Egers und Jordan besuchen Hilbig: Es hat schon genau so sein müssen

MITTWOCH, 1. OKTOBER 2025, NüRNBERG

#Bass, #Jazz, #Kleiner Ausflug, #Maike Hilbig, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Zu Gast bei der Bassistin Maike Hilbig. 

An diesem Sommertag windete es merklich. Im großen Becken des Freibads befand sich eine überschaubare Schar von Schwimmern. Brustschwimmend zog der Egersdörfer seine erste Bahn. Rückenschwimmend sodann legte er die zweite Bahn zum anderen Beckenrand zurück. So setzte er fort. Die ungeraden Bahnen Brust. Die geraden Bahnen auf dem Rücken. Wenn er die fünfzig Meter auf dem Rücken schwamm, schaute er in die Wolkensuppe im blauen Himmelsteller. Lang schaute er das Bild, weil er sich beim Schwimmen nicht eilte. Und die Wolken taten es ihm scheinbar gleich und zogen nur sehr sachte und stumm ihre Bahnen im weiten Firmament. Am Ende der Bahn stieß er nach der Drehung mit dem Kopf unter Wasser. Dann tauchte er auf, um einzuatmen und blickte erhobenen Hauptes über das weiche Wasser, um daraufhin wieder zu versinken im Blau. Auf der anderen Seite drehte er sich wieder auf den Rücken und streckte seine Arme weit über den Kopf. Wie wunderte er sich dann stets über das Wolkenbild, das sich ihm so gänzlich verändert und neu geordnet darbot. Weil es ja beim Beschauen auf dem Rücken nur kaum eine Veränderung gezeigt hatte. So schwamm er zwischen Himmelsbetrachtung und Verdutztsein über die geschwinde Saumseligkeit des Wolkenspiels. Dann stieg er aus dem Becken, duschte seine Schwimmträume aus dem Kopf, kleidete sich an, nachdem er seinen Leib abgetrocknet hatte, und machte sich auf den Weg, den Michael Jordan zu treffen.

Dieser saß indessen vor einem Schreibtisch, auf dem sich Unterlagen in Ordnern und einzelne Schriftstücke, Rechnungen und diverse Quittungen und Belege in nicht geringer Anzahl befanden. Man könnte sagen, er badete in einem Unterlagentümpel, und mit ihm in der Brühe der Zettel planschte der Steuerberater. Er sprach zu dem Künstler im leicht fränkischer Redeweise über die Mehrwertsteuer, Unwertsteuer, Allgemein- und Sondersteuer. „Sieben Prozent“ sagte er und hob dabei die runde Nase. „Vierzehn Prozent“, gab er an und senkte dabei den Schädel. Der Künstler Jordan dachte an einen Teddybären aus seiner Kindheit. Dieser brummte, wenn man ihn auf den Rücken legte, und brummte noch einmal, sofern man ihn wieder aufrichtete. „Hätte dieser Bär ‚sieben Prozent’ sagen können, wäre es dem Sprachklang des anwesenden unabhängigen Organs der Steuerrechtspflege sehr ähnlich gewesen“, dachte sich der Jordan. Schließlich schnaufte der Steuerberater und der Jordan schnaufte. Die Herren verabschiedeten sich voneinander. Dann fuhr der Jordan in die Nürnberger Nordstadt. Dort wartete der Egersdörfer bereits auf ihn.

Wie immer gingen die beiden Herren erst einmal in die falsche Richtung. Die Straße war richtig. Aber die Hausnummern wurden immer höher. Und die richtige Hausnummer war niedriger. Aber angenehm raschelten die alten Bäume im Wind, und die Häuser standen ruhig daneben und hatten es in ihrem langen dort Herumstehen bestimmt nicht das erste Mal erlebt, dass Menschen zuerst in die eine Richtung an ihnen vorbeiliefen und dann wieder in die andere Richtung. In einem dieser freundlichen Häuser war die Jazz-Bassistin Maike Hilbig aufgewachsen. Jetzt wohnt sie mit ihrer Familie schon seit einigen Jahren in Berlin. Ihr Vater öffnete dem Jordan und dem Egersdörfer die Tür. Der Sohn von Maike grüßte die Herren. Mutter Hilbig huschte kurz durchs Bild. In der geräumigen Küche holte der Jordan sein Zeichenbrett und seinen Fineliner aus der Tasche. Der Egersdörfer prüfte sein Aufnahmegerät. Ihm gegenüber saß die Musikerin und goss Mineralwasser in bunt verzierte Gläser. Am Anfang stand die Frage, wie das genau begonnen hatte mit dem Bass und dem Jazz. 

