CURT und GNM, Teil 7: Träumende Bücher

DIENSTAG, 27. DEZEMBER 2022

#Germanisches Nationalmuseum, #Kolumne, #Kunst

Ein surrealer Trip durch die Sammlung des GNM. Text von Marian Wild

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Eine kleine Erkältung hatte mich angeflogen und die dunklen Stunden waren dadurch unruhiger als gewohnt. An das Erlebnis im Traum erinnere ich mich aber noch erstaunlich gut.
„Willkommen“, sagte das kleine, agile Buch mit der Schlafmütze und der leicht fisteligen Stimme zu mir. „Es ist die zweite Stunde nach Mitternacht, höchste Zeit für dein Morgengebet!“
„Neinneinnein, ich bin Atheist“, murmelte ich verschlafen (ich war auch im Traum müde, was irgendwie schon ziemlich bescheuert ist).
„Ave stella matutina, mundi princeps et regina …”, sagte das Buch. Es konnte wohl nicht anders, denn es war ein antikes Beutelbuch voller Stundengebete. Als es sein Zweiuhrgebet beendet hatte, fragte ich es darum etwas ungeduldig, bevor es sein Dreiuhrgebet beginnen konnte: „Was machen wir hier eigentlich?“
„Das GNM hat eine gewaltige Sammlung an überraschenden Dingen. Man kann hier wirklich Stunden um Stunden verbringen, um Stunden, um Stunden. Guck mal da!“ Wir waren in der Medizinsammlung angekommen, und das lustige Buch mit der Zipfelmütze hüpfte aufgeregt um mich herum und deutete auf eine hübsch dekorierte Vitrine.
„Das ist ein Beckenknochen!“, sagte ich im Brustton der Überzeugung.
„Falsch. Das ist zeitgenössischer Schmuck.“, bemerkte das Buch schnippisch.
„Warum ist es dann in der Medizinabteilung? Und warum würde jemand sich einen künstlichen Beckenknochen als Schmuck um den Hals umhängen?“ Ich war jetzt hellwach. „Oder künstliche Hände.“
„Nein, DAS sind Prothesen“, korrigierte mich das Buch fröhlich. Ich öffnete den Mund, überlegte es mir aber anders und schloss ihn wieder, als eine tiefe Stimme aus dem Nebenraum brummte.
„MEIN KNIE TUT WEH.“
„Was war das?“, fragte ich das Buch, das schon wieder kurz davor war, sein nächstes Stundengebet zu rezitieren. Es warf seine Mütze in den Nacken und blickte mich verschwörerisch an.
„Das war Oskar, der Drahtmensch. Ziemlich missmutig, der Gute. Hängt schon ziemlich la…“
Den Rest des Satzes konnte ich nicht mehr hören, weil ich schon in den Nebenraum gewandert war und eine große Drahtfigur an der Wand hängen sah, die eine kleine Figur festhielt.
„MEIN KNIE TUT WEH!“, bemerkte Oskar.
„Kein Wunder, musst es vielleicht mal ausstrecken.“ Ich wunderte mich selber, dass ich das alles einfach so hinnahm und das Seltsamste an der ganzen Sache mir die kleine Figur in Oscars Hand schien.
„Lassmichrunterverdammt“, nuschelte die Figur. „RUHE, WALTER!“ fuhr der Drahtmann sie an, dann blickte er zu mir.
„HAB IHN WALTER GENANNT, VERSTEHST SCHON, HÖHÖ.“
Tat ich tatsächlich, kratzte mich aber trotzdem am Kopf. Da hatte das Buch mich plötzlich wieder eingeholt.
„Vier Uhr, Zeit für das…“ sagte es eben noch, da verabschiedete ich mich hastig um etwas verwirrt aufzuwachen.
Ich lag in meinem Bett, etwas verschnupft, und hoffte, dass das kleine, freundliche Buch irgendwann ebenfalls zur Ruhe kommen würde.
---
GERMANISCHES NATIONALMUSEUM
Kartäusergasse 1, Nbg. Di-So 10-18, Mi 10-20:30 Uhr.
www.gnm.de
 




Twitter Facebook Google

#Germanisches Nationalmuseum, #Kolumne, #Kunst

Vielleicht auch interessant...

NEUES MUSEUM. Marian Wild im Gespräch mit Holger Rieß. Fotos: Instagramer*innen der @igers_nürnberg
Die Gegenwart wirft alte Gewissheiten zunehmend über Bord. Da scheint der „kontroverse Tabubruch“, nämlich Kunst und Design im direkten Gegenüber zu zeigen, im Rückblick tatsächlich recht niedlich. Seit 2020 präsentiert das Neue Museum in seinem Erdgeschoss mit der „Mixed Zone“ eine direkte Mischung aus Kunst und Design, die im Frühjahr 2022 mit der aktuellen Ausstellung „Double Up!“ in die bildgewaltige, zweite Runde ging.  >>
Kultur  06.10.-30.11.2025
NÜ/FÜ/ER. Germanisches Nationalmuseum: Kunst & Wissen
Ab So., 19.10., startet die Reihe NÜRNBERG GLOBAL: Wie die Turbanschnecke nach Nürnberg kam (weitere Termine: 26.10., 02.11., 09.11. und 16.11., je 11 Uhr). Warum landeten Kokosnüsse, Straußeneier oder Meeresschnecken vor Jahrhunderten in Nürnberg? Und wie reiste ein Nürnberger Nashorn um die Welt? Im offenen KINDERATELIER können Kinder ab 4 Jahren an den Samstagen frei und großformatig malen, klecksen und experimentieren. Bei der LANGEN NACHT DER WISSENSCHAFTEN zeigt das Familienprogramm Wie funktioniert ein Forschungsmuseum?, wie geforscht, gesammelt und mit Kulturschätzen gearbeitet wird. An Forscherstationen dürfen Kinder selbst aktiv werden und ausprobieren, wie Museumsarbeit funktioniert.Familienprogramm im GNM  >>
SüDSTADT NüRNBERG. Wo einstmals das traditionsreiche Kaufhaus Schocken (leer-)stand, klafft, mitten in der Nürnberger Südstadt, ein Loch. Vor fünf Jahren wurde der Schocken abgerissen und eine Baugrube ausgehoben – für ein neues Kaufhaus. Die niederländische Firma Ten Brinke hat das Projekt allerdings offenbar erstmal auf Eis gelegt und die Baugrube füllte sich mit Regenwasser. Mittlerweile hat der Lago die Aufsess nicht nur einen Google-Maps-Eintrag mit einigen unterhaltsamen Rezensionen, es gibt auch eine Postkarte, gestaltet von der Nürnberger Manga-Künstlerin Mullana.   >>
20250915_Lesen_Fürth
20251001_Staatstheater
20251001_wbg_360
20250801_VAG_Heimstetten
20251001_ebl
20251017_Kulturoptimisten_GENESIS
20250310_VAG
20250801_schauspiel_erlangen_curt
20251001_Kaweco
20251001_BERG_WtF
20251001_Consumenta
20250401_ebl_AZUBI
20250801_Power2Change
20250603_Retterspitz
No upcoming events found