Theobald O.J. Fuchs: Neues aus der Neuropsychologie II

FREITAG, 27. OKTOBER 2017

#Buch, #Buchvorstellung, #Comedy, #Kabarett, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Altstädter Friedhof in Erlangen, 14. Mai, 10 Uhr 30, meine 35. Beerdigung, die zahlreichen Nachkommen streiten am Grab um den Fernsehsessel des 73-jährigen, der Beginn meines neuen Romans: „Da es seit Tagen wie aus Kübeln goss, war allen klar, dass dieser Einsatz kein verspäteter Osterspaziergang werden würde. Im strömenden Regen würden wir über die glitschigen Steine der anderen Gräber hinweg den Sarg bis zur Grube wuchten müssen, die für ihn oder, je nach Betrachtungsweise, für die er bestimmt war. Die Seile würden triefen vor Nässe, unten in dem schlammigen Loch würden Stofffetzen, Holzsplitter und anderes Zeug, dessen Herkunft ich gar nicht so genau wissen wollte, im braunen Wasser schwimmen, und der Pfarrer, den ich schon von anderen Einsätzen hier in Marloffstein kannte, war alles, nur kein Mann der kurzen Rede.

Soweit also nichts, worauf ich nicht vorbereitet gewesen wäre. Es war dies immerhin mein zweiunddreißigster Einsatz als Bestattungshelfer. Dass ich jedoch Tilda, die heute erst ihren dritten Auftrag als Blumenmädchen erledigen sollte, fünf Minuten, ehe es losgehen sollte, dabei erwischte, wie sie sich an der aufgebahrten Leiche der alten Dame zu schaffen machte – das überraschte mich dann schon.
Der Pfarrer, der in seinem Kabuff hinter der Aufbahrungshalle ehe es losging noch eine Zigarette rauchte, sprach mit Hausmayr, dem einzigen festen Mitarbeiter unseres Bestattungsunternehmens, im Plauderton über eine Beerdigung in der Vorwoche, während der ein älterer Herr im Publikum einen Herzinfarkt erlitten hatte.
»Gottseidank war’n die Sanitäter da. Ich hätt kei zweite Kiste dabei g’habt«, sagte Hausmayr.
»Ein Freund der Familie war es«, ergänzte der Pfarrer. »Ich wäre beinahe zu spät zu meinem nächsten Termin gekommen ...«
»So eine Sach kann echt den ganzen Ablauf durcheinanderbringen«, verkündete Hausmayr eine Erkenntnis, die er den vielen Hundert zurückliegenden Bestattungen mühsam abgerungen hatte.
Ich raffte mich auf und wandte mich an meinen Chef: »Ich will Sie nicht unterbrechen, aber meinen Sie nicht, wir könnten nun langsam den Deckel zumachen?«
»Ja klar, da schaut etz niemand mehr nei«, sagte Hausmayr.
»Wieder so eine traurige Angelegenheit«, seufzte der Geistliche und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Drei Mitbewohner aus dem Heim sind hier, wahrscheinlich die einzigen, die noch laufen können. Ansonsten: keine Angehörigen, nichts, niemand. Ich musste mir die Ansprache komplett aus den Fingern saugen.«
Ich ging derweil nach nebenan, wo der offene Sarg stand, in dem die alte Frau nun lag, kalt und starr in ihrem schwarzen Kleid und einen Rosenkranz zwischen den verschränkten Fingern, und kein Mensch schien sich für sie oder das Leben, das sie ja bis vor Kurzem wie auch immer auf ihre Weise gelebt hatte, zu interessieren. Offenbar niemand außer Tilda.
»Was tust du da?«, fuhr ich sie grob an, wobei ich mich des Flüstertons bediente, den wir alle instinktiv anschlugen, sobald wir uns auf dem Friedhof oder in den Kapellen und Aufbahrungsräumlichkeiten aufhielten.
Mit der größten Verblüffung, derer ich fähig war, sah ich, wie Tilda an dem Leichnam hantierte, wie sie sich ungeschickt abmühte, trotz des steifen Halses der Toten deren grauhaarigen Kopf anzuheben, um irgendetwas im Nacken zu erkennen.
Unsere Aufgabe war es, für einen würdigen und reibungslosen Transport der Verstorbenen aus der Aussegnungshalle hinaus auf den Gottesacker bis zum Grab zu sorgen, das ja trotz alledem für jeden Einzelnen von uns irgendwo in der mehr oder weniger fernen Zukunft wartet. An den Verstorbenen herumzufummeln und mit den im Sarg gebetteten Körper gymnastische Übungen anzustellen, stand definitiv nicht auf unserer To-do-Liste.
Tilda sah mich mit ihren undurchdringlichen blau-grauen Augen an.
»Äh, ich weiß nicht«, sagte sie, »ich dachte mir nur, ich schau mal, nicht dass sie nur scheintot ist oder so ...«
»Was?!«, fauchte ich, denn ich fühlte mich als oberster Sargträger natürlich für den reibungslosen und würdigen Ablauf der Veranstaltung verantwortlich. »Spinnst du?«
»Na ja, es könnte doch sein, dass da einer mit einer Spritze ins Genick gestochen hat.«
»Du bist wohl völlig bekloppt! Raus hier jetzt. Da kommt Henry, wir sind gleich an der Reihe und müssen noch den Deckel festschrauben.«
Zusammen mit mir traten an diesem Tag Georg-Wilhelm, Tobias und der große Henry an. Oben auf dem Marloffsteiner Berg liegt links von der Hauptstraße, schon ortsauswärts in Richtung des Wasserturms, ein trauriger Friedhof. Sein unebener Boden besteht aus schwerem Lehm, weshalb auch die Grube, die man freundlicher Weise vorbereitet hatte, nicht tiefer als ein Meter fünfzig und mit Wasser vollgelaufen war. Außen um das Grab waren schmierige Holzbohlen ausgelegt. Alles, was für eine traurige Feierlichkeit an einem traurigen Tag eben nötig war. Doch immerhin, als das erbarmenswerte Häuflein schwarz gekleideter Gäste den steilen Weg von der Kirche unten im Dorf zum Friedhof hinaufzockelte, hatte das Wetter ein Einsehen, und es hörte auf zu regnen ...“