„Also. Ich habe mir öfter auf Konzerten gedacht, dass ich eigentlich lieber auf der Bühne stehen würde als im Publikum. Das mit der Bassistin war mehr ein Unfall, weil ich wollte ja eigentlich E-Gitarre lernen. Aber bei uns an der Schule gab’s da einen Lehrer. Der kam einmal in der Woche und hat die Schulband unterrichtet. Bei dem konnte man kostenlos E-Bass-Unterricht nehmen. Und dann hab ich gedacht, ach, dann probier ich mal des. Weil, das kann ich dann einfach einmal versuchen, ohne dass es die Eltern etwas kostet. Ich habe da schon Gitarre gespielt und alle möglichen Instrumente. Dann dachte ich halt, E-Bass wäre so ähnlich. Auch, weil es so ähnlich ausschaut, wenn man sich nicht so auskennt, weißt du?“ Da lachte Maike Hilbig. Der Egersdörfer ebenso. Und der Jordan schmunzelte und zog eine fröhliche, schwarze Linie auf sein Papier. „So ein Bass hat auch Saiten und optisch schaut der so ähnlich aus wie eine Gitarre. Aber es ist halt etwas ganz Anderes“, ergänzte Frau Hilbig ihren Gedanken. „Und dann bin ich Bassistin eigentlich eher so geworden. Es hat auch gut gepasst. Mir hat die Rolle gut gefallen. Man trägt einen Teil der Verantwortung. Es fühlt sich ein kleines bisschen einfacher an, weil Du stehst nicht an der vordersten Front und musst laut und deutlich die Melodie spielen. Und wenn man sich verspielt, dann merken die Leute zwar, dass es falsch klingt, aber sie kommen nicht drauf, dass es der Bass war.“

Mehr oder weniger aus einem Versehen heraus lernt Maike Hilbig Bass spielen. Sie hätte eigentlich mit der Schulband auftreten müssen. Aber die Stücke sind ihr zu peinlich. „Smoke on the Water“ gehörte zum Repertoire. Das fand sie damals nicht cool. So etwas wie Nirvana hätte sie damals cool gefunden. Später gab es eine Jazz-Big-Band an der Schule. Da wollte sie dann mitspielen. Daneben gab es noch kleinere Jazz-Bands. Am Freitag fanden immer die Proben statt. Hilbig probt den ganzen Tag mit allen und spielt ihre ersten öffentlichen Konzerte in den verschiedensten Formationen. Vermutlich wusste sie damals schon, dass sie Bassistin werden wollte. „Vielleicht ist das damals aus einem falschen Ehrgeiz heraus passiert. Vielleicht hätte es auch ganz anders laufen können. Vielleicht hätte das nicht sein müssen“, überlegt Maike Hilbig laut. „Aber jetzt bist du nun mal Bassistin“, sagt der Egersdörfer. Dann lachen alle gemeinsam. Die Sonne blinzelte für einen Moment durch die Blätter zum Fenster herein. Jordan trank Mineralwasser und zeichnete weiter an seinen Bildern. Nach dem Gespräch gab er an, er hätte dort in der Wohnung eine Melodie im Ohr gehabt, von einem Kontrabass vorgetragen. Luftig klang es, leicht und angenehm.

„Jetzt, wo wir so sprechen, merke ich gerade: Es hat schon genau so sein müssen“, stellte die Musikerin fest. Der Egers fragte halb und sagte halb: „Der Bass ist das Fundament von dem Ganzen. Das Instrument, das alles zusammenhält. Wie diese großen Schiffe, von denen aus die Kampfjets starten.“ Maike Hilbig lachte laut. „Du meinst einen Flugzeugträger? Wie in aller Welt kommst du denn darauf? Ich finde das Bild nicht so gut.“ Ein Glucksen und Kichern schwappte durch die Küche. Der Jordan schüttelte kurz den Kopf. Dann nickte er maßvoll, wippte mehrere Male sehr bedächtig mit dem Schädel und sagte sehr leise: „Allerhand, Herr Dörfer. Wirklich, wirklich aller-aller-hand, Herr Großdörfer!“ Der Egersdörfer lachte über den Schmarrn, den er verzapft hatte. Die Hilbig führte aus: „Weißt du, ich vergleiche ja immer alles mit Fußball. Und da ist der Bass eher der Libero. So wie ihn Beckenbauer gespielt hat. Das war ja so ein Freigeist. Der Bass ist beinahe so frei wie der Beckenbauer. Du hast defensive Pflichten, verbunden mit kreativen Freiheiten und Vorwärtsdrang. Der Bass ist jedenfalls ein Stratege. Der hält das und passt auf alles auf und füllt so Lücken. Und wenn’s was zu retten gibt, dann ist der da. Aber du kannst ihn auch so interpretieren, dass er da unten rummacht. Er macht, was er will. So ein bisschen. Und der kann schon auch mal eine Melodie spielen. Er gibt Impulse. Und manchmal, wenn alles wirklich so herausbricht, dann hörst du ihn vielleicht nicht mehr. Aber anschließend ist er wieder da. Und wenn er nicht gespielt hätte, hätte etwas gefehlt. Der kann etwas auffüllen. Ich mag das. Man kann durch ihn einen Überblick über die Form bekommen.“

