Check-In mit Martin Parr: Zwischen Minibar und Menschenbild
#Ausstellung, #Fotografie, #Martin Parr, #Neues Museum
Wer im Herbst gern Zuflucht sucht, vor Niesel, Nachrichten oder nervöser Dauerbespaßung, dem sei ab sofort das Neue Museum Nürnberg ans Herz gelegt. Dort läuft seit dem 24. Oktober das GRAND HOTEL PARR, eine Ausstellung, die sich wie ein Wochenende im besten aller Paralleluniversen anfühlt: ein Ort der gepflegten Absurdität, des milde entgleisten Lächelns, irgendwo zwischen Strandbar, Billardzimmer und Hotellobby. Von Nadine Zwingel
Martin Parr, britischer Fotograf der Magnum-Agentur und Meister des beiläufigen Blicks, ist ein Chronist unserer Konsumkultur. Seit über fünf Jahrzehnten sammelt er Szenen aus Vergnügen und Überfluss, zwischen Buffet und Badestrand, und übersetzt sie in Bilder, die zugleich schmerzen und schmunzeln lassen. Dokumentiert dabei unsere Freizeit- und Fressgewohnheiten, unsere Urlaubsposen und gesellschaftlichen Selbstinszenierungen gleichermaßen scharf wie liebevoll. Sein Humor, trocken wie englisches Shortbread, funktioniert als Kitt zwischen Klassen, Kontinenten und Katastrophen.
Hotel der Entschleunigung
Das GRAND HOTEL PARR ist keine immersive Überforderung, kein Medienrausch mit blinkenden Bildschirmen. Im Gegenteil: Hier darf wieder geblättert werden. Über 200 Fotobücher liegen bereit, manche in Regalen, andere in Lobbys und Lounges, so wie man einst Zeitungen in Hotelhallen fand, bevor Bildschirme alles vereinnahmten. Das wirkt ja – entschleunigend! Fast rührend analog.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Dr. Christoph Schaden in Kooperation mit dem Neuen Museum Nürnberg und dem The PhotoBookMuseum Köln unter der Leitung von Markus Schaden, dessen Team dem Fotobuch seit Jahren eine Bühne gibt. Eine Kooperation, die wunderbar aufgeht. Das eine Museum ohne Haus, dafür mobil und experimentierfreudig, das andere mit Haus, dafür mit Herz für konzeptstarke Schauplätze. Und dieses Pop-Up-Hotel, mit seinem roten Teppich, Kunstrasen und Seaside-Blick, ist so ein Schauplatz: zugänglich, verspielt, sozial durchlässig.
Hier begegnen sich High Class und Holiday Check, Fish & Chips und Fine Dining, Selfie und Gesellschaftsbild. Zwischen Speisesaal und Honeymoon Suite liegt das, was Parrs Werk so besonders macht: die Fähigkeit, uns selbst zu erkennen, ohne uns zu verurteilen. Über andere lachen, über uns selbst lachen und am Ende miteinander lachen.
Das Komische im Konkreten
Parr ist ein Gesellschaftschronist, ja, aber einer mit Augenzwinkern, der sich selbst als Teil des Ganzen nicht ausspart. Immer wieder taucht er in seinen Bildern auf, selbstironisch, mitten im Geschehen, nie über den Dingen. Die markante Farbästhetik, einst als vulgär verschrien, gilt heute als ikonisch. Werke wie The Last Resort (1986), Small World (1995) oder Common Sense (1999) sind längst Klassiker der Fotokultur. Die Ausstellung führt durch elf Kapitel seines Schaffens: von Strandpromenaden über Modefotografie bis hin zu Dining-Room-Satiren, in denen das Buffet zum Spiegel der Menschheit wird.
Wer hier durchblättert, erlebt kein Spektakel, sondern eine Einladung zum Beisammensein mit sich selbst. Zwischen Koffern, Bildern und Leseecken entsteht ein Gefühl, das man kaum noch kennt: echte Gegenwart. Keine Filter, keine Algorithmen, nur Papier, Farbe, Menschen und Heiterkeit über uns alle.
Have a nice stay
Das „GRAND HOTEL PARR“ bleibt geöffnet bis 22. Februar 2026, der Katalog erscheint im Dezember. Ideal also für die dunklen Monate, in denen man sich am liebsten in weiche Sessel sinken lässt und beim gemeinsamen Schmökern die Zeit vergisst.
Und wer nun denkt, Hotel und Fotokunst sei elitär, wird eines Besseren belehrt. Die Gesellschaftsschichten sind im Bademantel gleichgestellt und der Eintritt kostet sieben Euro. Ein Aufenthalt ohne Sterne, aber mit Haltung und viel Humor.
Check-in empfohlen. Check-out freiwillig.
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GRAND HOTEL PARR – Fotobücher von Martin Parr
24. Oktober 2025 - 22. Februar 2026
Neues Museum
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