Tibors Kopfkino #01

MONTAG, 2. JULI 2018

#Film, #Kino, #Kolumne, #Tibor Baumann

Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann ist in Berlin gestrandet - und schreibt nun ab sofort für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: bewegende Bilder und bewegtes Bild. Alles in seinem Kopf. Vom Himmel über big B und den Großereignissen in good old Nbg – ein Franke in der Weddinghood, no holy, wenig wood, aber zu Hause in den gepolsterten Reihen heimischer Kinosäle. Und heute für uns im Programm.

DIE GEFAHREN EINES SOMMERS
ODER LIEBE IN ZEITEN DES SOMMERLOCHS


Das kleine, gelbe Post-It hing an meinem Kühlschrank. „Ich weiß noch immer, was du letzten Sommer getan hast“ hatte sie darauf geschrieben. Ich habe es nur dem Zufall geschuldet entdeckt, Bier aus dem Kühlschrank holend. Um damit ins Kino zu fahren. So wie ich es gerade tue. Mit dem Bier. Nicht mit ihr. Der Schüttelreim hilft leider auch nicht.

Zur Verdeutlichung hatte sie unter ihrer herzigen Nachricht sogar eine Zeichnung angefertigt: Ich sitze in gepolsterter Reihe, wie man sie in den wunderbaren Lichtspielhäusern findet, starre mit entrückter Verzückung in Richtung Leinwand. Es erinnert ein bisschen an Jean Reno als treffsicherer Killer, der Gene Kelly mit kindlicher Hingabe bei seinen singenden Schwarz-Weiß-Säuseleinlagen anbetet.
Ja, ich bete im Kino, na und? Die Zeichnung ist treffsicher und tödlich wie der assoziierte kindliche Killer. Man möchte zurückschießen und nie wieder romantische Filme sehen. Vielleicht hätte ich ihr nicht sagen sollen, dass ich Leute verachte, die im Kino reden, oder zu spät in den Saal kommen – nachdem sie zu spät kam und mir erzählen wollte, weshalb.

„Manchmal verlierst du und manchmal frisst dich der Bär“, denke ich mit der Zen-Stimme des Dude und radle durch den flimmernden Moloch. Sogar die Gangster sitzen müde schwitzend vor ihren Shisha-Cafés; im Laden 37 immer noch die Einschusslöcher von letzter Woche.

Wir waren nicht füreinander geschaffen. Sie wollte mir erklären, dass ich bei schönem Wetter nicht ins Kino gehen soll. Aber mal ehrlich, sie geht ja auch IN das Büro um zu arbeiten, auch wenn schönster Sonnenschein den letzten bleichen Edward in den Garten zum Heckenschneiden lockt. So etwas Schönes wie Kino kann sich ja nicht ständig nach dem Wetter richten. Außerdem ist es im Sommer um so schwerer ins Kino zu gehen. Das Sommerloch gilt nicht nur für Gangster und Journalisten, sondern eben auch fürs Kino.
Vielleicht habe ich es übertrieben? Nur bei schlechtem Wetter ins Kino? Oder nur bei gutem, wenn das Kino draußen ist? Okay, ich gelobe Besserung, oh Herr – sagte Andrew Garfield im einzigen Film von Scorsese, den man getrost auslassen kann. Ich nehme mir das zu Herzen und sehe nach Zeichen suchend zum Himmel auf. Hupen. Fluchen. Fast überfahren worden – Augen nach vorn:
Die Straße hinab leuchten rote Lettern: KINO. Dahinter türmen sich schwarze Wolken auf. Und plötzlich bricht es aus dem Himmel hervor. Von einem Moment auf den anderen schwimmt die Straße, Menschen fliehen unter kleine Dächer wie aufgeschreckte Tiere. Vor mir, im reißenden Strom, auf dem nun schon Passanten, der Müll der letzten Wochen und einige Elefanten treiben, schwimmt eine Frau auf ihrem Fahrrad dahin. Sie ist schön und nass und sehr angestrengt. Und gerade als ich einscheren will, schwemmt eine besonders fiese Welle Müll heran, Leonardo schreit auf, als der Berg aus Plastik ihr Rad trifft. Wir kollidieren und stürzen in den tosenden Strom, der uns klatschnass an den Strand spült. Na ja, auf den Bordstein eben.

