STAATSTHEATER. Premiere der Gesellschaftssatire „Jeeps“ in den Nürnberger Kammerspielen.   Willkommen in der „Eierstock-Lotterie“! Dort, am Richard-Wagner-Platz, im (fiktiven) Arbeitsamt, werden die ewigen Geburtsregeln – wer bleibt arm, wer ist reich? – gerade neu aufgestellt. Die Münchner Dramatikerin und Schauspielerin Nora Abdel-Maksoud nahm mit ihrer sarkastischen Turbokomödie „Jeeps“ der schicksalhaft-kreiselnden Schatten-Diskussion über Reichensteuer und Bürgergeld, über Bürokratenhölle und bedingungsloses Grundeinkommen nämlich gleich eine ganze Grundsatzreform vorweg und puhlt damit hochaktuell in den Stimmungswunden eines schlecht gelaunten Landes.
Hier werden die Karten im Klassenkampf neu gemischt. Denn das Erbe, so die furchteinflößende Ausgangsidee der Autorin, wird staatlich konfisziert und landet in der Lostrommel des Jobcenters. Demütigung für alle ist garantiert. Boshafte Pointen und Pirouetten fürs Publikum auch in dieser Attacke, die eine wahre Schlaglichterkette über Sozialabgründe spannt. Zwei Jahre nach der Uraufführung führt die Erfolgsspur des Stücks über München, Hamburg und Berlin auch nach Nürnberg. Langanhaltender Premierenbeifall nach schlanken 90 Minuten in den Kammerspielen des Staatstheaters für das weibliche Regie-Team unter Martina Gredler.

Die Regisseurin hat sich von Bühnenbildnerin Sophie Lux für ein souveränes Darsteller-Quartett eine behäbig drehende Menschen-Mühle bauen lassen, die den Kreisverkehr als dunkel getäfelte Gedankenrichtung vorgibt. Nach vorne bewegt sich hier nix. Die „frisch prekarisierte“ und panisch gestimmte Start-up-Unternehmerin Silke aus der Sorglos-Generation (Pola Jane O’Mara mit klaren Anflügen einer Wohlstandskarikatur) trifft auf Maude, eine Langzeitarbeitslose mit früherer Literaturkarriere und profundem Warteschlangenwissen (Adeline Schebesch als vorlaute „Gräfin Schizo“ mit Unterschichtentarnung).
Die Amtsträger Armin (Thomas Nunner als abwehrerprobter Zauselzyniker) und Gabor (Aydın Aydın als Lotterieverwalter mit Aufsteigerehrgeiz samt Geländewagenverehrung) schauen professionell leidenschaftslos auf die anbrandenden Lebens- und Nervenkrisen zwischen Losglück-Sehnsucht und gentrifizierter Wartehalle.
Diese Veränderung zwickt im Alltag und ist der neuen Kundschaft geschuldet: Die neuen Mittellosen importieren nicht nur Geländewägen vors Haus, sondern auch Foodtruck und Boulderwand als Abwechslung ins Amt. Die Armutskinder sollen es auch mal schöner haben im Jobcenter, wo sie – weil platzsparender – ihre Eltern vertreten. Dass es am Ende zu tödlichen Abstürzen an der Kletterwand kommt, weil die Bürgergeldkinder, denen der gerechte Gabor die beste Lose, sprich: größten Vermögen, an den Pullover geheftet hat und damit die Jagdinstinkte der Mittelschichtler weckt, fiel der Öffentlichkeit nicht auf. War eben Champions-League-Finale.

Es geht um „Opferwürste“ und „Yuppielarven“ in dieser galligen Satire, um Enterbte und Entrechtete, um Wortfindungsstörungen und Wertfindungsstörungen, um eine „Neiddebatte“ und Existenzangst, um hohldrehende Bürokratie und Hybris, um Flaschensammeln, das als selbstständige Tätigkeit gesehen werden muss und deshalb zu Abzügen im täglichen Bürgergeld von 4,86 Euro führt. Um Statussymbole auch. Die titelgebenden „Jeeps“ tauchen, erfährt man, als verblassender Wohlstandsprotz neuerdings auch auf dem Parkplatz vor dem Jobcenter auf. Notgedrungen landen die frisch Enterbten aus der Vermögensklasse im Jobcenter und treffen dort auf die Armen mit dem Hartz-Stigma. Beide auf der Jagd nach Wartenummer und dem Glückslos, das ihnen (wieder) Finanzsicherheit gibt. Zum Gelde drängt alles. Zur Not auch mit Gewalt. Mit Pistole und Fernzünder erpresst man den Los-Verwalter und seine Potenzprothese, den Geländewagen.

Die Vorlage – und das ist vielleicht die theatralische Schwäche - irrlichtert mit Energie und Lust durch ganze Themenwälder. Nicht den Überblick im Drama zu verlieren, ist da die Herausforderung. Die Zeiger der Amtsflur-Uhr auf der Bühne drehen rasend schnell rückwärts, während die Schuldzuweisungen und Spöttereien in Rückblenden, Zeitlupe und Erzählungen voller Tempo und Anspielungen vorwärtshetzen. „Die Verteilungsdebatte legt sich wie Mehltau auf unsere Freundschaft“, sagt jemand mitten in dem Wahnsinn gegenseitiger Vorwürfe und Besserwisserei.

Zurück in der Realität. Gerade hat der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger wieder öffentlich und ungestraft Bürgergeldempfänger als „Taugenichtse“ gegeißelt. Vielleicht hilft in diesem Sozialklima nicht mal Humor als Überlebensmittel gegen das Unlustige: Die aktuelle Schauspiel-Programmatik mit dem Hang zu Heiterkeit und Komödie verfing bei der Premiere von „Jeeps“ jedenfalls seltsamerweise als Anreiz nicht. Es blieben Lücken im Parkett.

Premierenkritik von Andreas Radlmaier

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Die Gesellschaftssatire „Jeeps“
in den Nürnberger Kammerspielen.

Weitere Aufführungen von JEEPS:
Fr, 01.12.2023, 19.30 Uhr
So, 10.12.2023, 19.00 Uhr
Sa, 30.12.2023, 19.30 Uhr
Sa, 20.01.2024, 19.30 Uhr
Mi, 24.01.2024, 19.30 Uhr
Sa, 27.01.2024, 19.30 Uhr
Di, 30.01.2024, 19.30 Uhr
Mi, 07.02.2024, 19.30 Uhr
Do, 08.02.2024, 19.30 Uhr
So, 11.02.2024, 19.00 Uhr
Mi, 14.02.2024, 19.30 Uhr
Do, 29.02.2024, 19.30 Uhr
Do, 28.03.2024, 19.30 Uhr
Do, 04.04.2024, 19.30 Uhr
Sa, 20.04.2024, 19.30 Uhr


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