Wörtern. Der Egersdörfer dachte sich dabei, er hätte den Künstler vielleicht doch nicht „Saukrüppel“ nennen sollen. Trotzdem stellte er dem Johannes Felder weitere Fragen. Und mit der Zeit sagte dieser dann Sätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Ganz allmählich erzählte er ausführlich und anschaulich. Felder hält mögliche Ideen oder Einfälle nicht in Skizzenbüchern fest. Er malt direkt auf die Leinwand ins Nichts hinein. Und von Strich zu Strich wird es mehr und die Farben vereinen sich zu etwas, was sich nicht sagen lässt. Immer geht es auch darum, dass sich der Künstler selber überrascht und dass er sich wohin malt, wo er vorher noch nicht gewesen ist. Eine Assoziation bildet sich und verschwindet wieder. Und dann erkennt er ein Gesicht durch einen Türspion. Aber da war vorher vielleicht ein brauner Abgrund. Und dann stand das Bild stumm. Dann wird es aber im zweifachen Sinne wiederentdeckt, und da taucht ein Spion im Spion auf. Der unbeteiligte Betrachter mag darin wieder etwas ganz anderes sehen. Der Felder erlaubt einen Blick in die Tiefe. Er möchte das Publikum packen und greifen auf einer Achterbahnfahrt in eine unterbewusste Welt. Es geht um Überwältigung. Einen Sog möchte er mit seiner Farbwelt heraufbeschwören, dem man sich nicht zu leicht entziehen kann. Ein leichtes Menuett spielt er uns nicht auf einem dünnbeinigen Spinett, sondern donnert mit großem Orchester, bis sich Leinwände, Augäpfel und unsere Herzen biegen. In der Ferne taucht eine Burg auf und Nebel türmt sich drohend. Und für jemand anderen ist es ein Ausbruch an Farbe, eine spontane Explosion von gesplitterten Ahnungen. Immer wieder malt er auf einem Bild weiter. Er springt im heiligen Rausch zwischen den Leinwänden. Es braucht seine Zeit, bis eine Malerei fertiggestellt ist. Und dann findet aber doch noch ein pinker Tupfer seinen Platz und das Abenteuer geht weiter.

Johannes Felder verrät, dass seine Frau ihm ihre Einschätzungen sagen darf, ob ein Gemälde zu Ende erfunden und erforscht wurde oder ob sich da nicht noch eine Schlucht auftut, in die er sich noch hineinstürzen sollte. Der Egersdörfer hatte, als er aufrecht in seinem Bett saß, lange überlegt und fragte jetzt den Felder, ob man seine Malerei vielleicht mit „surrealer Romantik“ überschreiben könnte. Egersdörfer dachte sich danach, dass das dem Felder ganz gut gepasst hat. Aber vielleicht hat er sich das auch nur eingebildet, der Egers, weil er selber so stolz auf die Formulierung gewesen war. Außerdem hatte er sich einen Satz aufgeschrieben: „Sind Himmel und Tiefsee Orte, die immer gern auftauchen, weil dort das, was man sieht, mehr einer Ahnung gleichkommt als einer Realität?“ Zwar endet diese Wortanhäufung hinten mit einem Fragezeichen. Aber der Felder hat als Antwort darauf nur halblaut gebrummt. Und dem Egersdörfer ist wieder sein altes Problem eingefallen, nämlich, dass er oft mal Fragen stellt, die gar keine sind.

Aber zurück zu Johannes Felder und seiner dramatischen Kunst. Der Maler hatte unvorsichtigerweise dem Egersdörfer vom „schrulligen Eck“ in der Ausstellung erzählt. Dem Kasper darfst du so was freilich nicht anvertrauen. Bei nächster Gelegenheit posaunt er das heraus. Im „schrulligen Eck“ jedenfalls hängen Selbstportraits vom Felder. Genau genommen sind es Nachtbilder. Wenn der Mond, Satelliten und Sterne scheinen, spiegelt sich Johannes Felder im großen Fenster seines Ateliers. Verschwommen und schemenhaft blickt er in das unscharfe Bild von sich. Hier scheint ihn auch das Ungefähre zu gefallen. Es geht nicht um eine erkennbare Abbildung. Vielmehr sucht er die zerfließenden Konturen, die unscharfe Reflexion, den unscharfen Moment. Der Egersdörfer sagte, er wundere sich selbst über die nächste Frage und wüsste gar nicht, wie er dazu gekommen sei. Die Frage lautete: „Hast du Angst vor Hunden?“ Der Felder war auch überrascht und sagte, das würde er auch immer die Protagonisten fragen, wenn er einen Film dreht.

Viel fragte dann der Egersdörfer noch und viel antwortete der Johannes Felder. Am Schluss klang der Applaus wie ein kleiner sanfter Regenschauer. Felder und Egersdörfer bekamen eine Flasche Wein in bunter Tüte überreicht. Der Fragensteller bemerkte, dass er Durst bekommen hatte, und lief zum Tisch mit den Getränken. Dort stand auch der Michael Jordan. Beide grüßten sich höflich. Der Jordan sagte: „ Lieber Herr Egersdörfer, ich hab’s fei schon wieder!“ Dann zeigte er diesem die nagelneue Zeichnung, die er im Moment abgeschlossen hatte. Darauf sagte der Egersdörfer: „Du Saukrüppel, du elendiglicher! Leider gut ist sie auch geworden. Jetzt hast du Feierabend und hast es gut. Und ich muss noch schreiben und formulieren, bis mir das Blut zum Ohr raustropft!“ Der Jordan lächelte stumm. Er sagte: „Der Egersdörfer, der mir heute geschrieben hat, das bist nicht du gewesen. So freundlich könnten Sie niemals formulieren.“ „Das ist ein zweiter Egersdörfer. Der hat sich abgespalten, die blöde Sau“, antwortete darauf grob der Egersdörfer und stürzte den Inhalt eines zweiten Sektglases in seinen Rachen hinein.

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Matthias Egersdörfer     
+
Michael Jordan     


Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er hört und erblickt. So entsteht diese Kolumne. Diesmal mit dem Thema BEBEN von Johannes Felder, der Ausstellung im Kunstverein Erlangen. Leider schon vorbei (03.07. bis 26.07.). 
www.johannesfelder.de




 




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AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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