Theo O.J. Fuchs: Subkultur. Future. Issue.

DIENSTAG, 1. OKTOBER 2019

#Autor, #Comedy, #Jospehs Service-Manufaktur, #Kabarett, #Theobald O.J. Fuchs

Wir schreiben das Jahr 2040 und Nürnberg wurde heuer zum dritten Mal in Folge zur interessantesten Stadt der Welt gewählt. Künstler, Wissenschaftler, Philosophen, Literaten, Regisseure, Schauspieler und Kulturschaffende leben in so großer Zahl in der Stadt, dass man mittlerweile von einem »fränkischen Paris« spricht.

Heute wird rund um die Uhr an Hunderten Orten in der ganzen Stadt musiziert, gelesen, deklamiert und diskutiert, gezeichnet und gemalt. Der Veranstaltungskalender wäre, wenn man ihn ausdruckte, dick wie in lange zurückliegenden Zeiten das Telefonbuch von New York.

Denn natürlich druckt 2040 niemand mehr etwas aus, nicht einmal die Stadtverwaltung. Nürnberg ist nicht nur die gebildetste, sondern auch die nachhaltigste, digitalste und grünste Stadt im deutschsprachigen Raum. Etliche erstrangige europäische Kommunen wie Liverpool, Linz, Bukarest, Riga, Breslau, Chemnitz, Pilsen, Bologna oder Salamanca arbeiten hart daran, den Anschluss nicht zu verlieren und ihre Attraktivität für junge, engagierte Menschen zu steigern. Nürnberg ist jedoch immer noch allen Konkurrenten einen Schritt voraus: Dank grundlegender Entscheidungen, die vor zwei Jahrzehnten gefällt wurden.

So um das Jahr 2020 herum erkannten die Nürnberger Bürger die Wichtigkeit von Freiräumen für Kunst, Kultur und Wissenschaft. Man verstand: Nur wenn eine Stadtbevölkerung in ihrer Gesamtheit und ganzen Vielfalt aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, kann die digitale Ökonomie des dritten Jahrtausends erfolgreich prosperieren. Mit immer mehr Materialeinsatz und sturer Malocher-Attitüde musste man da scheitern. Wie schon im siebzehnten Jahrhundert, nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges, hatten die gewählten Vertreter der Bevölkerung begriffen, dass es mit einem schlichten »weiter so« eben nicht weiter gehen konnte.

Die Lebensqualität wurde systematisch verbessert, indem große Teile des Stadtgebiets vom Auto befreit wurden. Auf Parkplätzen entstanden Spielplätze, Werkstätten, Freiluftbühnen und Gärten. In die Parkhäuser zogen freie Theater, Diskotheken, Ateliers und Studios ein. Bemerkenswert ist das Parkhaus in der Adlerstraße, das mittlerweile von internationalen Kennern in den Rang von Andy Warhols New Yorker Factory erhoben wurde. Der Nürnberg-Fürther Bürgerkanal verbindet seit 2030, zusammen mit den gut ein Dutzend Seitenkanälen zur Pegnitz, nach Mögeldorf, zur Kunstakademie und ins Univiertel an der Münchener Straße die Menschen in den Nachbarstädten. Der von einer unabhängigen Genossenschaft betriebene Bürgerkanal ist zugleich ein weltweit leuchtendes Vorbild für die sowohl ökonomisch als auch ökologisch erfolgreiche Umwandlung einer sinnlosen Autobahn in ein grünes Band der Nachhaltigkeit.

Junge Familien finden in Nürnberg alles, was das Herz begehrt: billige und schöne Wohnungen dank der Vertreibung aller »Immobilienmoguln«, die mit ihren gesichtslosen Schuhschachtelsiedlungen aus Beton, die eher Schließfächern für lebende Roboter als menschenwürdigen Heimstätten glichen, ganze Stadtviertel verödeten. Während damals einzelne Multimillionäre nach nichts anderem trachteten als ihren obszönen Reichtum auf Kosten der Qualität und Nachhaltigkeit zu steigern, wimmelt es heute in den neuen Quartieren von Lebensmittelgeschäften, Läden von Handwerkern und Künstlern, Restaurants und Nachbarschaftstreffs. Leider war eine komplett handlungsunfähige Stadtspitze bis zu den Wahlen im März 2020, bei denen sie in den Orkus des Vergessens gefegt wurde, serienweise auf die durchschaubaren Lügen dieser »Investoren« hereingefallen wie die Oma einem Zeitschriftendrücker an der Haustür.

