Classy Ladys und ernste Dödel: Bunbury im Staatstheater

SONNTAG, 16. NOVEMBER 2025, STAATSTHEATER

#Kritik, #Oscar Wilde, #Premiere, #Staatstheater Nürnberg, #Theater

Die mehrfach ausgezeichnete Regisseurin (und Alumna der Theater- und Medienwissenschaften in Erlangen-Nürnberg) Julia Prechsl inszeniert am Staatstheater Oscar Wildes erfolgreichstes Stück: Bunbury – Feeling Ernst. Den Text hat sie selbst neu übersetzt. Premierenkritik von Andreas Thamm, zuerst erschienen bei nachtkritik.de

17. November 2025. "Fuck Escapism" steht in tollen Leuchtlettern über der Bühne. Warum jetzt das genau, mag man sich fragen. Am Ende der Aufführung kommt es wieder, dann mit Komma. Schick schaut's aus, wie überhaupt die ganze Bühne, über die ein überlanger apricotfarbener Vorhang hängt und wallt und sich ergießt. Bunbury in der Regie und neu übersetzt von Julia Prechsl: Es wird ein Abend zum Sich-satt-sehen. 

Aus diesem Seidenmeer schält sich zuerst nur eine Hand mit Flasche, dann Kristina-Maria Peters, aber mit Schnurrbart. Dandy Algernon, noch recht wacklig auf den Beinen, der bald Besuch bekommt von einem Ernst, den es ja aber gar nicht gibt. Jack Worthing, Findelkind mit Landsitz, hat ihn, seinen Bad-Boy-Bruder Ernst erfunden, um einen Grund zu haben, in die City zu fahren. Während, wie sich herausstellt, sein Kumpel Algernon immer einen kränkelnden Bunbury auf dem Land vorschiebt, um lästigen sozialen Pflichten der High Society Londons aus dem Weg zu gehen. 

Neuübersetzung mit zeitgenössischen Anglizismen

So weit, so bekannt, Oscar Wildes launiges Verwechslungsspiel. Jack will sich mit Algernons Cousine Gwendolen verloben, Algernon im weiteren Verlauf mit Jacks gerade so volljährigem Patenkind Cecily. Beide Damen tragen die absonderliche Bedingung vor sich her, dass sie nur einen Mann namens Ernst heiraten können.

Was macht man mit dieser zunächst so verwirrend scheinenden Komödie in der heutigen Zeit? Julia Prechsl hat neu übersetzt und dabei eine Sprache gefunden, die mit einer gewissen Konsequenz englische Einsprengsel zulässt: "Die Wahrheit ist nichts, womit man so eine classy lady behelligt!" Was tatsächlich weniger aufgesetzt als gekonnt gegenwärtig klingt. Die beiden Angebeteten, Cecily und Gwendolen, eröffnen dazu passend, mit dem Tagebuch an der Hüfte, einen Booktok-New-Romance-Referenzrahmen. Ganz fasziniert von der gemeinsamen "origin story" sei sie gewesen, offenbart Gwendolen ihrem Jack/Ernst.

Ohne Diskurszwang

Die Auffrischung ist vor allem eine sprachliche, weniger eine inhaltliche. Prechsl lässt Bunbury eine Komödie sein, einen heiteren bunten Abend, in den keine Diskurse mit dem Keil hineingetrieben werden. Eine feministische Note bekommt der Text durch die angelegte Albernheit der beiden Dödel, die sich quer übers Publikum hinweg anplärren, weil beide die grandiose Idee hatten, sich schnell Ernst taufen zu lassen und weil einer Muffins frisst, der andere die aber nicht verträgt. Gwendolen: "Wenn es um Selbstaufopferung geht, sind die Männer uns meilenweit überlegen."

Die homoerotischen Funken zwischen den Gleichgeschlechtlichen dürfen in der Inszenierung zwar zart aufscheinen, fallen aber nicht weiter ins Gewicht. Auch die Tatsache, dass Algernon von einer Schauspielerin, Cecily aber von Alban Mondschein gespielt wird, macht allein noch keine queere Komödie aus diesem Bunbury, wie zuvor angekündigt worden war. Macht aber auch nix. 

Kostüme mit eigenem Steigerungsplot

Die Inszenierung besticht eh vor allem durch ihren Schauwert. Das bereits genannte Bühnenbild mit dem mehrfach geschlitzten, emsig bespielten Vorhang, der später fällt und von einem grauen ersetzt wird, ist auf merkwürdige Weise minimalistisch und opulent zugleich. Die Kostüme von Olivia Rosendorfer scheinen einen eigenen Steigerungsplot mitzubringen. Am Anfang nur leicht seltsam erscheint der mintgrüne Anzug Jacks mit den kurzen Hosen und Strumpfhosen. Dann kommt Algernon mit spektakulär pinkfarbenem Mantel mit funkelnden Fransen ums Eck, und am Ende stecken beide, der schönste optische Gag des Abends, in ausladenden Taufkleidchen inklusive Haube. Adeline Schebesch als Lady Bracknell bekommt sogar so etwas einen eigenen Eingangs-Jingle für ihre großen Auftritte unterm noch größeren Hut, und Stephan Schäfer ringt als irrsinnig überzeichneter Slapstick-Bediensteter in grün-transparenter Gärtnerkluft mit dem Gartenschlauch. 

So ist auf allen Ebenen dieses Bunbury eine große Lust am Machen zu spüren, ein Spaß am Effekt – sei es, wenn Glitzerstaub allüberall in der Luft tanzt, oder es Algernon mit all seinem Charme gelingt, eine Zuschauerin aus der ersten Reihe mit hinter die Bühne zu flirten. In einem lustvoll alles augenzwinkernd ausagierendem Ensemble ist es insbesondere Jack, Justus Pfannkuch, der sein Zerschellen am Anspruch des würdevollen Miteinander wahnsinnig unterhaltsam in allen Tonalitäten anbietet. Zwischen ihm und Kristina-Maria Peters entwickelt sich eine fesselnde Bühnenchemie, die ein langes Stück zweieinhalb Stunden lang trägt. Keine Neuerfindung des Wilde und kein gesellschaftspolitischer Aufrüttler, aber ein vielgestaltiger Theaterspaß.

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Bunbury – Feeling Ernst
von Oscar Wilde
In einer Neuübersetzung von Julia Prechsl
Regie: Julia Prechsl, Bühne: Valentin Baumeister, Kostüme: Olivia Rosendorfer, Musik: Fiete Wachholtz, Dramaturgie: Ida Feldmann, Licht: Katta Lehmann, Ton: Tobias Hübner.
Mit: Justus Pfannkuch, Kristina-Maria Peters, Claudia Gyasi Nimako, Alban Mondschein, Adeline Schebesch, Marion Bordat, Stephan Schäfer.
Premiere am 16. November 2025
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

 




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