Falladas gegängelte Geschöpfe: Kleiner Mann, was nun? am Staatstheater
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Marcel Kohlers stimmige Adaption des Hans-Fallada-Klassikers „Kleiner Mann, was nun?“ im Nürnberger Schauspielhaus.
Von Andreas Radlmaier
Das Leben kennt viele Dramen: Gerade diskutieren auf der Bühne des Schauspielhauses die beiden verzweifelten Typen, ob sie sich per Sprung von der Hochhaus-Kante oder sich doch lieber mit der Knarre beim „Scheinduell“ aus dem Leben beamen sollen, da fluten etwa 120 bis 150 Schulplatzmieterinnen und -mieter geräuschvoll den Zuschauerraum und schließen die beachtlichen Lücken im Parkett. Vermutlich die Deutsche Bahn. Oder der Deutschlehrer. Oder der Aufführungsbeginn. Auf alle Fälle voll peinlich. Es hätte aber auch ein experimenteller Regieeinfall von Marcel Kohler sein können, der Hans Falladas robusten Weltklassiker „Kleiner Mann, was nun?“ für heutige Sehgewohnheiten aufbereitet hat. Mutig und stimmig. Vom Abo-Publikum gab’s dafür nach drei Stunden langen freundlichen Applaus.
Also zurück zum zeitlosen Stoff mit seiner fast 100jährigen Geschichte und der ernüchternden Erkenntnis von den wiederkehrenden Mustern und der Vergeblichkeit des Fortschritts: Die Menschheit kommt nicht vom Fleck. Vor der Pause dreht sich die Welt linksrum, nach der Pause rechtsrum, aber immer im Kreise. Wie die Bühne von Torsten Köpf mit der Haus-Kulisse, die in neuer Sachlichkeit die Wohngemeinschaft der Überlebenskämpfer beherbergt. Oben wohnen das Liebespärchen Pinneberg und Lämmchen, unten leben Phantasie und Drogenrausch in Person des Autors Hans Fallada, der seine Roman-Figuren wahlweise neue Zuversicht oder altes Leid zuschreibt. Oder sie tilgt.
Regisseur Marcel Kohler, der als Schauspieler in Berlin zwischen Deutschem Theater und Schaubühne seit einigen Jahren Karriere macht, hat im Tandem mit Schauspiel-Direktorin Lene Grösch, die für diese Produktion teamdienlich die Dramaturgie übernommen hat, die Romanvorlage mit biographischen Fakten über Hans Fallada verschränkt. Das ergibt überraschende Spielebenen und reizvolle Blicke auf gegängelte Geschöpfe und einen von der Morphium-Sucht und finanzieller Absicherung abhängigen Autor. Der steigt dann auch mal nachts kuschelnd ins Gästebett seines zu Leben erweckten Liebespaares. Alexander Darkow spielt diesen Fallada als kühlen Nabelschausteller, der zwischen Jazz-Nervosität, Schriftsteller-Druck und Junkie-Not irrlichtert.
Die anfängliche Lebensleichtigkeit zwischen Lämmchen und Pinneberg zerschellt schnell an den Verhältnissen. „Das liebe Geld, das böse Geld“ bestimmt das Geschehen. Absturz und Existenzangst lauern, die Nazis als Heilsversprecher aber auch. das Baby „Murkel“ wartet und hungert. Groß- und Kleinbürger lassen Kreative wie Pinneberg schnell über die Klinge springen. Ein kalter Hauch weht durch die Kulissen, wenn Sasha Weis – mit starker Präsenz als Lämmchen – das sanfte Schlaflied anstimmt: „Der Wind geht alle Zeit über das Land.“
Der Sound der Sorge, der Krise ist hörbar. Auch bei Hans Pinneberg, den Wesensverwandten des Autors, der verunsichert und naiv seinen Lebensweg sucht. Bemerkenswert, wie das Joshua Kliefert spielt. Auch Julia Bartolome, an diesem Abend zuständig für nuancierte Prototypen. Etwa als rothaarige Mutter Pinneberg, mit Kodderschnauze, unverhohlener Geldgier und halbseidener Käuflichkeit entsprungen einem Separee aus „Babylon Berlin“. Ihr zur Seite Thorsten Danner im Rollensprung zwischen klunkerbehangenem Kiez-Kriminellen aus dem Jan-Delay-Fundus und einem dubiosen Herrenausstatter, der Pinneberg Arbeit gibt. Ein Panoptikum grotesker Figuren tut sich auf. Etwa wenn Luca Rosendahl als FKK-Jünger Heilbutt unverhüllt das Publikum zur befreienden Wirkung des „Ausziehen!“ aufruft. Humor ist, wenn man’s trotzdem macht.
An visuellen Reizen mangelt es nicht an diesem bilderreichen Abend, der mit „Prolog“ und „Epilog“ zusätzliche Sortierungen erhält. Auch Comic-Sprengsel von Linn Reuse fügt Marcel Kohler ein. Dann mutieren Schreibmaschinen-Tasten zu Fallada-Männchen, Graffitis tanzen den Expressionismus, Blutungen breiten sich wie ein Flächenbrand auf der Gaze-Leinwand aus. Den vergeblichen Traum vom Fliegen und Schweben markieren Hunderte von Papierfliegern, die vom Bühnenhimmel stürzen, am Ende – wenn die Spannkraft der Inszenierung etwas nachlässt – lässt der Regisseur die Figuren buchstäblich im Regen stehen. „Alles geht weiter“, sagt Lämmchen. Und tröstet unverdrossen: „Wir sind noch da.“
Infos: www.staatstheater-nuernberg.de
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Sa, 28.02.2026, 19.30 Uhr
Mi, 04.03.2026, 19.30 Uhr
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Sa, 20.06.2026, 19.30 Uhr
Do, 09.07.2026, 19.30 Uhr
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