Dem Egers sei Welt #76: Gartenwirtschaft

DIENSTAG, 1. OKTOBER 2019

#Comedy, #Egersdörfer, #Fast Zu Fürth, #Kabarett, #Kolumne

Die Interpretation der ersten zwei Impromptus von Franz Schubert, die ohne Vorwarnung aus dem Küchenradio in mein Ohr drangen, hatten mich aus der Wohnung getrieben. Statt perlender Achtel-Triolen in Es-Dur im zweiten Impromptu hatte der Pianist es fertig gebracht, eine Armee von finsteren Tönen aufmarschieren zu lassen. Kampfeslustig stampfte die Melodie, Waffen im Anschlag, mit groben Stiefeln scheppernd über Asphalt.

Um meine Wut zu entladen, war ich kurz davor gewesen, meiner unschuldigen Frau Vorwürfe zu machen wegen des unangenehmen Knackens ihres Unterkiefers beim Kauen eines Marmeladenbrötchens. Stattdessen zog ich mir wortlos den Mantel über, ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen und lief in rhythmischer Nervosität auf die Straße. Über mir hingeworfene Wolkenakte in dem ausgebleichten blauen Skizzenblock des Himmels. Ein junger Mann im kurzärmligen Hemd kam mir entgegen. Die Freundlichkeit seines Blicks war kurzgeschoren wie seine Haare. Auf seinem Unterarm, ich konnte es schon von Weitem sehen, war in dunklem Schwarz und in Fraktur der Name „Jennifer“ tätowiert. Handelte es sich bei dieser Jennifer um die Mutter des Mannes? War es seine Frau, die Mutter seiner Kinder, vielleicht seine Tochter oder die erste Geliebte? Bestand nicht Gefahr, dass diese Jennifer ihm gegenüber beispielsweise durch einen Vorfall in Ungnade gerät und dass er deswegen einmal schwer bereuen würde, ihren Namen in seine Armhaut gestochen zu haben? Lief ich gerade an einem alle Dimensionen der bedingungslosen Liebe sprengenden Beispiel vorbei oder war es nur schlichte Blödheit, die dazu geführt hatte, dass auf der Extremität Farbmittel in Form eines weiblichen Vornamens aufgetragen worden waren? All diese Fragen wirbelten mir noch im Schädel, als der Mann längst aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Meine Schritte hatten mich indessen ohne meinen direkten Einfluss in eine Gartenwirtschaft geführt. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass das Wort Gartenwirtschaft durch den Einfluss meiner Frau in mein Leben kam. Diese stammt aus dem Hessischen. Dort werden spezielle Lokalitäten mit Sitzflächen unter freiem Himmel derartig benannt. Wenige Menschen saßen zumeist einzeln an Tischen, tranken aus Tassen oder blinzelten mit erhobenem Kopf zur Sonne hinauf. Ich hielt Ausschau nach einem Platz im Schatten und wurde alsbald fündig. Dralle Bedienungen in spacken schwarzen Hosen schwirrten flink wie Bienen um die Gäste. Abgewetzte Lederbeutel baumelten diesen emsig wackelnd am Gürtel. Eine der Damen hatte mich schon als Ziel ihres Marschs auserwählt und noch bevor sie sich nach meinem Begehren erkundigte, setzte sie ein professionelles Lächeln auf. Ich bestellte einen doppelten Espresso und ein Glas Leitungswasser. Schnell wie ein Specht auf Baumrinde klopft, hatte sie meinen Wunsch in ihren elektronischen Block getippt. Schon wechselte der blondierte Strähnenkopf die Richtung und die Engelszöpfe wippten harmonisch hinterdrein. Flink wie ein Hase hoppelt, standen die Getränke einen Moment später vor mir. Mein Blick fiel auf den Tisch gegenüber. Unter diesem bibberte im mäßig kalten Wind ein Hündchen an der Leine. Ab und zu sah das Tier flehentlich zum Herrchen über ihm in einer Art und Weise, als wolle es sich vergewissern, ob es auch alles richtig mache. Seine Fledermausohren zitterten und richteten sich ständig neu aus. Ängstlich wechselte der Blick in verschiedene Richtungen, aus denen das Tierchen etwas vermutete. Dankbar und demütig leckte es die Hand vom Mann, der sie zum Streicheln gelegentlich herabließ. In jenen Augenblicken der Innigkeit verharrten die sonst emsig wackelnden Ohren reglos. Der ganze Hund erstarrte in Genuss und Hoffnung, dass dieser Zustand des Wohlgefühls nie vergehen dürfe. Der Hundehalter selbst, mit geröteter Tennisballnase, leichenblonden Haaren und kariertem Hemd saß nach vorne geneigt mit den Unterarmen auf die Oberschenkel gelehnt vor dem Tischchen, auf dem ein halbvolles Weizenbier stand. Seine Hände hielten einen Zettel fest. Er beugte sich tief zum Schriftstück vor, als wolle er wie ein Hund aus einer Schüssel Wasser trinken. Gelegentlich liebkoste er das Tier in schierer Absichtslosigkeit, während er selbst immer konzentrierter und fassungsloser das Geschriebene anstarrte. Ich gewann den Eindruck, als wolle sich der Mann mit der roten Nase kopfüber in sein Blatt Papier hineinstürzen. Immer wieder schnaubte er im Vornüberlehnen entrüstet und schüttelte dabei den Kopf. Offensichtlich empfand er alles, was er auf dem Blatt Papier erblickte, gänzlich unfassbar. In schneller Regelmäßigkeit fummelte er Kaugummis in Silberpapier aus seiner Hosentasche, befreite dieselben aus dem Schutzpapier, steckte sodann das obere Ende vom Kaustreifen in den Mund und verschlang nach und nach das Stück, als wolle er damit Beruhigung erlangen. Final prustete er in die Luft schüttelte die weißen Haaren zu allen Seiten, stürzte das Weizenbier in einem Zug in den Schlund und verschwand mit dem Hündchen aus der Gartenwirtschaft. Das Bierglas hatte er scheppernd auf den bedeutungsvollen Zettel abgestellt. Nachdem einige Zeit vergangen war und ich mir sicher sein konnte, dass der Mann nicht wiederkehrte, ging ich zu dem verlassenen Tisch und nahm das Schriftstück an mich. In blauer Handschrift fand ich unter der Überschrift „Camp David Shirt Monitoring“ folgende Notizen:

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Mit offenem Mund stand ich da mit dem Blatt Papier in der Hand. Nach einer Weile begriff ich, dass ich hier nichts weniger als einen literarischen Schatz in Händen hielt. Höchstwahrscheinlich hatte dieser unermüdlich über Wochen die aufgedruckten Schriftzüge von textilen Männeroberteilen, die ihm im öffentlichen Raum ansichtig geworden waren, akribisch abgeschrieben. Aus tiefem Argwohn gegen derartig verzierte Kleidungsstücke, die sich Menschen ohne Sinn und Verstand überstülpen, hatte er diesen Aufwand betrieben, mutmaßte ich überschwänglich. Ein wohliger Schreck durchfuhr mich bis in die Haarspitzen. Die Mühe, die er sich gemacht hatte, vermochte es, ihn selbst zu verärgern. Ich wollte dem Menschen, der offensichtlich mit der Welt haderte, Dank und Hochachtung ausdrücken. Schnell erhob ich mich und hielt Ausschau nach ihm. Ich blickte in alle möglichen Richtungen. Lief kurz dort und da hin. Allein der Mann und sein Hund waren vollkommen verschwunden. Mehrmalig schüttelte ich jetzt auch meinen Kopf, steckte den kostbaren Zettel ein, zahlte sodann und begab mich auf den Nachhauseweg. Daheim saß die Frau am offenen Fenster in der Küche und las. Ich bat sie, das Wort Gartenwirtschaft im hessischen Dialekt aufzusagen. Sie flüsterte daraufhin zu meinem größten Vergnügen einige Male „Gaddewertschaaft, Gaddewertschaaaft, Gaddeweeertschaft“ in mein Ohr.


DER OKTOBER MIT EGERS: Nach der Sommerpause heißt es am 09.10. zum ersten Mal wieder Egersdörfer & Artverwandte auf der Kellerbühne im Erlangener E-Werk. Als Gäste geladen sind u.a. der großartige Kabarettist Max Uthoff und die Band Devils Dandy Dogs. Wie immer mit Carmen und Bird Berlin und präsentiert von curt! Zum Monatsende hin spielt Egers Theater mit dem Dreamteam Theater (26.10. + 27.10., Kultur im Eckstein „Keck“) und Musik mit Fast zu Fürth im Kulturhaus Katana (30.10., Öffentliche Probe) und im Hubertussaal (31.10.).

Infos und noch mehr Termine, nur weiter weg: www.egers.de
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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