Maike Hilbig erklärte daraufhin, dass es ihr nicht behagt, wenn der Bass sehr stark verstärkt gespielt wird. Das Instrument hat ihrer Meinung nach eine natürliche Lautstärke. Wenn man den Bass nicht mehr hört, kann das auch daran liegen, dass die anderen Musiker zu laut spielen. Es geht letztendlich darum, sich gegenseitig mehr Luft zu lassen. Gerade im Zusammenspiel in der freieren Musik, bei der es auch viel um Improvisation geht, ist es wichtig, dass die Musiker sich gegenseitig hören. Dann kann sie Impulse geben. „Aber wenn die anderen Musiker zu laut sind, wird es schwierig. Ein Schlagzeug oder auch Blasinstrumente können sehr mächtig sein. Wenn kein Raum mehr gelassen wird“, sagte die Hilbig, „macht es mir keinen Spaß.“

Das Gespräch führte dann zu einem Konzert von Dead Leaf Butterfly, das in der Katana in der Nürnberger Südstadt im April dieses Jahres stattgefunden hatte. Els Vandeweyer spielte Vibraphon. Lucía Martínez Alonso trommelte. Lina Allemano blies die Trompete und Maike Hilbig stand am Bass. Der Egers hatte sich sehr müde und fast ein wenig zerschlagen zu diesem Ereignis in die feine Wunderkammer der Nürnberger Südstadt geschleppt. Das Konzert hatte ihn in kürzester Zeit erweckt und geradezu tief beglückt. Maike beschreibt ihr Konzerterlebnis folgendermaßen: „Das war so ein Zustand. Ich steckte da in einer wachen, sehr tiefen Kommunikation. Im besten Fall wird man von nichts mehr abgelenkt und befindet sich gemeinsam in einer Blase. Ja, Katana war gut.“ Dead Leaf Butterfly spielen Kompositionen der einzelnen Musikerinnen. Es gibt Anklänge von Free Jazz und Teile für freie Improvisation. „Bei eurem Konzert gab es Stellen, die waren zum Dahinschmelzen schön. Wo es richtiggehend anrührend wurde“, schwelgte der Egersdörfer. „Das wäre jetzt interessant, welche Stellen das gewesen sind“, antwortete die Hilbig darauf. „Manche Kompositionen bieten das an. Und da sind auch Musikerinnen dabei, die das dann auch wieder tendenziell zerstören wollen, damit es dann so kurz aufblitzt wie ein Edelstein, den du im Gestein siehst.“ 

Dies alles schrieb der Egersdörfer am 17. September um 12:15 Uhr. Aber dann schaltete er das Aufnahmegerät aus und legte „Ontmoeting“ von Dead Leaf Butterfly auf und tanzte dazu strümpficht im Wohnzimmer herum. Es war sehr wunderbar.


Matthias Egersdörfer     
www.egers.de
Michael Jordan     
www.ansichten-des-jordan.de

Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er hört und erblickt. So entsteht diese Kolumne. 
Diesmal ist es ein Interview mit der Bassistin Maike Hilbig 
www.maikehilbig.wordpress.com
www.troubleintheeast-records.com

TERMINE Matthias Egersdörfer
Er ist viel unterwegs, unser Egi, nur nicht viel in unserer Region, leider.

TERMINE Michael Jordan
Ausstellungsbeteiligung bei „Metro 999“ im Aktions- und Schauraum des Comicmuseum Erlangen e.V. vom 28.11. bis 25.01. 
Vernissage: Freitag, 28.11., 18 Uhr
 




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AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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