„Das ist eine Stampede!“, zitiere ich im Gewühl unserer Räder liegend.
„Sagt Robin Williams“, grinst sie. Ich kann es nicht fassen! Das Sommerloch hat gerade eine rosa-roten Anstrich im Sommerregen bekommen!
„Ich wollte eigentlich ins Kino und nicht ertrinken.“, stottere ich.
Sie steht auf und zieht mich aus dem Kuddelmuddel. „Da wollte ich auch gerade hin“, lächelt sie mich an. Okay, ich bin verliebt wie in Brad Pitt, als er in den 90ern über die Weite Montanas auf uns zugeritten kam. „Was steht auf dem Programm?“, frage ich vorsichtig und mit einem Fuß im Gestänge verkeilt.

Schnitt: Wir sitzen zusammen im Kino. Tropfnass. Leise knistert Popcorn. Das Sommerloch verschwindet in diesem wunderbaren Horrorfilm. Wir gruseln uns zusammen. Teilen das Bier aus der fränkischen Heimat. Und da kommt mir mein Schwur ins Gedächtnis, wie dem Held im zweiten Akt, dem klar wird, dass er bereit sein muss, Opfer zu bringen. Okay, verdammt, was soll’s: Vorsichtig löse ich meine Augen von der Leinwand, wende mich ihr zu; die Spannung steigt, ich nehme ihre Hand und vorsichtig löst auch sie ihren Blick vom Ort des Geschehens. Das Flimmern der Leinwand beleuchtet sie perfekt, ihre dunklen Augen sehen mich an, ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel, nicht abweisend, ein wenig süffisant, zum Verlieben oder Abfilmen. Dann trifft sie eine Entscheidung und küsst mich sanft, aber bestimmt. Wir knutschen den ganzen Film über. Goodby, Sommerloch, kann ich noch denken.

Heutzutage muss ja nach dem Abspann noch was passieren. Also: Wir hatten eine tolle Sommernacht. Aber dann kam ihre Nachricht. Sie mochte den Abend. Und mich. Aber sie möchte nicht mit jemanden zusammen sein, der die Filmkunst nicht so schätzt wie sie; sie kann das nicht ab, wenn man sich nicht auf den Film konzentriert… Wär‘ ich doch nur der gewesen, der ich bin. Na, vielleicht schicke ich ihr einfach, wo wir uns diesen Sommer treffen könnten.

VON A WIE ALBERN BIS Z WIE ZARTES ARTHAUS:
AB INS KINO - WEN SCHERT SCHON DAS VERDAMMTE WETTER?


