Wenn der Rücken zur Hebebühne wird

30. APRIL 2025 - 14. JUNI 2025, OPERNHAUS

#Kultur, #Opernhaus, #Tanz, #Theater, #Theaterkritik

Imponierender Tanz-Triple im Nürnberger Opernhaus: Ballettdirektor Goyo Montero kombiniert sein „Tilt“ mit einer Uraufführung von Stephanie Lake und einer Europa-Premiere von Rafael Bonachela. Premierenkritik von Andreas Radlmaier
 

Schon nach dem Auftakt mit Rafael Bonachelas „Lux Tenebris“ brach sich Spontanjubel Bahn, am Ende, nach der atemlos bestaunten Uraufführung von Stephanie Lakes „Artefact“ (der ersten Arbeit für eine andere Compagnie als ihre eigene in Sydney überhaupt, ab Herbst ist sie dann „Artist in Residence“ der Dresdner Semperoper), riss es das Premierenpublikum im Nürnberger Opernhaus förmlich von den gepolsterten Klappsitzen. Als vorletzte Produktion seiner stil- und formprägenden Ära vor Ort kombinierte Ballettdirektor Goyo Montero das Auftragswerk „Tilt“, das er für die Staatsoper Hannover, seinem Arbeitgeber ab Herbst 2025, geschaffen hatte, mit zwei Gastchoreographien zu einem furiosen Tanz-Triumph.

Manchen freizeitbewegten Electrolurch, der die Elastizität seines Körpers gerne an der clubtauglichen Beatz-Beschallung trainiert, mag spontan seufzend eine mittelschwere Depression erfasst haben angesichts von Akrobatik, Taktgefühl und Körperbeherrschung, mit denen die 23 Tänzerinnen und Tänzer der Nürnberger Compagnie auf der Opernhaus-Bühne die assoziativen und abstraktiven Emotionscodes und arithmetischen Versuchsanordnungen in Bewegung und Begegnung umsetzen.

Als Marschkolonne stakst die Compagnie in beige-braunen Schlabberklamotten bei Stephanie Lakes „Artefact“ über den weißen Bühnenboden. Wer aus der Reihe tanzt, wird vom Kollektiv eingefangen und anschließend wahlweise in die Stoppmotion-Haltung oder den „Hahaha“-Beschwörerkreis gezwungen. Es ist der Anfang von einem Reigen aus Details, das sich zu einem großen, überwältigenden Ganzen zusammenfügt. Energie steckt in der kleinsten Regung, die Zunge auf der Handfläche, ein Tänzerrücken als Hebebühne für die himmelwärtsstrebende Zweisamkeit, Kipppunkte in der Körperspannung. Gravität pulverisiert Gravitation, der Augenblick wirbelt den Grundsatz zur Seite. Im pumpenden Rhythmus der Musik von Robin Fox entwickeln die auseinandergezogenen Tableaus ungemeine Dynamik als Symbole des Flüchtigen. Auch die Eroberung des Parketts der gesamten Gruppe über den Orchestergraben hinweg bleibt ganz am Ende im ekstatischen Stroboskop-Lichtmix nur die kurze Illusion des befreienden Kontrollverlusts.

Um den ging es auch bei Goyo Montero, dessen Tanzstück „Tilt“ mit Spielräumen und Spiegeln, Raumgeometrie und Körperdynamik, Anziehungskraft und Negativwirkung spielt und dabei – wie das „Tilt“ beim Flippern – Situationen durchspielt, wo die Bewegungsfreiheit in Blockade mündet. Eingeklemmt zwischen Selbstreflexionen wächst die Bedrohung. Game over – die Gruppe ist in Auflösung. Die Musik beschleunigt auch hier die bewundernswert tänzerische Energie (Hauskomponist Owen Belton steuerte für Montero den Soundtrack bei, bei Rafael Bonachela war es Nivk Wales). Wie es überhaupt in dem Triple ästhetische Bezugspunkte gibt: Licht und Dunkel, Schwarz und Weiß, Individualanspruch und überrumpelnden Gemeinschaft.

Beim Auftakt mit „Lux Tenebris“ von Rafael Bonachela (Australien hakte sich also beidseitig bei Nürnberg unter bei diesem Zusammentreffen) befreien sich Schattenfiguren allmählich aus dem Wackellicht der Glühbirnen und finden in einen Zustand der Schwerelosigkeit. Fliegende Arme und Beine, die wie in rasenden Einzelbildern festgehalten wirken. Aufgefächert in berauschende Bilder synchroner Akrobatik und pulsierender Ästhetik entstehen Kraftfelder purer Bewegung. Welche Berührungen an den abgewandtesten Körperteilen möglich sind, weiß man spätestens seit diesen phantasievollen Varianten bei Stephanie Lake. Ein Abend zum Staunen.
 
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Weitere Termine
Mittwoch, 30.04.2025, 20.00 Uhr
Freitag, 02.05.2025, 19.30 Uhr
Sonntag, 11.05.2025, 19.00 Uhr
Freitag, 16.05.2025, 19.00 Uhr
Montag, 19.05.2025, 20.00 Uhr
Mittwoch, 21.05.2025, 20.00 Uhr
Samstag, 24.05.2025, 19.30 Uhr
Freitag, 30. Mai 2025, 19.30 Uhr
Samstag, 14.06.2025, 19.30 Uhr

 




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