... Hey, das war der Anfang des Buchs von Theo, der sich bei uns ums HINTEN RAUS kümmert. Nennen wir es einfach „Leseprobe“, zum Süchtigmachen. So richtig weiter geht‘s ab 28. November, dann gibt‘s das Werk nämlich auch komplett und zum Anfassen und zum Erwerb!
Wir bleiben für Euch dran, Verlosungsexemplare wird es auch geben. Vielleicht sogar ein Interview? Nein, eher nicht.
Eure curt-Redaktion

[fast immer im Bilde: Theobald O.J. Fuchs, immer Fotografin: Katharina Winter]
 
UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau. Wir warten einfach auf seine nächsten Lesungen oder auf seinen Vortrag bei der Pecha Kucha Night im Neuen Museum Nürnberg am 17.11.2017, dann fragen wir mal nach.
Sein zweiter Roman „Altstädter Friedhof in Erlangen, 14. Mai, 10 Uhr 30, meine 35. Beerdigung, die zahlreichen Nachkommen streiten am Grab um den Fernsehsessel des 73-Jährigen.“ erscheint am 28.11.
Den Rest der Zeit tag- und nachtträumt Theo von den CURT-Redakteuren und ihren beiden Hunden. Warum auch nicht?!



 




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Da saß ich im Bus nach Prag und dachte mir, wie unangenehm es sein müsste, von einer Stadt in die andere Stadt gebeamt zu werden. Also mittels Star-Trek-Transporter [https://de.wikipedia.org/wiki/Star-Trek-Technologie]. Man wäre ja im selben Augenblick da, in dem man abgeschickt wird, und würde die schöne Fahrt verpassen. Welche Auswirkungen der abrupte Ortswechsel auf die menschliche Seele hätte, ist noch völlig unerforscht. Zudem ja erst die Seele an sich definiert werden müsste. Das ist sonst ungefähr so, wie wenn man die Verdauung des Monsters von Loch Ness erforschen wollte.  >>
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