Wohl kaum erwähnt zu werden braucht, dass auch andere Abzocker, wie die Veranstalter der »Megaevents« Rock im Park, Beachvolleyball auf dem Hauptmarkt oder Norisringrennen höflich aber bestimmt aus dem Stadtgebiet hinaus komplementiert wurden. Sie dürfen den Lärm, Gestank und Müll, den sie früher in Nürnberg abluden, nun woanders hinterlassen. Im Rathaus war jemandem ein Licht aufgegangen – wieso die Stadt immer mehr Massenereignisse zuließ und dennoch die Einnahmen kontinuierlich zurückgingen. Leider gibt es aber noch immer genügend Kommunen, die sich als Nutzfläche für komplett niveaubefreite Kommerzveranstaltungen hergeben, weil sie das Märchen von der Werbewirkung unhinterfragt nachplappern.

Doch Kultur und Unterhaltung sind sehr verschiedene Dinge. Die Stadt Nürnberg erkannte, dass sie keine Belustigungsanstalt sein muss noch kann. Die Digital Natives, die jedes Jahr zu Tausenden nach Nürnberg umsiedeln, um hier Familien und Unternehmen zu gründen, schätzen vor allem das Klima in der Stadt, das dank der großzügig bepflanzten Alleen und Boulevards trotz der immer heißeren Sommer angenehm ist. Die Luft ist dank Abwesenheit von Verbrennungsmotoren sauber wie im Hochgebirge, das flächendeckende WLAN gehört zu den schnellsten der Welt. Der Nahverkehr ist kostenlos, Frauen verdienen ebenso viel wie Männer. Vor allem die leichte Verfügbarkeit von Freiräumen, der Zugang zu Gärten und Gewerbeflächen am neuen Bürgerkanal, die minimalen bürokratischen Hürden bei der Verwirklichung jedweder kreativer Projekte und nicht zuletzt die Maxime der Nicht-Einmischung der städtischen Administration in die inhaltliche Gestaltung gelten als weltweit einmalig.

In Nürnberg steht Partizipation über industriell organisierter Massenabfüllung, was insbesondere für Münchner ein Hauptgrund ist, nach Franken zu ziehen. Das Bardentreffen wird seit langem wieder autonom organisiert und von Straßen-Musikern aus aller Welt bespielt. Es gibt erstklassige Bildungseinrichtungen, der städtische Diskurs wird in vielen Sprachen geführt, jede*r Einwohner*in kann ihre oder seine handwerklichen wie geistigen Potentiale optimal entwickeln.

BÜRGERMEISTERIN IST AUCH IN DIESER LEGISLATURPERIODE DIE SPITZENKANDIDATIN DER POLITBANDE, DIE WAHLLISTE DES VEREINS ZUR FÖRDERUNG DER SOZIOKULTURELLEN FREIRÄUME, DER PARTIZIPATION UND DER NACHHALTIGKEIT IN NÜRNBERG.

Ob die Menschen, die vor 20 Jahren für die Politbande stimmten, ahnten, dass sie damals Nürnberg auf den Weg zu neuer Pracht und Blüte brachten? Ich denke schon.

[Fast immer im Bilde: Theo O.J. Fuchs, Fotos: Katharina Winter]

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UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau, ist auch egal.
Ansonsten wälzt er sich im Ruhm und lässt sich bewundern, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit.

THEOS TERMINE IM OKTOBER
19. Oktober im JOSEPH‘s / Lange Nacht der Wissenschaften:
„Die Zukunft der Vergangenheit“, um 18 und um 21 Uhr.
Ansonsten: Lektorat des nächsten Krimis und Partey, Partey, Partey!
 




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