Das Gefranchise und Fortgesetze nimmt kein Ende; von bayuvarischer Krimireihe, die jetzt im gefühlt zehnten Teil endlich beim Fresskoma angekommen ist, bis hin zum wieder aus der Kiste ausgegrabenen Terence Hill: MY NAME IS SOMEBODY, von und mit dem Kult-Mann. Und auf Tour ist er auch noch damit! Da fällt mir glatt der Bohneneintopf runter: am 26.08. im CineCitta. Und für die Überbrückungsphase, für noch mehr Gefranchise, gibt es aus dem Hause Marvel ANT MAN AND THE WASP (R: Peyton Reed, Kinostart: 26.07.). Sommerloch oder große Kunst? Vielleicht zeigt SICARIO 2 (R: Stefano Sollima, Kinostart: 19.07.), der versucht, in die großen Fußstapfen des brillanten SICARIO (R: Denis Villeneuve, 2015) zu treten, dass Fortsetzungen doch nicht immer verkehrt sind.
Für den geneigten Musikliebhaber hat Susanna Nicchiarelli das Biopic über die gleichnamige Ikone und Heroinsüchtige NICO, 1988  abgedreht (Kinostart: 18.07.). Dagegen lotet Wim Wenders diesen Sommer mit großer Besetzung Liebe und Politik gegeneinander aus und sucht in GRENZENLOS die Grenzen der großen Gefühle (Kinostart: 02.08). Große Erwartungen begleiten Spike Lee’s Film BLACKkKLANSMAN in dem, nach (mehr oder weniger) wahrer Begebenheit, ein afroamerikanischer Cop den (teil-) titelgebenden Irren in den 70ern mal ordentlich Dampf im Kessel macht (Kinostart: 23.8.). Auch mit (rassistischen) Problemen, aber noch deutlich aktueller und düsterer, kommt ein Must-see des deutschen Arthaus daher: STYX (R: Wolfgangs Fischer), der schon auf der Berlinale brillierte, verhandelt in den Kinos die offene See und die offene Wunde der Flucht über das Meer. Aber Achtung, die Newsticker ticken: der Kinostart verschoben auf 13.09. Na, schon mal vormerken. (Danke an die curt-Kollegin Claudia am kritischen Newsticker!). Und mit ASPHALT GORILLAS geht Detlev Buck dem deutschen Genre-Kino mal gehörig an den Kragen und fährt auf, was sich sonst alle nur wünschen aber niemand traut – rasante Kleingangsterflucht vor Großgangstern in Berlin, gleich bei mir ums Eck (Kinostart: 30.08.).
Und für alle Flüchtenden, die lieber auf alte Meisterwerke setzen, um dem Sommerloch ein Schnippchen zu schlagen: PAPILLON von 1973 – ein wahres Meisterwerk: Die (auf jeden Fall teilweise) wahre und aberwitzige Geschichte der Fluchtversuche aus einer Strafkolonie Französisch-Guyanas. Der titelgebende Held (Steve McQueen) und sein neu gewonnener Freund, der Geldfälscher (Dustin Hoffmann), müssen sich gegen Natur und Einzelhaft behaupten und die Flucht versuchen. Großes Kino des alten Meisters Franklin J. Schaffner (u.a. PLANET DER AFFEN 1963) über Unmenschlichkeit und Abenteuer am Ende der Welt. Und wem alt zu alt ist, der kann - Tada! - das Remake diesen Sommer ansehen. Claudia hat in ihren Kinotipps mehr dazu.

Übrigens: Unser romantischer Horrorfilm war HEREDETARY (R: Ari Aster) – falls die neue Horrorwelle mit großartigen Filmen wie GET OUT (R: Jordan Peele) oder IT FOLLOWS (R: D.R. Mitchell) Dein Ding ist: pack deinen LieblingskuschelpartnerIn ein oder aufs Sofa und seht Euch diesen gruseligen Newcomerstreifen an!

Euch überzeugt das alles nicht? Ihr gehört auch zu diesen abendlichen Außenliebhabern und Outdoorfreaks? Im fränkischen Städtedreieick Nürnberg, Fürth, Erlangen  und Umgebung kein Problem – das Mobile Kino flimmter schon wieder im Freibad, bei den Spanischen Filmtagen Auf AEG, in Hinter- und Vorderhöfen und Im Augst macht das SommernachtFilmFestival laue Sommernächte schon bunt!

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TIBOR BAUMANN:
Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann ist in Berlin gestrandet - und schreibt nun ab sofort für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: bewegende Bilder und bewegtes Bild. Alles in seinem Kopf. Vom Himmel über big B und den Großereignissen in good old Nbg – ein Franke in der Weddinghood, no holy, wenig wood, aber zu Hause in den gepolsterten Reihen heimischer Kinosäle.
 




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FILMHAUS. Wenn eine Filmemacherin es versteht, ihre Filme mit einer gehörigen Prise Respektlosigkeit zu garnieren und sie zugleich zu einem ästhetischen Genuss voller grandioser Bilder zu machen, dann sollte sie eigentlich einen festen Platz in der Filmgeschichte haben. Lina Wertmüller wurde diese Ehre leider nicht zuteil. In den 1970er Jahren ein Aushängeschild des italienischen Kinos, ist sie heute nur noch Spezialist*innen ein Begriff. Höchste Zeit, dieses einzigartige Filmkünstlerin mit dem Hang zu auffälligen Brillen wieder zu entdecken!  >>
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